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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.06.2015, RV/7105102/2014

Erhöhte Familien­beihilfe: Zeitpunkt des Eintrittes der dauernden Erwerbsunfähigkeit

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache Bf, vertreten durch S, gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom , betreffend Abweisung eines Antrages auf Gewährung von erhöhter Familienbeihilfe zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die erhöhte Familienbeihilfe wird rückwirkend ab (fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung ) gewährt.

Hinsichtlich des Zeitraumes vor wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. 

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

Entscheidungsgründe

Der 1973 geborene, besachwaltete Beschwerdeführer (Bf.) stellte am , vertreten durch seinen Sachwalter, einen Eigenantrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe.

Als erhebliche Behinderung war im Antrag Minder­begabung angeführt.

Der Bf. wurde im Zuge des Antragsverfahrens untersucht und folgendes Gutachten erstellt:

Fach/Ärztliches Sachverständigengutachten

Betr.: U. M

Vers.Nr.: xxxxxxxxxx

Untersuchung am: 2013-09-17 09:15 Ordination

Identität nachgewiesen durch: Pass

Anamnese:

Besuchte Sonderschule arbeitete 21.-28. Lj in normalem Arbeitsverhältnis in Reinigungsfirma, dann Hilfsarbeiter, seit 2003 arbeitslos, seit 21.LJ besachwaltet, lebt alleine in eigener Wohnung, keine psychiatrische Betreuung, es werden keine relevanten Unterlagen beigebracht, kein PG

Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz): 0

Untersuchungsbefund:

Neurostatus: Die Hirnnerven sind unauff., die Optomotorik ist intakt, an den oberen Extremitäten bestehen keine Paresen. Die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar, die Koordination ist intakt, an den unteren Extremitäten bestehen keine Paresen, die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar. Die Koordination ist intakt, die Pyramidenzeichen sind an den oberen und unteren Extremitäten negativ, das Gangbild ist ohne Hilfsmittel unauff. Die Sensibilität wird allseits als intakt angegeben.

Status psychicus j Entwicklungsstand:

orientiert, unterdurchschnittliche Begabung, leichte Rechenaufgaben können mit Mühe gelöst werden, einfach strukturiert, Probleme beim Schreiben, Stimmungslage ausgeglichen, nicht produktiv

Relevante vorgelegte Befunde: keine

Diagnose(n):

Intelligenzminderung mittleren Grades

Richtsatzposition: 030103 Gdb: 050% ICD: F79.0

Rahmensatzbegründung:

URS, da Sonderschulabgänger

Gesamtgrad der Behinderung: 50 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand.

Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 1995-01-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.

Der(Die) Untersuchte ist voraussichtlich n i c h t dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Wie schon im VGA (11/11) kann der GdB ab damals vorgelegtem Befund (Dr.Habeler 1995/01: leichte Debilität) angenommen werden. Eine durchgängige EU ab dem 21.Lj liegt nicht vor (reguläres Arbeitsverhältnis über mehrere

Erstellt am 2013-09-17 von F P. , Facharzt für Psychiatrie und Neurologie

Zugestimmt am 2013-09-19

Leitender Arzt: L.A.

Das Finanzamt legte die Untersuchungsergebnisse (50 % Behinderung, keine Erwerbs­unfähigkeit) seiner Entscheidung zu Grunde und wies den Antrag mit Bescheid vom unter Verweis auf die Bestimmungen des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 und § 8 Abs. 5 ff FLAG 1967 ab.

Der Sachwalter erhob gegen den Abweisungsbescheid Berufung und führte in dieser aus, laut dem der Berufung beiliegenden Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes seien sämtliche heute vorliegenden Einschränkungen des Bf. bereits im Jahr 1996 vorgelegen. Laut dem Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes könne der Bf. zwar einigen Tätigkeiten nachkommen, jedoch könnten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Hinblick auf das massiv eingeschränkte medizinische Leistungskalkül des Bf. keinerlei kalkülsadäquate Hilfskraft-Berufstätigkeiten namhaft gemacht werden.

Nach der Begründung des Abweisungsbescheides sei die erhöhte Familienbeihilfe dann zu gewähren, wenn eine Erwerbsunfähigkeit mit der Vollendung des 21. Lebensjahres, spätestens jedoch mit der Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten sei. Dies sei beim Bf. der Fall.

Aufgrund der eingebrachten Berufung wurde der Bf. ein weiteres Mal untersucht und folgendes Gutachten erstellt:

Fach/Ärztliches Sachverständigengutachten

Betr.: U. M

Vers.Nr.: xxxxxxxxxx

Untersuchung am: 2014-01-29 09:20 Ordination

Identität nachgewiesen durch: Reisepass

Anamnese:

Als zusätzliche Information im Vergleich zu den Vorgutachten liegt mir ein Urteil des ASG Wien vom 01/2013 vor, in dem angeführt ist, dass der Kläger eine Persönlichkeits und Entwicklungsstörung bei sehr einfacher Ausgangspersönlichkeit in das Erwerbsleben eingebracht hat. Trotz dieser Behinderung habe er 78 Monate kalkülsüberschreitend als Hilfsarbeiter gearbeitet. Nach Einsichtnahme in das Urteil und die zugrundegelegten Sachverständigengutachten ist es mir somit im Nachhinein nicht möglich, dem Antragswerber eine vor Erreichen des 21. Lebensjahres bestehende Erwerbsunfähigkeit zu attestieren.

Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz): Blutdruckmedikation

Untersuchungsbefund: 170cm/79kg; kein fokales Defizit

Status psychicus/Entwicklungsstand:

Kognitive Leistungseinbuße geringen Grades (ab ovo); einfach strukturierte Persönlichkeit. Stimmung ausgeglichen, in beiden Skalenbereichen affizierbar. Keine Biorhythmusstörungen explorierbar.

