Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 17.04.2015, RV/3100587/2014

Unzureichende Begründung eines Wiederaufnahmebescheides

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch Ri. in der Beschwerdesache Bf. vertreten durch WTH gegen den Bescheid des Finanzamt FA vom  über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2011 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheide wird ersatzlos aufgehoben.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid vom zur Einkommensteuer 2011 veranlagt. Dabei wurden, wie auf Blatt 3 des Bescheides dargestellt, zwei Lohnzettel seines Arbeitgebers für die Zeiträume 1.1. bis und 14.11. bis zu Grunde gelegt.

Am verfügte die Abgabenbehörde die Wiederaufnahme des Verfahrens und erließ einen neuen Sachbescheid, in dem ein weiterer Lohnzettel des Arbeitgebers für den Zeitraum 1.8. bis Berücksichtigung fand. Zur Begründung des Wiederaufnahmebescheides führte die Abgabenbehörde aus:

"Das Verfahren war gemäß § 303 (1) BAO wiederaufzunehmen, weil ein berichtigter oder neuer Lohnzettel übermittelt wurde, aus dem sich eine geänderte Einkommensteuerfestsetzung ergibt. Zur näheren Begründung wird auf die Begründung des im wiederaufgenommenen Verfahren neu erlassenen Einkommensteuerbescheides verwiesen.
Die Wiederaufnahme wurde im Rahmen der Ermessensabwägung gemäß § 20 BAO verfügt, um die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung herbeizuführen und damit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung Rechnung zu tragen."

Mit Schriftsatz vom brachte der Abgabepflichtige eine Beschwerde gegen den Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Einkommensteuer 2011 ein, weil die Wiederaufnahme des Verfahrens de facto unbegründet erfolgt sei. Die Formulierung "weil ein berichtigter oder neuer Lohnzettel übermittelt wurde" mache nicht ersichtlich, welcher Grund tatsächlich zur Wiederaufnahme des Verfahrens geführt habe und der Verweis auf die Begründung im neu erlassenen Einkommensteuerbescheid gehe ins Leere, da dieser nicht begründet sei. Weiters sei der Abgabenbehörde durch die elektronische Übermittlung der Sachverhalt vollständig bekannt gewesen, sodass eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausgeschlossen sei. Der Umstand, dass eine weitere Verarbeitung des Lohnzettels aufgrund einer Fehlermeldung nicht erfolgt sei, liege im Verantwortungsbereich der Finanzbehörde. Der Bescheidbeschwerde angeschlossen ist ein Blatt mit Kopien von zwei bzw. drei EDV-Ausdrucken folgenden Inhalts:

"Erläuterungen zum Status::


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Status
Bedeutung
Notwendige Folgemaßnahmen
N
NICHTÜEBERNAHME
in jedem Fall Daten richtig stellen oder mit Fehlerindikator für richtig erklaeren;
nochmals ohne Korrekturindikation senden
G
GESPERRT
in jedem Fall Daten richtig stellen oder mit Fehlerindikator für richtig erklaeren;
nochmals mit Korrekturindikation und urspruenglicher Referenznummer senden
P
PROTOKOLL
Lohnzettel pruefen;
nur im Fehlerfall Daten richtig stellen und nochmals mit Korrekturindikation und urspruenglicher Referenznummer senden
Bei inhaltlichen Fragen zum Lohnzettel Finanz wenden Sie sich bitte
an den Lohnzettelberater ihres Betriebsstätten-Finanzamtes.


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LZ FINANZ
StNr: St.Nr. Arbeitgeber
 
SV-Nr. Bf
Ausland
01.08.-
Ref: ZZZZZZZZZZZZzzzzz
 
ZZZZZZZZZZZZ
* FEHLERHAFT! SIEHE PROTOKOLL *
 
 


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* Arbeitgeb.
St.Nr.
01.08.-
Bf
SV-Nr.
ZZZZZZZZZZZZ
 
 
ZZZZZZZZZZZZzzzzz
Status *G*/Fehler 5203
Bei AUSLANDSTAETIGKEIT muss KZ 245 NULL sein
Status *G*/Fehler 5601
FREIW. BEITRAEGE bei Lohnzettelart 2 – 7, 9 – 12 und 14 unzulaessig
Status *G*/Fehler 6202
Betrag ungleich KZ 210 (verpflichtend bei Lohnzettelart 2)
Status *P*/Fehler 6402
KZ 245 muss bei Lohnzettelart 6 NULL sein
Status *G*/Fehler 6601
INSG. EINBEH. LOHNSTEUER bei Lohnzettelart 2 unzulaessig"

