Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 28.07.2014, RV/7300038/2014

Gnadenbescheid: Pflegebedürftigkeit der kranken Eltern ist berücksichtigungswürdig, Entscheidung liegt im Ermessen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter in der Gnadensache von Frau B., Adresse , vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Matthias Klissenbauer, Gonzagagasse 15, 1010 Wien, über die Beschwerde der Bestraften vom gegen den Bescheid des Bundesministeriums für Finanzen vom , GZ1, über die Abweisung eines Gnadenansuchens gemäß § 187 des Finanzstrafgesetzes FinStrG) folgendes Erkenntnis gefällt:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Im Gnadenansuchen vom brachte Frau B. (in weiterer Folge: Bf.) als berücksichtigungswürdige Umstände die Pflege ihrer betagten Eltern vor, diese seien infolge des Alters (geb. 1935 bzw. 1930) bzw. massiver gesundheitlicher Beeinträchtigungen pflegebedürftig.

Aufgrund der schwierigen psychischen bzw. emotionalen Situation wäre wegen der mangelnden Finanzierbarkeit ein Abstellen auf externe Betreuungspersonen nicht möglich. Müsste die Bf. die Ersatzfreiheitsstrafe antreten, würden die pflegebedürftigen Eltern daher ohne die nötige Aufsicht und Hilfe bleiben. Der Lebensgefährte die Bf., der in der Vergangenheit zumindest teilweise unterstützend eingreifen habe können, sei nach einem Herzinfarkt und einer schweren Herzoperation verstorben. Unterlagen über den Pflegebedarf könnten demnächst nachgereicht werden.

Es liegen daher ausreichende berücksichtigungswürdige Gründe vor, um vom Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe abzusehen. Diesbezüglich werde der Vollständigkeit halber ausdrücklich auf die Entscheidung verwiesen, wo aus ähnlichen Gründen wie im gegenständlichen Fall eine Gnadenentscheidung befürwortet worden sei.

Festzuhalten sei auch, dass sich die Bf. seit der gegenständlichen Verurteilung bzw. dem darin vorgeworfenen finanzstrafrechtlichen Sachverhalten in den Jahren 2006-2008 wohlverhalten habe und es seitdem zu keinen weiteren abgabenrechtlichen Verfehlungen gekommen sei. Das Unternehmen der Bf. sei bereits im Zuge des Konkursverfahrens geschlossen worden. Der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe sei daher auch spezialpräventiv nicht erforderlich, um die Bf. von der Begehung von weiteren Taten abzuhalten. Auch angemessene generalpräventive Gründe, die den Vollzug der Strafe unbedingt erforderlich machen würden, seien aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls nicht ersichtlich.

Es werde daher beantragt, der Bf. den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in Anwendung des § 187 FinStrG nachzusehen.

Mit Bescheid des Bundesministeriums für Finanzen vom , GZ1, wurde das Ansuchen auf gnadenweise Nachsicht der mit Erkenntnis des Spruchsenates des Finanzamtes Wien 1/23 als Organ des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 als Finanzstrafbehörde I. Instanz vom , Strafnummer 007, wegen der Finanzvergehen der versuchten Abgabenhinterziehung nach den §§ 13, 33 Abs. 1 FinStrG und der Abgabenhinterziehung nach dem § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG, verhängten Geldstrafe in Höhe von Euro 14.000,00 (Ersatzfreiheitsstrafe von 35 Tagen), welche zur Gänze aushaftet, gemäß § 187 FinStrG als unbegründet abgewiesen.

In der Begründung wurde nach Darstellung des § 187 FinStrG ausgeführt, dass die Gewährung einer Gnadenmaßnahme im Ermessen der Behörde liege, die dabei von den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und Billigkeit auszugehen habe. Der Gnadenentscheidung seien auch general- und spezialpräventive Überlegungen zugrunde zu legen. Das bedeute, dass sowohl andere als auch der Gnadenwerber selbst von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten werden sollen.

Im Gnadenansuchen sei vorgebracht worden, dass dem Finanzstrafverfahren bereits im Jahr 2009 ein Konkursverfahren vorangegangen wäre, sich seitdem die Vermögens- bzw. Einkommenssituation leider nicht verbessert habe und die Bf. finanziell nicht in der Lage wäre, die verhängte Strafe zu bezahlen. Der Antritt einer Ersatzfreiheitsstrafe wäre insbesondere deswegen unbillig, weil die Bf. für die Pflege ihrer betagten Eltern Sorge tragen müsste und aufgrund der schwierigen psychischen bzw. emotionalen Situation, aber auch wegen der mangelnden Finanzierbarkeit, externe Betreuungspersonen nicht möglich wären.

