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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.04.2015, RV/7100606/2014

Erhöhte Familienbeihilfe - ist die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten?

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. über die Beschwerde der Bf., X., gegen den Bescheid des Finanzamtes Waldviertel vom , SVNr. 1234, betreffend Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe ab Juni 2008, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (Bf.), geb. 1957, stellte am einen Eigenantrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe.

Im Zuge des Antragsverfahrens wurde die Bf. untersucht und folgendes Gutachten erstellt:

Fach/Ärztliches Sachverständigengutachten
Betr.: A. B.
Vers.Nr.: 1234
Untersuchung am: 2013-07-23 10:00 Ordination
Identität nachgewiesen durch: ...
Anamnese: Kommt in Begleitung ihrer Betreuerin vom Psychosozialen Dienst. Die Untersuchung findet alleine statt. Die Antragswerberin gibt an, seit dem 15. Lebensjahr an Depression zu leiden. Sie sei erstmals mit 15 stationär auf der Psychiatrie in Wien (Baumgartnerhöhe) in Behandlung gewesen. Dann verschiedene stationäre Aufenthalte, zuletzt an der psychiatrischen Abteilung des LK Waidhafen an der Thaya, im März dieses Jahres unter der Diagnose: mittelgradige depressive Episode, emotionale instabile Persönlichkeitsstörung. Nach Angaben der Antragswerberin habe sie die Regelschule besucht (Volksschule, Hauptschule), dann habe sie ein Lehre als Koch/Kellner abgeschlossen und im Anschluss an verschiedenen Stellen im Gastgewerbe gearbeitet. Auch habe sie einmal als Hilfskraft (Putzen diverse Hilfstätigkeiten) am Bau gearbeitet. Das habe sie 6 Jahre lang gemacht. In den 90er Jahren habe sie 6 Jahre lang ein Wirtshaus betrieben, nach psychischen Gründen habe sie das Wirtshaus nicht weiter betreiben können und habe es geschlossen. Sie sei dann einige Jahre lang arbeitslos gewesen, seit 2002 ist sie in Invaliditätspension. Sie steht in regelmäßiger Betreuung durch den Psychosozialen Dienst. Auch der Facharzt für Psychiatrie betreut sie regelmäßig (PSD alle 14 Tage), regelmäßiger Besuch des Club aktiv (4x wöchentlich). Die Antragswerberin lebt allein, sie war verheiratet, nach der Scheidung hat sie noch 12 Jahre mit ihrem Ex-Mann zusammengelebt, dieser hat sie heuer im Frühjahr verlassen. Anschließend Verschlechterung der Depression, die Einsamkeit macht ihr zu schaffen. 06/2013 Implantation Kniegelenksendoprothese rechts. Die Antragswerberin geht mit zwei Unterarmstützkrücken. Gehstrecke 500 m. Wegen Schmerzen im Rücken (Zustand nach Bandscheibenvorfall 2003 im LWS-Bereich) Opiateinnahme. Seit der Operation des Knies, Gefühlsstörungen in der Ferse rechts. Diabetes mellitus seit 2004 mit oralem Antidiabetikum eingestellt. Berichtet über asthmatische Beschwerden, mit Spray beschwerdefrei. Nikotinabusus 15-20 Zigaretten pro Tag. Aus den nachgereichten Befunden ist eine erstmalige psychiatrische Behandlung im Jahr 1973 ersichtlich, damals unter der Diagnose demonstrativer SMV, jugendliche Psychopathie (stat. v 29.6.-), Entlassung erfolgte in das Durchzugsheim Rochusgasse, nächster belegter psychiatrischer Aufenthalt 6.6.- unter den Diagnosen Granzdebilität, Psychopathie, SM Drohung.
Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz): Zandip, Tenormin, Acecomb, Velmetia, Cyrnbalta 60 mg, Abilify, Trittico, Pantoloc, Spasmolyt, Hydal 8 mg und 4 mg, sowie Foster DA