Die Abgabenbehörde wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab, da im Wiederaufnahmebescheid begründend ausgeführt sei, dass es auf Grund der Einspielung des Lohnzettel für 1.8.- zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens gekommen sei. Der Verweis auf den Sachbescheid sei schlüssig, da in diesem der bisher nicht berücksichtigte Lohnzettel angeführt sei, weshalb der Wiederaufnahmebescheid ausreichend begründet sei. Auch wenn ein Lohnzettel wohl dem Finanzamt übermittelt worden sei, aber aus technischen Gründen erst später dem Datensatz zugeordnet werde, stelle dies für den einzelnen Fall einen Wiederaufnahmegrund dar. Der entsprechende Lohnzettel sei überdies erst am übermittelt worden, das Berichtigungserfordernis habe sich daher erst später herausgestellt.

Der Beschwerdeführer stellte daraufhin am den Vorlageantrag und führte aus, dass sich aus der Begründung des Wiederaufnahmebescheides nicht erkennen lasse, welche neue Tatsachen oder Beweismittel für die verfügte Wiederaufnahme maßgebend gewesen sei, da in der Begründung weder der Arbeitgeber genau bezeichnet noch der Zeitpunkt der Übermittlung der betreffenden Lohnzettel angeführt seien. Der tatsächlich aufgegriffene Umstand (Einspielung des Lohnzettels für den Zeitraum 1.8.- bzw. dass dem Finanzamt wohl ein Lohnzettel übermittelt, dieser aus technischen Gründen aber erst später dem Datensatz zugeordnet worden sei) sei erstmals in der Beschwerdevorentscheidung angeführt worden.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

1) Gemäß § 303 Abs. 1 BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn
a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach § 307 Abs. 1 BAO ist mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides die das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden.

Die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens steht gemäß § 305 BAO der Abgabenbehörde zu, die für die Erlassung des nach § 307 Abs. 1 BAO aufzuhebenden Bescheides zuständig war. Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme von Amts wegen daher die gemäß § 305 BAO zuständige Behörde.

Bei einer Beschwerde gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen durch das gemäß § 305 BAO zuständige Finanzamt ist die Sache, über welche das Bundefinanzgericht zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltsmomente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Unter Sache ist in diesem Zusammenhang die Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Abgabenbehörde gebildet hat. Bei einem verfahrensrechtlichen Bescheid, wie dem der Wiederaufnahme des Abgabenverfahrens von Amts wegen, wird die Identität der Sache, über die abgesprochen wurde, durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde (; ; ; ).

Die Überprüfung der Rechtsmäßigkeit eines Wiederaufnahmebescheides hat sich an den in der Begründung des bekämpften Bescheides bezeichneten Wiederaufnahmsgründen zu orientieren und kann weder in der Beschwerdevorentscheidung noch durch das Bundesfinanzgericht auf neue Wiederaufnahmsgründe gestützt werden. Um eine Beurteilung zu ermöglichen, ob die von der Abgabenbehörde herangezogenen Gründe eine Wiederaufnahme rechtsfertigen, ist es erforderlich, dass sowohl die Wiederaufnahmsgründe als auch die zeitliche Abfolge des Bekanntwerdens der maßgebenden Tatsachen und Beweismittel in der Begründung angeführt und dargestellt werden. Eine fehlende Angabe der Wiederaufnahmsgründe im bekämpften Bescheid ist nicht, auch nicht in der Beschwerdevorentscheidung, nachholbar (Ritz, BAO5, § 307 Tz 2 und 3 mwN). 

