Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R****** in der Beschwerdesache M****** gegen den Bescheid des Finanzamtes Innsbruck vom betreffend Abweisung eines Antrages auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung
zu Recht erkannt:
I.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
II.
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
1) Verfahrensgang:
Auf Grund zweier Bescheinigungen des (nunmehr) Sozialministeriumsservice aus dem Jahr 2012 wurde der Beschwerdeführerin für ihren minderjährigen Sohn K****** der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe ab Geburt des Kindes gewährt. Attestiert wurde von der begutachtenden Ärztin "am ehesten" eine chronische Obstipation (Richtsatzposition - angeborene Motiltitätsstörungen des Darmes schweren Grades) mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50%. Die rückwirkende Feststellung des Grades der Behinderung erfolgte ab . Dies obwohl in der Anamnese ausgeführt wird, dass bereits in der Säuglingszeit Stuhlprobleme bestanden haben. Aufgrund "neu vorgelegter Befunde" korrigierte der leitende Arzt sodann die Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Geburt. In beiden Bescheinigungen wurde eine Nachuntersuchung in einem Jahr empfohlen.
Im Juli 2013 wurde nach einem neuen ärztlichen Gutachten (Untersuchung am ) eine neue Bescheinigung erstellt. Nunmehr folgte der Diagnose "chronische Ostipation" eine Einordnung in die Richtsatzposition (chronische Darmstörungen mittleren Grades mit chronischen Schleimhautveränderungen). Der Gesamtgrad der Behinderung wurde mit 30% festgestellt. In der Anamnese wurde ausgeführt, dass sich das Kind (trotz der bestehenden Beeinträchtigung) normal entwickle und "keine Gedeihstörungen oder andere Komplikationen" bestünden. Es käme zu keinen wesentlichen Beeinträchtigungen des Allgemeinzustandes.
Das Finanzamt stellte daraufhin die Auszahlung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe mit August 2013 ein.
Mit Eingabe vom beantragte die Kindesmutter erneut die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgewiesen, die Kindesmutter sei "zur nochmaligen Untersuchung mit dem Kind K****** beim Bundessozialamt entschuldigt nicht erschienen".
In der rechtzeitig eingebrachten (nunmehr) Beschwerde gegen diesen Bescheid führte die Antragstellerin aus, sie hätte nie einen Untersuchungstermin erhalten und es würden neue Atteste beim (vormals) Bundessozialamt aufliegen. Der Gesundheitszustand ihres Sohnes habe sich nicht gebessert.
Es wurde ein neuerliches ärztliches Gutachten erstellt. Die Diagnose lautete nunmehr "Obstipation", es erfolgte eine Einordnung in die Richtsatzposition (chronische Darmstörungen leichten Grades ohne chronischen Schleimhautveränderungen), der Gesamtgrad der Behinderung wurde mit 20% festgestellt. In der Rahmensatzbegründung ist zu lesen, dass eine funktionell bedingte Obstipation bei einem organisch gesunden Kind vorliege. Der Stuhlgang wäre unter der aktuellen Therapie jeden zweiten bis dritten Tag groß und weich. Es läge keine Gedeihstörung und auch keine Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes vor. Festgehalten wurde auch, dass gegenüber dem Vorgutachten vom keine weiteren relevanten Befunde vorgelegt worden seien.
Mit (nunmehr) Beschwerdevorentscheidung wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Das Finanzamt bezog sich auf das letzte erstellte Gutachten.
In dem als "letzte Berufung" bezeichneten Vorlageantrag forderte die Beschwerdeführerin eine "unabhängige Gutachterin" und behauptete, dass die "angaben nicht der Wahrheit entsprechen" würden. Ihr Sohn habe "seit Geburt die erhöhte Familienbeihilfe bezogen, warum plötzlich nicht mehr? Er braucht genau noch die selben Medikamente und das Krankheitsbild ist das selbe immer noch. Solange sich der Gesundheitszustand nicht bessert, und er immer noch die gleichen Medikamente braucht kämpfe ich für seine Gerechtigkeit und lasse es nicht beruhen."
Das Finanzamt legte dem Bundesfinanzgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt im April 2014 zur Entscheidung vor.
2) Rechtslage:
Nach § 2 Abs 1 lit a FLAG 1967 besteht - bei Erfüllung verschiedener hier nicht strittiger Voraussetzungen - im vorliegenden Fall ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Familienbeihilfe für ihren minderjährigen Sohn.
Gemäß § 8 Abs 4 FLAG 1967 in der für den strittigen Zeitraum gültigen Fassung erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist, monatlich um € 138,30.
Abs 5 der zitierten Gesetzesstelle bestimmt, dass ein Kind als erheblich behindert gilt, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl Nr 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl II Nr 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen (§ 8 Abs 6 FLAG 1967).