Untersuchungsbefund: 1,65 m, 106 kg, reduzierter AZ, adipöser EZ, rechts dominant, Caput/Collum: Brillenträgerin, Stamm: Thorax symmetrisch, seitengleich belüftet, Eupnoe, das Exspirium verlängert, die Bauchdecken adipös, weich nicht druckschmerzhaft, obere Extremitäten: die Schultern hängend, Beweglichkeit in den Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenken bds. nicht eingeschränkt, Faustschluss bds komplett, untere Extremitäten: das Becken steht gerade, Zehen und Fersenstand, Einbeinstand bds mit Anhalten durchführbar, reizlose Narbe über dem rechten Kniegelenk, die Beweglichkeit im rechten Kniegelenk in S 0-0-100, die übrigen Gelenke altersentsprechend, Wirbelsäule: zeigt eine verstärkte Brustkyphose, FBA 13 cm, Gesamtmobilität & Gangbild: trägt Konfektionsschuhe, geht einige Schritte frei, ansonsten mit zwei Unterarmstützkrücken, das Gangbild kleinschrittig mit unbehinderter Abrollbewegung, die Gesamtmobilität reduziert, ein selbstständiges An- und Auskleiden ist möglich
Status psychicus/Entwicklungsstand: allseits orientiert; psychomotorisch verlangsamt; der Duktus nachvollziehbar, verlangsamt, erreicht nicht immer das Ziel, Konzentrationsfähigkeit vermindert, Gedächtnisstörung (einer von drei Begriffen wird korrekt memoriert), die Stimmung indifferent, Antrieb deutlich reduziert, Hypomimie, der Affekt verflacht, die Affizierbarkeit in beiden Skalenbereich aufgehoben, der Unterschied zwischen einem Fluss und einem See kann nicht erklärt werden, das Lösen einer Subtraktion im Kopf ist nicht möglich, das Bilden einer absteigenden 7er Reihe von 100 bereitet deutliche Probleme und ist nicht möglich
Relevante vorgelegte Befunde:
1977-06-16 PSYCHIATRISCHES KH BAUMGARTNER HÖHE
Diagnose: Grenzdebilität, Spychopathie, SM Drohung - im Entlassungbefund wird eine Entlassung aus dem ho KH am in das Rochusheim angeführt
2013-04-12 LK WAIDHOFEN AN DER THAYA, PSYCHIATRIE, ENTLASSUNGSBERICHT,
Entlassungsdiagnose: mittelgradige depressive Episode, emotional instabile Persönlichkeitsstörung
2008-12-19 PSYCHOSOZIALER DIENST CARITAS,DR. I. T. , FA F PSYCHIATRIE
Diagnose: emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Betreuung durch die Ärztin seit Juli 2005, damalige Medikation Saroten, Truxal, Adjuvin, sowie Fentanylpflaster
1973-07-06 PSYCHIATRISCHES KH BAUMGARTNER HÖHE
stat 29.6.-; Dg jugendliche Psychopathie, demonstrativer SMV
2013-07-31 PSD CARITAS, DR. T. , MAG K.
Begleitung seit 2005, Dg: emoptional instabile Persönlichkeitsstörung, erstmalige stat. Behandlung 1973, 2. 1977, einige Jahre stabil, ab Mitte der 1980er Jahre wieder gehäuft stat. Aufenthalte
2003-02-20 SMZ BAUMGARTNER HÖHE PSYCHIATRISCHES ZENTRUM
stat. 9/1/2003-31/1/2003, Dg Borderline Persönlichkeitsstörung
Diagnose (n):
Persönlichkeitsstörung
Richtsatzposition: 030403 Gdb: 070% ICD: F60.3
Rahmensatzbegründung: Zahl dieser Richtsatzposition bei deutlicher sozialer Beeinträchtigung, mit Betreuungsnotwendigkeit, oberer Rahmensatz bei wiederholten stationären Behandlungen
Funktionseinschränkung Wirbelsäule
Richtsatzposition: 020103 Gdb: 050% ICD: M47.8
Rahmensatzbegründung: Wahl dieser Richtsatzposition mit dem unteren Rahmensatz bei chronischen Schmerzen, Opiatgebrauch;
Diabetes mellitus
Richtsatzposition: 090201 Gdb: 030% ICD: E11
Rahmensatzbegründung: oberer Rahmensatz bei Kombinationstherapie
Funktionseinschränkung Kniegelenk einseitig
Richtsatzposition: 020518 Gdb: 010% ICD: M17
Rahmensatzbegründung: unterer Rahmensatz bei Beugung über 90° Gesamtgrad der Behinderung: 80 vH voraussichtlich mehr als J Jahre anhaltend.
Erhöhung Leiden 1 und 2 (beide schwerwiegend). Keine weitere Erhöhung durch Leiden 3 und 4 mangels Leidensbeeinflussung.
Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand.
Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 2013-07-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.
Der (Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Grad der Behinderung durch Leiden 1 von min. 50% ab 1977 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Anamnestisch jedoch längerdauernde Jahre Erwerbstätigkeit am 1. Arbeitsmarkt nach Vollendung des 21. Lebensjahres.
Erstellt am 2013-08-20 von AfA1
Facharzt für Urologie
Arzt für Allgemeinmedizin
zugestimmt am 2013-08-20
Leitender Arzt: LA1