Relevante vorgelegte Befunde:

1995-04-21 BG FUNFHAUS

Bestellung eines Sachwalters

2013-01-07 ASG WIEN

Antrag auf Bezug einer I-Pension wird abgewiesen.

2012-04-19 ARZT F.ALLGEMEINMEDIZIN

Persönlichkeitsentwicklungsstörung mit Entwicklungsverzögerung, sehr einfache Ausgangspersönlichkeit

Diagnose(n):

Intellektuelle Minderbegabung

Richtsatzposition: 030103 Gdb: 050% ICD: F79.0

Rahmensatzbegründung: Unterer Rahmensatz, da im Alltag selbstständig.

Gesamtgrad der Behinderung: 50 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.

Keine Änderung zum Vorgutachten. Die nachgereichten Befunde belegen die 78 monatelange Erwerbstätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt. Rückwirkender Zeitpunkt des GdB: SW Beschluss

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand.

Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 1995-01-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.

Der(Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Ab 12/2002 (zwischen 1996 bis 2002 hat der Antragswerber gearbeitet).

Erstellt am 2014-02-17 von A. N. , Facharzt für Neurologie

Zugestimmt am 2014-02-17

Leitender Arzt: L.A.

Das Finanzamt wies die Berufung (nunmehr: Beschwerde) mit Beschwerde­vorentscheidung vom ab. Es führte in der Begründung Folgendes aus:

" Laut neuem fachärztlichen Sachverständigengutachten vom wurde eine 50%ige Behinderung sowie eine dauernde Erwerbsunfähigkeit bescheinigt; jedoch erst ab Dezember 2002. Zu diesem Zeitpunkt befanden Sie sich im 29. Lebensjahr und es besteht laut oben genannten gesetzlichen Bestimmungen kein Anspruch auf Familienbeihilfe."

Der Vertreter des Bf. stellte einen Vorlageantrag. Die Begründung ist im Wesentlichen ident mit den Berufungsausführungen. Im Vorlageantrag wird die Aufhebung des Abweisungs­bescheides und die Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe ab Eintritt der Erwerbs­unfähigkeit beantragt.

Das Finanzamt legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht (BFG) zur Entscheidung vor. Es führte im Vorlage­bericht Folgendes aus:

Da die Erwerbsunfähigkeit aufgrund der Berufs­tätigkeit und der vorgelegten Unterlagen laut Gutachten des Bundes­sozial­amtes nicht vor dem 21. Lebensjahr attestiert werden kann, liegen die Voraussetzungen für die Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe nicht vor.

Der Vertreter des Bf. legte dem BFG in der Folge ergänzend folgende Unterlagen vor: ein psychiatrisch-neurologisches Gutachten (vom ), einen Bescheid der PVA betreffend die Zuerkennung einer Waisenpension an den Bf. ab sowie ärztliche Unterlagen der PVA (ärztliches Gutachten vom , Stellungnahme des chefärztlichen Dienstes vom ).

In den ärztlichen Unterlagen der PVA wird in der Stellungnahme des chefärztlichen Dienstes (vom ) eine dauernde Erwerbsunfähigkeit des Bf. ab dem 18. Lebensjahr bescheinigt. Dementsprechend wurde dem Bf. von der PVA eine Waisenpension ab (dem Zeitpunkt des Todes seines Vaters) zuerkannt.

Die vom Sachwalter nachgereichten Unterlagen wurden vom BFG dem für die Erstellung der Fach/Ärztlichen Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behinderten­wesen verantwortlichen leitenden Arzt, Dr. LA , mit der Bitte übermittelt, dem Bundesfinanzgericht mitzuteilen, ob aufgrund dieser Unterlagen (insbesondere den ärztlichen Unterlagen der PVA) beim Bf. von einer vor Erreichen des 21. Lebensjahres eingetretenen dauernden Erwerbsunfähigkeit ausgegangen werden kann.

Dr. LA teilte dem BFG mit Schreiben (E-Mail) vom mit, dass ihm die nachgereichten Unterlagen bisher nicht bekannt waren. Er bestätigte in dem Schreiben, dass beim Bf. die dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor Erreichen des 21. Lebensjahres angenommen werden kann.

Die vom Sachwalter nachgereichten Unterlagen und das Schreiben des leitenden Arztes vom wurden vom BFG dem Finanzamt zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt. Seitens des Finanzamtes wurde dazu ausgeführt, dass der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr nunmehr als gegeben anzusehen ist.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Anspruch auf Familienbeihilfe besteht nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 für Vollwaisen oder diesen nach § 6 Abs. 5 FLAG 1967 gleichgestellte volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. (ab : 25.) Lebensjahres, eingetretenen körper­lichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind.

Als erheblich behindert gilt ein Kind gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungs­verordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Gemäß § 10 Abs. 3 FLAG 1967 werden die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.

Nach der vom BFG aufgrund der vom Sachwalter nachgereichten Unterlagen eingeholten Stellung­nahme des für die Erstellung der Fach/Ärztlichen Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behinderten­wesen verantwortlichen leitenden Arztes, ist die dauernde Erwerbsunfähigkeit des Bf. bereits vor Erreichen des 21. Lebensjahres eingetreten. Es besteht daher Anspruch auf erhöhte Familien­beihilfe.

Die erhöhte Familien­beihilfe ist jedoch nicht, wie im Vorlageantrag beantragt, ab Eintritt der Erwerbsunfähigkeit, sondern ab (fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung) zu gewähren.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Recht­sprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor, da keine Rechtsfrage strittig ist.

Wien, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at