Zunächst sei auszuführen, dass die Tatsache, dass jemand die verhängte Geldstrafe nicht bezahlen könne und deshalb die Ersatzfreiheitsstrafe antreten müsste, für sich allein keinen gnadenwürdigen Umstand darstelle, weil es sich hierbei um die vom Gesetz für diese Fälle vorgesehene Rechtsfolge handle. Nur wenn zur Mittellosigkeit der Umstand der Pflege naher Angehöriger trete, könne dies nach Lage des Einzelfalls einen berücksichtigungswürdigen Grund für eine Strafnachsicht darstellen, wenn während der Dauer des Vollzugs der Freiheitsstrafe der Angehörige mangels notwendiger Betreuungsperson ohne Aufsicht und Hilfe wäre.

Im gegenständlichen Fall sei eine Gnadenmaßnahme aufgrund der angeblich erforderlichen Pflege der Eltern nicht gerechtfertigt. Die Gnadenwerberin befinde sich laut Auskunft ihres Sohnes S. schon seit ca. zwei Jahren nicht mehr in Österreich, sondern sei nach Mexiko ausgewandert. Vom Vater der Gnadenwerberin sei zudem mitgeteilt worden, dass seine Tochter derzeit auf Urlaub im Ausland sei. Die Bf. sei seit dem Jahr 1985 – mit Unterbrechungen – an der Adresse ihrer Eltern hauptwohnsitzlich gemeldet und sei aus dem Versicherungsdatenauszug ersichtlich, dass seit dem Jahr 2010 in unregelmäßigen Abständen Notstandshilfe bezogen worden sei, wobei die Bezüge in den Jahren 2011 bis 2014 nur in den Monaten Oktober/November bis Februar bzw. März stattfanden. Aufgrund der offensichtlich fortdauernden längeren Auslandsaufenthalte sei die Gnadenwerberin nicht in der Lage, die Pflege der Angehörigen wahrzunehmen und sei der vorgebrachte Gnadengrund nicht glaubwürdig. Einer Gnadenmaßnahme könne somit nicht nähergetreten werden.

Selbst wenn man den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe als unbillig anerkennen würde, wäre eine Gnadenmaßnahme zum jetzigen Zeitpunkt aus general- und spezialpräventiven Gründen nicht zu rechtfertigen, zumal die verhängte Geldstrafe noch zur Gänze aushaftet.

In der dagegen fristgerecht eingebrachten Beschwerde vom wird festgehalten, dass die Begründung der Ablehnung auf einer unvollständigen Erhebung des zugrunde liegenden Sachverhaltes beruhe. Wäre der Bf. Gelegenheit zur Äußerung zu den Ermittlungsergebnissen gegeben worden, hätten diese Annahmen schon vorab entkräftet werden können.

Richtig sei, dass sich die Bf. in den letzten Jahren zeitweise im Ausland aufgehalten habe. Dies sei jedoch schon insofern irrelevant, als zu prüfen gewesen wäre, ob der Wegfall der Betreuung durch den Vollzug zum gegenwärtigen Zeitpunkt bzw. in absehbarer Zeit eintreten würde und somit ein berücksichtigungswürdiger Grund der Strafnachsicht vorliege.

Zum einen habe sich im fraglichen Zeitraum seit 2011 der Gesundheitszustand der Eltern der Bf. nicht verbessert, sondern verschlechtert, sodass der für die Betreuung aufzuwendende Bedarf gestiegen sei. Die Bf. sei entgegen ihrer ursprünglichen Planung gerade deswegen wieder nach Österreich zurückgekehrt, da sich zuletzt durch eine Operation der Mutter im Dezember 2013 die gesundheitliche Lage deutlich verschlechtert habe und keine andere finanziell leistbare Möglichkeit bestehe, die erforderliche Betreuung und Pflege der Eltern aufrecht zu erhalten.