Das Finanzamt legte die in dem Gutachten getroffenen Feststellungen seiner Entscheidung zu Grunde und wies den Antrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe mit Bescheid vom ab Juni 2008 unter Verweis auf die gesetzlichen Bestimmungen des § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) mit der Begründung ab, dass im fachärztlichem Sachverständigengutachten eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr nicht diagnostiziert worden sei.

Die Bf. erhob gegen den Abweisungsbescheid Berufung und führte darin aus, dass sie seit ihrer Jugend in psychiatrischer Behandlung sei. Weiters verwies sie auf den Befund des Psychiatrischen Krankenhauses der Stadt Wien, aus dem hervorgehe, dass der erstmalige stationäre Behandlung vom 29.6. bis , und somit im 17. Lebensjahr, erfolgte. Auf Grund ihrer psychischen Erkrankung sei sie seit 2002 in Invaliditätspension.

Auf Grund der eingebrachten Berufung ersuchte das Finanzamt das Bundessozialamt um Erstellung eines weiteren Gutachtens.

Die Bf. wurde am untersucht und folgendes Gutachten erstellt:

Fach/Ärztliches Sachverständigengutachten
Betr.: A. B.
Vers.Nr.: 1234
Untersuchung am: 2013-11-12 09:50 im Bundessozialamt Niederösterreich
Identität nachgewiesen durch: --
Anamnese: Es liegt ein VGA vom vor, wonach eine Persönlichkeitsstörung mit GdB 70 (Gesamt GdB 80) ab bewertet wurde. Beschrieben wird auch,daß GdB 50% ab 1977 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, jedoch anamnestisch eine längerdauernde Erwerbsfähigkeit am 1. AM nach dem 21. LJ zu erheben ist. Dagegen wird nun berufen. AW hat VS und HS absolviert, eine Koch Kellnerlehre wurde ohne Lehrabschluß gemacht. Sie habe dann in diesem Beruf gearbeitet, aber auch in der Fabrik und auf einer Baustelle von 1974 - 1998, aber immer kürzere Arbeitsverhältnisse maximal ein Jahr. 2000-2001 habe sie sich mit einem Gasthaus selbstständig gernacht,danach habe sie nicht mehr gearbeitet. Seit 2003 beziehe sie BU Pension und Pflegegeld Stufe 2. Sie ist geschieden, hat keine Kinder und lebt in einer eigenen Wohnung, 1x/Woche kommt die Caritas fürseinkaufen und Haushalt. Sie sei nicht besachwaltet und habe nie den Führerschein gemacht. 6/73 habe sie einen SMV gemacht und war erstmalig stationär an der Psychiatrie. Lt. den Unterlagen kam es nach einem Streit mit der Mutter zu einem demonstrativen SMV es bestanden "keineswegs ernste SMA, vielmehr ihre Mutter schrecken ... ". 1977 neuerliche stationär Aufnahme nach einem Streit mit dem LG. In den 80er Jahren war sie im AKH und auch 2003. 2002 war sie erstmalig an der Psychiatrie in Waidhafen insgesamt 3x. 1982 heiratete sie - Scheidung 2001.
Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien- Frequenz): Zanidip, Tenormin, Acecomb, Velmetia, Cymbalta 60, Abilify 15, Pantoloc,
Spasmolyt, Foster DA, Hydal 8mg 1x1, Hydal4 mg 1x1, Club aktiv 3-4x/ Wo, PSD regelmäßig
Untersuchungsbefund: 56jährige kommt alleine frei gehend zur Untersuchung, wurde vom Fahrtendienst der Caritas hergebracht. Adipöser EZ
Status psychicus/Entwicklungsstand: bewußtseinsklar, ausreichend orientiert, freundlich und kooperativ, Konzentration leicht reduziert, Ductus zielführend.
Relevante vorgelegte Befunde:
2013-07-23 FLAG GUTACHTEN
sämtliche Befunde darin bereits zitiert
Diagnose(n): emotional instabile Persönlichkeitsstörung
Richtsatzposition: 030403 Gdb: 070% ICD: F60.3
Rahmensatzbegründung: Oberer Rahmensatz, da laufende Betreuung engmaschig erforderlich;
Funktionseinschränkung Wirbelsäule
Richtsatzposition: 020103 Gdb: 050% ICD: M47.8
Rahmensatzbegründung: Unterer Rahmensatz, da chronische Schmerzen, Opiatverwendung
Diabetes mellitus
Richtsatzposition: 090201 Gdb: 030% ICD: E11
Rahmensatzbegründung: Oberer Rahmensatz, bei Kombinationstherapie
Funktionseinschränkung Kniegelenkeinseitig
Richtsatzposition: 020518 Gdb: 010% ICD: M17.
Rahmensatzbegründung: Unterer Rahmensatz bei Beugung über 90 Grad
Gesamtgrad der Behinderung: 80 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.
Position 1-4 und Gesamtgrad der Behinderung ohne Änderung zum VGA 7/13, Erhöhung durch Leiden 2, da schwerwiegend gleichbleibend zum VGA
Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand.
Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 2003-03-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.
Der (Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Dauernde Erwerbsunfähigkeit ab 2003 (krankheitsbedingter Pensionsbezug/Pflegegeld) anzunehmen. Über die Selbsterhaltungsfähigkeit in den Jahren davor kann keine eindeutige Aussage getroffen werden.
erstellt am 2013-11-12 von FfNuP
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
zugestimmt am 2013-11-13
Leitender Arzt: LA1

Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom ab und verwies zur Begründung auf den Abweisungsbescheid vom und auf das neuerliche ärztliche Sachverständigengutachten.

In dem dagegen eingebrachten Vorlageantrag führte die Bf. aus, sie hätte auf Grund ihrer psychischen Erkrankung bereits in der Schule Lernschwierigkeiten gehabt. Sie sei in der 1. Klasse Volksschule zurückgestuft worden, sodass sie erst ein Jahr später die Volksschule besucht habe. Außerdem hätte sie in der Hauptschule eine Klasse wiederholen müssen. Ihre Leistungsbeurteilungen in der Schule seien generell eher schlecht gewesen. So hätte sie beispielsweise im Abschlusszeugnis der Hauptschule in den Gegenständen Mathematik, Deutsch, Geografie sowie Geschichte die Note 4 gehabt. Als Beweis hätte sie  die vorzuweisenden Abschlusszeugnisse der Volksschule Wien 11, M-Gasse sowie der Hauptschule Wien 11, P-Gasse, bei den jeweiligen Schulen angefordert. Diese würden nachgereicht. Sie ersucht daher um Stattgebung der Berufung und Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe auf Grund der niemals eingetretenen Selbsterhaltungsfähigkeit.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Im Beschwerdeverfahren ist ausschließlich zu klären, ob bei der Bf. eine voraussichlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist.

1. Gesetzliche Grundlagen:

Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres (BGBl. 111/2010, in Kraft getreten am ), eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind.

Nach § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v. H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtliche dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (seit : Sozialministeriumservice) aufgrund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Das Bundesfinanzgericht hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO iVm § 2a BAO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.

2. Feststehender Sachverhalt:

2.1. Allgemeine Feststellungen:

Die Bf. besuchte Volksschule und Hauptschule und schloss eine Lehre als Koch/Kellner ab. Danach arbeitete sie an verschiedenen Stellen im Gastgewerbe bzw. sechs Jahre als Hilfskraft am Bau. In den 90er Jahren betrieb sie laut eigenen Angaben ein Wirtshaus. Danach war sie einige Jahre lang arbeitslos; seit 2002 bezieht die Bf. eine Invaliditätspension.

Die Bf. lebt allein. Sie war verheiratet und lebte nach der Scheidung noch 12 Jahre mit ihrem Ex-Mann zusammen.

2.2. In den Sachverständigengutachten getroffene Feststellungen:

Im vorliegenden Beschwerdefall wurden zwei Sachverständigengutachten erstellt ( und ).

Im ersten Gutachten stellte der Sachverständige bei der Bf. die Diagnose "Persönlichkeitsstörung" und reihte die Erkrankung unter die Richtsatzposition 030403 der Einschätzungsverordnung ein.

Der Behinderungsgrad wurde mit 70 % festgesetzt. Bei der Rahmensatzbegründung wurde angeführt, dass wegen der deutlich sozialen Beeinträchtigung, der Betreuungsnotwendigkeit und wegen der wiederholten stationären Behandlungen ein oberer Rahmensatz gewählt wurde.

