Kein Anspruch auf (erhöhte) Familienbeihilfe mangels Vorliegens der Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache Bf, Adr , gegen den Bescheid des Finanzamtes X. vom , betreffend Abweisung eines Antrages auf Zuerkennung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe,
zu Recht erkannt:
1. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
2. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.
Entscheidungsgründe
Der Beschwerdeführer stellte mit Eingabe vom einen Eigenantrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe sowie auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe rückwirkend für fünf Jahre wegen erheblicher Behinderung.
Nach einem Ersuchen um Ergänzung der Angaben und Einholung einer Bescheinigung des Sozialministeriumservice (vormals Bundessozialamt) wies das Finanzamt die Anträge mit Bescheid vom ab. Laut Gutachten des Sozialministeriumservice vom liege keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Eingabe vom Bescheidbeschwerde und brachte begründend vor, dass er nicht imstande sei einer Berufstätigkeit nachzugehen und dies auch in den kommenden Jahren seines Lebens nicht sein werde. Er sei 62 Jahre alt und werde keine staatliche Pension bzw. Rente in irgendeiner Form erhalten. Die erhöhte Familienbeihilfe solle daher dieses Defizit zumindest ansatzweise abgelten. Sie sei aus diesem Grunde geschaffen worden. Er ersuche daher um Zuweisung zu einer neuerlichen Untersuchung .
Das Finanzamt ersuchte mit Schreiben vom um weitere ergänzende Angaben. In Beantwortung dieses Ersuchens teilte der Beschwerdeführer mit, dass er von seiner Gattin, welche im Iran lebe, dauernd getrennt aber nicht geschieden sei. Er habe keinen Unterhaltsanspruch gegenüber seiner Gattin. Heiratsurkunde könne auch keine vorgelegt werden.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde mit im Wesentlichen gleichlautender Begründung als unbegründet ab.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 lit d und Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben volljährige Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn
- sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
- ihnen nicht Unterhalt von ihren Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist
und
- für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist,
und sie vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres (ab : 25. Lebensjahres) eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.
Nach § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist.
Als erheblich behindert gilt nach § 8 Abs. 5 FLAG 1967 ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr Sozialministeriumservice) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Die Bestimmungen der Absätze 4 bis 6 des § 8 FLAG 1967 gelten nach § 8 Abs. 7 sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.
Der Bezug des Grundbetrages an Familienbeihilfe ist demnach Voraussetzung für die Gewährung des Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Behinderung (vgl. auch Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 20). Steht die Familienbeihilfe mangels Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen oder wegen eines Ausschlussgrundes nicht zu, kann auch der Erhöhungsbetrag nicht gewährt werden.
Es kommt somit darauf an, ob der am geborene 62jährige Beschwerdeführer wegen einer körperlichen oder geistigen Behinderung dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und dieser Umstand - Berufsausbildung vor Vollendung des 27. Lebensjahres wurde weder nachgewiesen noch behauptet - bereits vor Vollendung seines 21. Lebensjahres eingetreten ist.
Der Nachweis betreffend die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 in einem qualifizierten Verfahren durch ein ärztliches Gutachten zu führen (vgl. zB ).
Das Gutachten zu einer solchen Sachfrage ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhalts durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sachverhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen (vgl. -I/11).
Das der Bescheinigung des Sozialministeriumservice vom zugrunde liegende fachärztliche Sachverständigengutachten vom stellt folgende Diagnosen:
"Polytoxikomanie
Richtsatzposition: 030801 Gdb: 040% ICD: F19.2
Rahmensatzbegründung:
Oberer Rahmensatz, derzeit im Substitutionsprogramm, stabil, allerdings Probleme im sozialen Umfeld und soziale Beeinträchtigung.
Lumbalsyndrom ohne radikuläre Symptomatik
Richtsatzposition: 020101 Gdb: 020% ICD: M54.4
Rahmensatzbegründung:
Oberer Rahmensatz, da mäßige radiologische Veränderungen,
geringe Einschränkungen im Alltag und keine Dauertherapie notwendig.
Gesamtgrad der Behinderung: 50vH voraussichtlich w e n i g e r als 3 Jahre anhaltend.
Führendes Leiden wird durch Leiden 2 wegen ungünstiger Leidensbeeinflussung um ein Stufe erhöht.
Eine Nachuntersuchung in 3 Jahren ist erforderlich.
Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 2014-02-01 aufgrund der vorgelegten Befunde möglich.
Der Untersuchte ist voraussichtlich n i c h t dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen."