Zum anderen habe sich der Sohn der Bf. S. am einen doppelten massiven Beinbruch zugezogen und sei derzeit selbst pflegebedürftig. Da es voraussichtlich noch sechs oder mehr Monate dauern werde, bis dieser wieder selbständig gehen könne, falle der Sohn für die Pflege der Eltern der Bf. vollständig aus und bedarf vielmehr sogar der Unterstützung.

Der zweite Sohn R. sei im Wiener Gemeindebezirk unselbständig erwerbstätig und verfüge zudem über kein eigenes Auto, sodass aus rein zeittechnischen Gründen eine ausreichende Betreuung und Pflege nicht erfolgen könne, die daher derzeit nur mehr von der Bf. erbracht werden könne.

Zwar könne die Ortsabwesenheit der Bf. für maximal einige Tage notfalls abgefedert werden, eine 35-tägige Abwesenheit wegen Vollzugs der Freiheitsstrafe würde jedoch zu einer humanitären Notsituation führen.

Zu betonen sei auch, dass die Hinzuziehung von externen Pflegekräften zum einen aus finanziellen Gründen nicht möglich sei, da die Mutter der Bf. nur eine Mindestpension erhalte und zudem die Problematik bestehe, dass Heimhilfen keine Arbeiten verrichten dürfen, die in dem von den Eltern der Bf. bewohnten Gartenhäuschen zwangsläufig anfallen, wie Bereitstellung von Ofenholz, Einkauf von Getränken etc. Die Bf. sei aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse ebenfalls nicht in der Lage, diesbezüglich Abhilfe durch externes Pflegepersonal zu schaffen.

Zu den zitierten Angaben des Vaters der Bf., seine Tochter habe sich "auf Urlaub befunden", wäre anzumerken, dass mangels Konkretisierung der Angaben im angefochtenen Bescheid nicht nachvollziehbar sei, wann und wem gegenüber diese Information erteilt worden sei und auf welchen Zeitraum sich dies bezogen hätte. Die Bf. habe zuletzt keinerlei Urlaub konsumiert, was aus den oben erwähnten Gründen auch nicht möglich gewesen wäre. Richtig sei lediglich, dass sie sich noch um die Verlassenschaft ihres im August 2013 in der Dominikanischen Republik verstorbenen Lebensgefährten kümmern habe müssen und sich diese Abwicklung aufgrund des Ablebens im Ausland relativ aufwendig gestaltet habe. Auch dies sei jedoch abgeschlossen und wirke sich auf die derzeitige Betreuungssituation nicht aus.

Die Beschwerdeführerin biete ihre persönliche Einvernahme zur Aufklärung allfälliger Unklarheiten ausdrücklich an.

Der oben angeführte Bescheid werde daher zur Gänze angefochten und beantragt, diesen dahingehend abzuändern, dass hier der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in Anwendung des § 187 Finanzstrafgesetz nachgesehen werde.

Es werde um antragsgemäße Stattgebung ersucht.

Das Bundesministerium für Finanzen führt anlässlich der Vorlage der Beschwerde aus, dass die Ermittlungen des BMF Folgendes ergeben haben:

"Zu diesen Ausführungen wurde festgestellt, dass die Bf. nach der ersten Aufforderung zum Strafantritt am laut einer ZMR-Abfrage am in die Dominikanische Republik verzogen ist und erst seit wieder in Österreich bei ihrem Vater hauptwohnsitzlich gemeldet ist. Es erfolgte daher am eine neuerliche Aufforderung zum Strafantritt. Am wurde versucht, mit der Bf. in Kontakt zu treten, woraufhin von ihrem Vater mitgeteilt wurde, dass sich die Tochter auf Urlaub im Ausland befindet. Ermittlungen des Finanzamtes 2/20/21/22 am haben ergeben, dass die Bf. laut Auskunft ihres Sohnes S. schon seit ca zwei Jahren nicht mehr in Österreich lebt, sondern nach Mexiko ausgewandert ist. Er hat nur selten Kontakt mit ihr, wenn dann nur über das Internet.