Weiters stellte der Sachverständige eine Funktionseinschränkung der Wirbelsäule fest, reihte die Erkrankung unter die Richtsatzposition 020103 mit einem Behinderungsgrad von 50 % und wählte unter Berücksichtigung der chronischen Schmerzen und des Opiatgebrauches einen unteren Rahmensatz.

Die Krankheit "Diabetes mellitus" reihte der Arzt unter die Richtsatzposition 090201 mit einem Behinderungsgrad von 30 %; dies mit einem oberen Rahmensatz.

Die " Funktionseinschränkung Kniegelenk einseitig" wurde mit einem Behinderungsgrad von 10 % berücksichtigt, unter die R ichtsatzposition 020518 subsumiert und ein unterer Rahmensatz gewählt.

Angemerkt wurde, dass Leiden 1 und 2 schwerwiegend seien, sich jedoch durch Leiden 3 und 4 mangels Leidensbeeinflussung keine weitere Erhöhung ergebe.

Unter Berücksichtigung sämtlicher Erkrankungen setzte der Sachverständige den Gesamtgrad der Behinderung mit 80 vH rückwirkend ab Juli 2013 fest.

Eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit wurde bescheinigt und angemerkt, dass der  Grad der Behinderung durch Leiden 1 von mindestens 50% ab 1977 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei. Anamnestisch sei jedoch eine längerdauernde Jahre Erwerbstätigkeit am ersten Arbeitsmarkt nach Vollendung des 21. Lebensjahres anzunehmen.

Im zweiten Gutachten vom stellte die untersuchende Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie die Diagnose emotional instabile Persönlichkeitsstörung und reihte die Erkrankung - wie bereits im Erstgutachten - unter die Richtsatzposition 030403 mit einem Behinderungsgrad von 70 %; wegen der erforderlichen engmaschigen laufenden Betreuung wählte die Ärztin einen oberen Rahmensatz.

Auch die Funktionseinschränkung der Wirbelsäule wurde von der Ärztin und die gleiche Richtsatzposition (020103) wie im ersten Gutachten subsumiert, ein unterer Rahmensatz gewählt und der Behinderungsgrad mit 50 % festgesetzt.

Auch bei der Einreihung der Erkrankungen "Diabetes mellitus" und der Funktionseinschränkung des Kniegelenks gehen die beiden Gutachten bei der Einschätzung des Behinderungsgrades und der Rahmensatzbegründung konform und kommt die mit dem zweiten Gutachten betraute Sachverständige ebenfalls zu einem Gesamtgrad der Behinderung von 80 %.

Festgehalten wurde, dass die Erwerbsunfähigkeit wegen krankheitsbedingtem Pensionsbezug/Pflegegeld ab 2003 anzunehmen sei. Über die Selbsterhaltungsfähigkeit in den Jahren davor könne keine eindeutige Aussage getroffen werden.

3. Rechtliche Würdigung:

Dauernde Erwerbsunfähigkeit

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis , ausdrücklich auf den klaren Wortlaut des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 in der Fassung BGBl. I Nr. 105/2002 verwiesen. Die bisherige Judikatur, wonach eine mehrjährige berufliche Tätigkeit des Kindes die für den Anspruch auf Familienbeihilfe notwendige Annahme, das Kind sei infolge seiner Behinderung nicht in der Lage gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, widerlege, habe im Rahmen der durch das BGBl. I Nr. 105/2002 geschaffenen neuen Rechtslage (ab ) keinen Anwendungsbereich.