2) Die Begründung des in Streit stehenden Wiederaufnahmebescheides verwendet zur Darlegung der Wiederaufnahmsgründe lediglich die nicht auf Umstände des konkreten Einzelfalls eingehende, allgemeine Formulierung "weil ein berichtigter oder neuer Lohnzettel übermittelt wurde". Diese Formulierung ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ) für sich schon nicht geeignet, einen Wiederaufnahmebescheid den gesetzlichen Erfordernissen entsprechend zu begründen. Im vorliegenden Beschwerdefall kommt noch hinzu, dass – da vom Arbeitgeber des Beschwerdeführers für das Jahr 2011 mehrere Lohnzettel für verschiedene Zeiträume übermittelt worden sind – beide von der Begründung angesprochenen möglichen Wiederaufnahmsgründe in Frage kommen konnten. Eine Klarstellung dahingehend, welche der beiden Möglichkeiten im Beschwerdefall zum Tragen gekommen ist, ist entgegen dem Hinweis in der Begründung des Wiederaufnahmebescheides auch dem neuen Sachbescheid nicht zu entnehmen, weil dieser keine die Wiederaufnahmsgründe ausführende Darstellung enthält. Der Umstand, dass auf Blatt 3 des Bescheides die Daten von nunmehr drei Lohnzetteln gegenüber den Daten von zwei Lohnzetteln im Erstbescheid angeführt sind, vermag am Fehlen der Darlegung der Wiederaufnahmsgründe nichts zu ändern, denn die Feststellung, ob und welche Lohnzettel neu oder berichtigt übermittelt wurden und daher Grundlage für die Wiederaufnahme sein könnten, erforderte erst den Vergleich des neuen Sachbescheides hinsichtlich sämtlicher Lohnzetteldaten mit dem Inhalt des Erstbescheides. Damit aber wurde der Wiederaufnahmebescheid mit einer Begründung versehen, welche es in Wahrheit dem Abgabepflichtigen überlässt, herauszufinden, worin ein Wiederaufnahmsgrund bestanden haben kann, wobei die entscheidungswesentliche Frage, ob dieser bzw. welcher von mehreren Wiederaufnahmsgründen von der Abgabenbehörde tatsächlich herangezogen wurde, damit noch nicht beantwortet ist.

Ebenso wenig kann dem Wiederaufnahmebescheid oder dem neuen Sachbescheid entnommen werden, aus welchen Gründen und auf Grund welcher Beweismittel die Abgabenbehörde vom Vorliegen des Tatbestandes des Neuhervorkommens ausgehen konnte. In der Begründung zum Wiederaufnahmebescheid wurde darauf nicht eingegangen und auch die im neu erlassenen Einkommensteuerbescheid wiedergegebenen Lohnzetteldaten enthalten keine Informationen zum Zeitpunkt der Übermittlung der Lohnzettel und ihrer elektronischen Weiterverarbeitung. Der Begründung des Wideraufnahmebescheides mangelt es daher auch an der erforderlichen Darstellung der zeitlichen Abfolge des Bekanntwerdens der maßgebenden Tatsachen und Beweismittel (). Die Relevanz dieses Erfordernisses wird im Beschwerdefall besonders deutlich, da bereits die Beschwerdeausführungen aufzeigen, dass das Vorliegen des Tatbestandsmerkmales des Neuhervorkommens in Streit gezogen ist. Unter Vorlage der Kopien von Protokolldaten wurde nämlich die zeitgerechte Übermittlung sämtlicher Lohnzettel des Arbeitgebers noch vor Erlassung des Erstbescheides eingewendet.

Zusammenfassend ist sohin festzustellen, dass die Begründung des bekämpften Wiederaufnahmebescheides selbst dann, wenn diese in Zusammenschau mit dem Inhalt des neuen Sachbescheides betrachtet wird, nicht den von der Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen entspricht und die mit dem angefochtenen Bescheid verfügte Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zu rechtfertigen vermag. Der von der Abgabenbehörde der Wiederaufnahme zu Grunde gelegte Tatsachenkomplex wurde erstmals in der Begründung zur Beschwerdevorentscheidung näher dargelegt, indem die Einspielung des Lohnzettels für 1.8.- als Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens bezeichnet und dargetan wurde, dass die Übermittlung erst mit erfolgt sei. Wie vorstehend ausgeführt, ist jedoch eine Nachholung der Begründung in der Beschwerdevorentscheidung ausgeschlossen. Den Einwendungen des Beschwerdeführers der unzureichenden Begründung des Wiederaufnahmebescheides kommt sohin Berechtigung zu, weshalb der angefochtene Bescheid aufzuheben war.

3) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Zu den im Beschwerdefall bedeutsamen Rechtsfragen liegt umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung vor. Auf die zitierten Entscheidungen des VwGH wird verwiesen.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 307 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 305 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Standardbegründung
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2015:RV.3100587.2014

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at