Zu den Einwendungen wird bemerkt, dass diese aufgrund des festgestellten Sachverhaltes nicht glaubhaft sind. Die Bf war bis April 2006 und von November 2012 ("zugezogen von Mexiko") bis Juli 2013 ("verzogen nach Dominikanische Republik") in Österreich hauptgemeldet. Laut Angaben ist der Lebensgefährte im August 2013 in der Dominikanischen Republik verstorben. Auch wenn sich die Bf. danach um die Verlassenschaft gekümmert hat, ist sie seit November 2013 wieder in Österreich hauptgemeldet und die Verlassenschaft offensichtlich abgeschlossen. Der Vater hat erst im Februar 2014 auf Nachfrage mitgeteilt, dass sich die Tochter auf Urlaub im Ausland befindet. Der Sohn S., welcher angeblich auch selbst aufgrund eines Beinbruches am pflegebedürftig ist, hat am unter anderem mitgeteilt, dass er nur sporadisch Kontakt mit der Mutter hat, wenn dann nur über das Internet. Von einem engen Familienverband und einer dauernden Pflege kann daher nicht ausgegangen werden und es wurden wiederum keine Unterlagen, weder vom Pflegebedarf und der angeblich erforderlichen Betreuung noch von der Abwicklung der Verlassenschaft, vorgelegt.

Zum Beschwerdevorbringen, eine 35tägige Abwesenheit der Bf. würde zu einer humanitären Notsituation führen, wird darüber hinaus ausgeführt, dass eine Unbilligkeit des Vollzuges der Ersatzfreiheitsstrafe nicht vorliegt, weil die Bf. auch die Möglichkeit hätte, an Stelle des Vollzuges der Ersatzfreiheitsstrafe gemeinnützige Leistungen zu erbringen, worauf sie auch hingewiesen wurde."

Die Bf. wurde zu Wahrung des Parteiengehörs um Stellungnahme und Vorlage ergänzender Informationen eingeladen und teilte in der Eingabe vom Folgendes mit:

„Ad Pkt. 1): In der Abwesenheit der Bf. war die Pflege vorwiegend von ihrem Sohn übernommen worden. Dies ist jedoch im Moment nicht aufrecht zu erhalten, da sich der Sohn wie bereits vorgebracht verletzt hat (Beinbruch), zusätzlich an den Folgen eines Bandscheibenvorfalls leidet und wegen dieser Beschwerden und der Therapie keine Pflegeleistungen für Dritte erbringen kann. Der zweite Sohn kann aufgrund seiner Arbeit und der notwendigen Anfahrtswege ebenfalls keine Pflegeleistungen im erforderlichen Ausmaß erbringen.

Ad Pkt. 2): Die Bf. beabsichtigt derzeit keine konkrete Reise nach Mexiko; dies wäre aufgrund der derzeitigen Umstände in absehbarer Zeit auch nicht realisierbar, da die Mutter aufgrund des verschlechterten Zustands nicht für längere Zeit allein gelassen werden kann.

Ad Pkt. 3): Die Bf. erhält derzeit rund € 790,- monatlich vom AMS, die zur Gänze für die Deckung einer bescheidenen Lebensführung aufgewendet werden müssen. Sonstige Verbindlichkeiten bestehen nicht.

Anbei wird der Pflegeplan über die notwendigen Pflegeleistungen übermittelt, die von der Bf. erbracht werden müssen sowie die Pflegegeldbescheide.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Rechtslage und Judikatur:

Gemäß § 187 Abs. 1 FinStrG kann bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände das Bundesministerium für Finanzen über Ansuchen des Bestraften durch die Finanzstrafbehörden verhängte Strafen ganz oder teilweise nachsehen oder Freiheitsstrafen in Geldstrafen umwandeln. Unter denselben Voraussetzungen können über Ansuchen verfallene Gegenstände und Beförderungsmittel dem früheren Eigentümer ohne Entgelt oder gegen Leistung eines Geldbetrages freigegeben werden.

Laut Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bietet die gnadenweise Nachsicht von rechtskräftig durch die Finanzbehörden verhängten Strafen die Möglichkeit, etwaige Fehler bei der Entscheidung zu beseitigen, Härten zu mildern und den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falles gerecht zu werden. Strebt ein rechtskräftig Verurteilter die gnadenweise Nachsicht der über ihn verhängten Strafe an, dann ist es seine Aufgabe, im Gnadenansuchen das Vorliegen der vom Gesetz dafür vorausgesetzten berücksichtigungswürdigen Umstände zu behaupten (; ).