Der Gerichtshof (sh. auch ) bezieht sich dabei offensichtlich auf das Erkenntnis des , in dem der VfGH ausführt, dass sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 6 FLAG ergebe, dass der Gesetzgeber nicht nur die Frage des Grades der Behinderung, sondern (bereits seit 1994) auch die (damit ja in der Regel unmittelbar zusammenhängende) Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt habe, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet werde und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spiele. Dem dürfte die Überlegung zugrunde liegen, dass die Frage, ob eine behinderte Person voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht schematisch an Hand eines in einem bestimmten Zeitraum erzielten Einkommens, sondern nur unter Berücksichtigung von Art und Grad der Behinderung bzw. der medizinischen Gesamtsituation der betroffenen Person beurteilt werden könne. Damit könne auch berücksichtigt werden, dass gerade von behinderten Personen immer wieder - oft mehrmals - Versuche unternommen werden, sich in das Erwerbsleben einzugliedern, bei denen jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie aus medizinischen Gründen auf längere Sicht zum Scheitern verurteilt sein würden. Der Gesetzgeber habe daher mit gutem Grund die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit jener Institution übertragen, die auch zur Beurteilung des Behinderungsgrades berufen sei. Die Beihilfenbehörden hätten bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und könnten von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich somit der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes angeschlossen; daraus folgt, dass auch das Bundesfinanzgericht für seine Entscheidungsfindung die ärztlichen Sachverständigengutachten heranzuziehen hat, sofern diese als schlüssig anzusehen sind. Es ist also im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens zu überprüfen, ob die erstellten Sachverständigengutachten diesem Kriterium entsprechen.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes besteht u.a. bei Begünstigungsvorschriften und in Fällen, in denen die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde eingeschränkt sind, erhöhte Mitwirkungspflicht der Partei. Die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde sind dann massiv eingeschränkt, wenn Sachverhalte zu beurteilen sind, die teilweise Jahrzehnte zurückliegen. Es wäre somit primär an der Bf. gelegen gewesen, eine bereits vor der Vollendung des 21. Lebensjahres bestehende Erwerbsunfähigkeit klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen (; Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 32). Diesen Nachweis konnte die Bf. nicht erbringen.

Ein sachverständiger Facharzt kann aufgrund seines medizinischen Fachwissens ohne Probleme grundsätzlich nur den aktuellen Gesundheitszustand des Erkrankten beurteilen. Hierauf kommt es aber nur an, wenn der derzeitige Behinderungsgrad oder eine dauernde Erwerbsunfähigkeit zeitnah zum relevanten Zeitpunkt festzustellen ist. In allen übrigen Fällen kann der Sachverständige nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine Behinderung oder dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist. Dies ist bei manchen Krankheiten, ua. bei psychischen Erkrankungen insofern problematisch als diese häufig einen schleichenden Verlauf nehmen.

Hingewiesen sei insbesondere auf das Erkenntnis des , in dem der Gerichtshof Folgendes ausführt:

"§ 6 Abs 2 lit d FLAG stellt darauf ab, dass der Vollwaise auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige geistige oder körperliche Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit Längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs 2 lit d FLAG erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt."

In den beiden Sachverhaltsgutachten wurde übereinstimmend die Diagnose gestellt, dass die Bf. an einer Persönlichkeitsstörung, und darüber hinaus an einer Funktionseinschränkung der Wirbelsäule und des Kniegelenks (einseitig) sowie unter Diabetes mellitus leitet und dass der Gesamtgrad der Behinderung mit 80 % festgestellt.

Eine Divergenz liegt allerdings bei der rückwirkenden Einschätzung des Behinderungsgrades vor. Wurde im ersten Gutachten eine rückwirkende Einschätzung mit Juli 2013 vorgenommen, so setzte der mit dem zweiten Gutachten befasste Sachverständige den Zeitpunkt mit März 2003 auf Grund der vorgelegten relevanten Befunde fest. Wenn in diesem Gutachten eine dauernde Erwerbsunfähigkeit ab dem krankheitsbedingten Bezug der Pension/des Pflegegeldes angenommen wird, ist diese Feststellung als schlüssig anzusehen. Die im März 1957 geborene Bf. vollendete im März 2003 allerdings bereits das 46. Lebensjahr.

Hinzuzufügen ist, dass es zwar nach der Rechtsprechung des VwGH nicht (mehr) zulässig ist, dass die Behörde entgegen einem Gutachten oder ohne ein Gutachten die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, auf Grund einer langjährigen Berufstätigkeit abspricht. Dass sich jedoch der fachärztliche Sachverständige neben der medizinischen Anamnese bei zum Teil Jahrzehnte zurückliegenden Sachverhalten nicht auch auf eine langjährige Berufstätigkeit als weiteres Indiz stützen dürfte, ist der Rechtsprechung nicht zu entnehmen ().

Bei der Bf. liegt daher die nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 geforderte vor Vollendung des 21. Lebensjahr eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nach den vorgelegten Bescheinigungen des Sozialministeriumservice nicht vor und steht ihr daher die (erhöhte) Familienbeihilfe nicht zu.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der gegenständlichen Rechtsfrage, ob die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, ergibt sich bereits aus den Bezug habenden klar geregelten gesetzlichen Bestimmungen und der oben angeführten Literatur und Judikatur zur Frage der Bindung an die in den erstellten Gutachten/Bescheini­gungen getroffenen Feststellungen. Die Entscheidung ist daher nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG abhängig. Eine (ordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist somit nicht zulässig.

Wien, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at