3) Erwägungen:
Auf Grund der angeführten Gesetzesbestimmungen ist es eine unerlässliche Voraussetzung für den Bezug des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung, dass eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vorliegt, welche bestätigt, dass der Grad der Behinderung eines Kindes zumindest die vom Gesetz geforderten 50% erreicht. Ohne eine derartige Bescheinigung ist die Auszahlung des Erhöhungsbetrages nicht möglich.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Gutachten der Ärzte des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen die an ärztliche Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen bezüglich ihrer Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit zu entsprechen. Die Behörden des Verwaltungsverfahrens sind verpflichtet, die Beweiskraft der Gutachten des Bundessozialamtes zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen. Die Entscheidung darüber, ob ein Gutachten unschlüssig oder ergänzungsbedürftig ist, obliegt der Beihilfenbehörde, und zwar unabhängig davon, ob diese als erste Instanz oder im Beschwerdewege über den Anspruch auf Familienbeihilfe entscheidet (vgl etwa ).
Im hier zu beurteilenden Fall lag ursprünglich eine solche Bescheinigung, mit welcher der Gesamtgrad der Behinderung mit 50% bestätigt wurde, vor. In der Folge wurden anderslautende Bescheinigungen ausgestellt.
Das erste ärztliche Gutachten bezieht sich auf (in einem Sachverständigenverfahren unzulässige) nicht näher begründete Vermutungen ("Eine Ursache .... konnte nicht festgestellt werden, es handelt sich am ehestens um ..."). Auf Grund dieser Vermutungen wird sodann eine Rückwirkung mit angeführt, obwohl in der Anamnese klar zu lesen ist, dass die einschlägigen Sympthome bereits ab der Säuglingszeit aufgetreten sind. Dieser Zeitpunkt wurde auch in der ersten Bescheinigung übernommen. Im Übrigen fehlen Aussagen zur aktuellen Situation. Es wird lediglich auf Ereignisse im Kleinkindalter Bezug genommen ohne die Entwicklung und Auswirkungen der Behandlungen und Medikamentation festzustellen. Durch die Empfehlung einer Kontrolle in einem(!) Jahr, somit Mitte 2013, wird zudem offensichtlich, dass bei der begutachtenden Ärztin selbst Zweifel an einer voraussichtlich nicht nur vorübergehenden (mindestens drei Jahre andauernden) Beeinträchtigung im Ausmaß der geforderten 50% bestanden haben.
"Aufgrund neu vorgelegter Befunde" wurde sodann in einer neuen Bescheinigung Leitenden Arzt eine Rückwirkung mit festgestellt, obwohl der Sohn der Beschwerdeführerin erst am TT.MM.JJJJ geboren wurde. Ansonsten blieb das Gutachten unverändert und wurde auch nicht ausgeführt, welche neuen Befunde bzw daraus gewonnene neue Erkenntnisse zur Änderung des Zeitpunktes geführt haben.
Diesem Gutachten und den darauf fußenden Bescheinigungen ist somit mangels entsprechend nachvollziehbarer Begründungen und mangels Schlüssigkeit keinerlei Beweiskraft zuzumessen.
Demgegenüber stehen die in der Folge angefertigten Gutachten und Bescheinigungen. In diesen wird einerseits die Art der Beeinträchtigung klar festgestellt und auch die Auswirkung der Therapie sowie der Erkrankung auf die Entwicklung des Kindes dargestellt. Diese Gutachten sind frei von Widersprüchen und enthalten keine offensichtlichen Fehler. Sie sind daher schlüssig und geeignet, dieser Entscheidung zu Grunde gelegt zu werden.
Wenn die Beschwerdeführerin in der (damals) Berufung und in der als Vorlageantrag zu wertenden "letzten Berufung" als einziges Argument anführt, dass sich der Gesundheitszustand ihres Sohnes nicht gebessert habe und er immer noch Medikamente einnehmen müsse, sind dies keine Argumente, die die Schlüssigkeit der letzten Gutachten erschüttern können. Es wäre aber an der Beschwerdeführerin gelegen gewesen, sich substantiell mit den Aussagen in den Gutachten auseinander zu setzen und diese durch Beibringung von aussagekräftigen Beweismitteln zu entkräften (vgl , mwN). Diese Möglichkeit hat die Beschwerdeführerin nicht wahrgenommen. Ihre Ausführungen, der Gesundheitszustand ihres Sohnes habe sich seit Geburt nicht geändert, lassen vielmehr lediglich den Schluss zu, dass die Feststellungen in den letzten Gutachten auf alle Zeiträume seit Geburt zutreffen und der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe niemals zugestanden wäre.
Es war daher wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.
4) Zulässigkeit einer Revision:
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig (Art 133 Abs 4 B-VG), da mit dem gegenständlichen Erkenntnis keine Rechtsfrage zu lösen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Auch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ab oder fehlt es an einer solchen. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auf die in der Begründung zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes wird verwiesen.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 8 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2015:RV.3100273.2014 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at