Berücksichtigungswürdig nach § 187 FinStrG sind alle Gründe, die eine mildere Beurteilung der Tat erlauben. Ihre Feststellung liegt nicht im Ermessen der Behörde; erst wenn ihr Vorliegen festgestellt ist, liegt die Ausübung des Gnadenrechtes im Ermessen der Behörde (). Dabei sind bei der Beurteilung der Berücksichtigungswürdigkeit aller die Sache als solche und die Person des Bestraften betreffenden Umstände, somit auch der schon im Strafverfahren gewürdigten Tatelemente, an sich keine Schranken gesetzt, wobei allerdings davon auszugehen ist, dass der Gnadenweg eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht ersetzen oder vorwegnehmen darf ().

Hat die Behörde nach Ermittlung des Sachverhaltes berücksichtigungswürdige Umstände festgestellt, ist ihr der Weg zu der in weiterer Folge zu treffenden Ermessensentscheidung eröffnet, welche sich in den Grenzen halten muss, die das Gesetz dem Ermessen zieht, wobei § 187 FinStrG der Behörde einen besonders weiten Ermessensspielraum zur Verfügung stellt (vgl. , mwN).

Bei der Ermessensentscheidung hat die Finanzstrafbehörde die allgemeinen Rechtsgrundsätze von Billigkeit (Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei) und Zweckmäßigkeit (Angemessenheit in Bezug auf das öffentliche Interesse) unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu beachten. Hiebei sind auch die Gesichtspunkte der General- und der Spezialprävention in die Beurteilung miteinzubeziehen (vgl. ; ).

§ 187 FinStrG begründet die Befugnis, da helfend und korrigierend einzugreifen, wo die Möglichkeit des behördlichen Finanzstrafverfahrens nicht genügen ().

Die wirtschaftliche Situation für sich allein stellt noch keinen berücksichtigungswürdigen Grund dar, weil im Falle der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe an deren Stelle die Ersatzfreiheitsstrafe tritt. Aber auch der Vollzug dieser Ersatzfreiheitsstrafe stellt für sich noch keinen gnadenwürdigen Grund dar, handelt es sich doch dabei um eine vom Gesetz für alle Fälle dieser Art angeordnete Rechtsfolge (vgl. , mwN; ). Der keinen berücksichtigungswürdigen Grund darstellenden Konsequenz der Ersatzfreiheitsstrafe kann auch im Bereich des Ermessens keine Bedeutung zukommen ().

Die dauernde Mittellosigkeit des Täters und die Pflegebedürftigkeit eines nahen Angehörigen in Verbindung mit dem Fehlen einer anderen Betreuungsperson können nach Lage des Einzelfalles einen berücksichtigungswürdigen Grund für eine Strafnachsicht darstellen ().

Die Tatsache, dass jemand aus einer schlechten Vermögenslage heraus die rechtskräftig über ihn verhängte Geldstrafe nicht bezahlen kann und deshalb eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten müsse, stellt für sich allein noch keinen gnadenwürdigen Grund dar ().

Berücksichtigungswürdige Umstände:

Im gegenständlichen Fall ist festzuhalten, dass über die Bf. ausgehend von einem Strafrahmen von € 71.569,08 eine Geldstrafe von 19,56 % verhängt wurde, sich somit die Strafbemessung in der dem Gnadenverfahren zu Grunde liegenden Strafentscheidung in dem Rahmen bewegt, der in vergleichbaren Fällen üblich ist, sodass insoweit keine Korrektur im Sinne der zitierten Judikatur vorzunehmen war.

Wie vom Bundesministerium für Finanzen bereits ausgeführt, stellt die Tatsache, dass jemand die verhängte Geldstrafe nicht bezahlen kann und deshalb die Ersatzfreiheitsstrafe antreten müsste, für sich allein keinen gnadenwürdigen Umstand dar, weil es sich hierbei um die vom Gesetz für diese Fälle vorgesehene Rechtsfolge handle. Nur wenn zur Mittellosigkeit der Umstand der Pflege naher Angehöriger tritt, kann dies nach Lage des Einzelfalls einen berücksichtigungswürdigen Grund für eine Strafnachsicht darstellen, wenn während der Dauer des Vollzugs der Ersatzfreiheitsstrafe die Angehörigen mangels notwendiger Betreuungsperson ohne Aufsicht und Hilfe wären.