Die Beschwerdevorbringen vermögen das Ergebnis des Gutachtens nicht in Zweifel zu ziehen. Es wurde auch keine Unterlagen bzw. Nachweise vorgelegt, die eine neuerliche Untersuchung erforderlich machen würden. Die im Vorlageantrag angekündigte - jedoch nicht vorgelegte - Bestätigung des iranischen Hausarztes des Beschwerdeführers über die gesundheitliche Entwicklung seit dem 18. Lebensjahr ist nicht entscheidungsrelevant. Die Abweisung des Antrages ist darin begründet, dass der Beschwerdeführer derzeit nicht dauernd außerstande ist, aufgrund einer körperlichen oder geistigen Behinderung, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Damit ist das Schicksal der Bescheidbeschwerde schon entschieden. Der Anspruch auf den Grundbetrag der Familienbeihilfe nach § 6 Abs. 2 lit d FLAG 1967 ist mangels Vorliegens einer dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht gegeben. Damit steht auch der Erhöhungsbetrag nicht zu. Darüber hinaus liegt auch keine erhebliche Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 vor.
Im vorliegenden Fall darf nicht außer Acht gelassen werden, dass aus den gesetzlichen Bestimmungen folgt, dass bei Vorliegen einer erheblichen Behinderung Anspruch auf eine mit der Vollendung eines bestimmten Lebensjahres zeitlich begrenzte Auszahlung der Familienbeihilfe (wenn weitere Voraussetzungen erfüllt sind und keine Ausschließungsgründe vorliegen) gegeben ist. Nach § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Dabei muss der Gesamtgrad der Behinderung von zumindest 50 % erreicht werden, es sei denn, es handelt sich um ein Kind, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
§ 2 Abs. 1 lit c FLAG 1967 und der im vorliegenden Fall (Eigenantrag) anzuwendende § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 regelt unabhängig vom Erreichen eines bestimmten Lebensalters einen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf den Grundbetrag an Familienbeihilfe, soweit die weiteren Voraussetzungen vorliegen und keine Ausschließungsgründe zu beachten sind. Die Bestimmung knüpft dabei - ohne Verweis auf § 8 Abs. 5 FLAG 1967 - an den Umstand an, dass eine Person aufgrund einer körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Dieser Umstand muss zudem vor Vollendung eines bestimmten Lebensalters eingetreten sein.
Insoweit unterscheidet sich nach dem Wortlaut des Gesetzes die Definition des Begriffes der "erheblichen Behinderung" (= Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung) vom Begriff des "dauernd außer Stande sein" in den §§ 2 Abs. 1 lit c und 6 Abs. 2 lit d FLAG 1967 mit ausschließlicher Bezugnahme auf das Bestehen einer körperlichen oder geistigen Behinderung.
Der Gesetzgeber hat somit den zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Familienbeihilfe für (erwachsene) Kinder hinsichtlich der erforderlichen Voraussetzungen enger gefasst, indem er diesen nur dann als gegeben ansieht, wenn eine körperliche oder geistige Behinderung vorliegt, während für das Vorliegen einer erheblichen Behinderung iSd § 8 Abs. 5 FLAG 1967 auch die Tatsache des Bestehens einer psychischen Beeinträchtigung zu beachten ist.
Beim bestehenden führenden Leiden "Polytoxikomanie" handelt es sich um eine psychische Erkrankung, welche nach § 6 Abs. 2 lit d FLAG 1967 für den Grundbetrag an Familienbeihilfe nicht anspruchsrelevant ist. (vgl. auch die Einschätzungsverordnung vom , BGBl. II Nr. 261/2010, welche Suchterkrankungen im Kapitel 03 "Psychische Störungen" auflistet und die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - ICD, welche diese in der Gruppe F19 "Psychische und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen" anführt). Das zweite Leiden "Lumbalsyndrom" bewirkt laut Gutachten nur geringe Einschränkungen im Alltag und erfordert keine Dauertherapie.
Damit liegen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 lit d FLAG 1967 für einen zeitlich unbegrenzten Familienbeihilfenanspruch, nämlich eine vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich aufgrund einer körperlichen oder geistigen Behinderung selbst den Unterhalt zu verschaffen, jedenfalls nicht vor.
Auf den Ausschlussgrund der Unterhaltsverpflichtung von Ehegatten braucht daher nicht mehr eingegangen zu werden.
Zweck der Familienbeihilfe ist es, die Pflege und Erziehung des Kindes als Zuschuss zu erleichtern sowie die mit seiner Betreuung verbundenen Mehrbelastungen zumindest zum Teil auszugleichen. Sie dient dazu, den Mindestunterhalt des Kindes zu gewährleisten und gleichzeitig die Eltern von ihrer Unterhaltspflicht zu entlasten (vgl. zB ), nicht jedoch wie der Beschwerdeführer vermeint, fehlende Versicherungszeiten für einen Pensionsanspruch zu kompensieren.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision
Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer grundsätzlichen Rechtsfrage abhängt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die Rechtsprechung ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Dass psychische Erkrankungen nicht für einen unbegrenzten Anspruch auf Familienbeihilfe ausreichen, ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut. Im Übrigen war im gegenständlichen Fall eine Tatsachenfrage und nicht eine grundsätzliche Rechtsfrage zu klären.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 8 Abs. 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 6 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2015:RV.3101139.2014 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at