Soweit von der Bf. die Pflegebedürftigkeit ihrer Eltern und unter nachträglichem Anschluss von Unterlagen der Umstand, dass derzeit keine andere Person die Pflege übernehmen könnte, vorgebracht wird sowie auf die Entscheidung des , verweist, ist festzustellen, dass die Pflegebedürftigkeit der Eltern der Verurteilten einen berücksichtigungswürdigen Umstand im Sinne des § 187 FinStrG darstellt.

Ermessen:

Laut Auszug aus dem Zentralen Melderegister war die Bf. bis und von ("zugezogen von Mexiko") bis ("verzogen nach Dominikanische Republik") und seit (wieder) in Österreich mit einem Hauptwohnsitz gemeldet. Laut eigenen Angaben ist der Lebensgefährte im August 2013 in der Dominikanischen Republik verstorben, wobei sich die Bf. um die Verlassenschaft gekümmert hat.

Liegen "berücksichtigungswürdige Gründe" vor und ist damit die Voraussetzung für eine Ermessensentscheidung erfüllt, so bedeutet dies noch nicht, dass bei der diesfalls durchzuführenden Abwägung von Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsgründen vom Ermessen kein gesetzmäßiger Gebrauch gemacht wird, wenn die die Voraussetzung der Ermessensentscheidung bildenden "Gründe" nicht zugunsten der Antragstellerin "berücksichtigt" werden. Nach § 187 FinStrG hat niemand einen Rechtsanspruch auf die gnadenweise Nachsicht einer Abgabenstrafe, es besteht aber ein Anspruch auf Ermessensübung im Sinne des Gesetzes ().

Bei der hier zu treffenden Ermessensentscheidung war zu berücksichtigen, dass sich seit Erlassung des von der Bf. angesprochenen Erkenntnisses des VwGH am , 84/14/0192, zwischenzeitig in Österreich die Rechtslage gravierend geändert hat.

Einerseits darf auf die ab anzuwendende neu geschaffene Bestimmung des § 179 Abs. 3 FinStrG (BGBl. I Nr. 155/2013) verwiesen werden, wonach der Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe (deren Nachsicht hier beantragt wurde) zu unterbleiben hat, wenn die Bestrafte gemeinnützige Leistungen (§ 3a StVG) erbringt. Darüber ist eine Bestrafte in der Aufforderung zum Strafantritt zu informieren, wobei ihr auch das Ausmaß der zu erbringenden gemeinnützigen Leistung mitzuteilen ist. Für die Erbringung gemeinnütziger Leistung sind § 3a StVG und § 29b Bewährungshilfegesetz mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an Stelle des Gerichtes die Finanzstrafbehörde tritt. Die Vermittlung gemeinnütziger Leistung hat nur über Ersuchen der Bestraften zu erfolgen.

Mit dieser neuen verfahrensrechtlichen Regelung im § 179 Abs. 3 FinStrG soll dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 1070/11-10 Rechnung getragen werden, in dem dieser ausgesprochen hat, dass aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes bei verfassungskonformer Interpretation auch für den Vollzug von im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren verhängten Ersatzfreiheitsstrafen die Erbringung von gemeinnützigen Leistungen zulässig sein soll und die Bestimmungen der §§ 3 und 3a StVG grundsätzlich anwendbar sind.

In der Aufforderung zum Strafantritt vom wurde die Bestrafte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe zu unterbleiben hat, wenn sie gemeinnützige Leistungen im Ausmaß von 140 Stunden erbringen würde.

Angesichts dieser Gesetzeslage besteht für die Bf. für den Fall, dass sie nicht in der Lage ist, die Geldstrafe – wenn auch in Raten – zu bezahlen, die Möglichkeit, einen Antrag auf Erbringung gemeinnütziger Leistungen zu stellen, womit ihr auch offen steht, die von ihr nachgewiesenen Pflegeleistungen für ihre Eltern nebenbei ausreichend zu erbringen.

Andererseits wurde das Bundespflegegeldgesetz (BPGG), BGBl. Nr. 110/1993, eingeführt, wobei gemäß § 1 dieser Bestimmung das Pflegegeld den Zweck hat, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen.

Die Bf. hat in der Vorhaltsbeantwortung auch die Pflegegeldbescheide ihrer Eltern und einen Pflegeplan vorgelegt. Zu den im vorgelegten Pflegeplan dargestellten Aufgaben ist festzuhalten, dass die Bf. derzeit im gemeinsamen Haushalt der zu pflegenden Eltern wohnt. Allein für die Gartenpflege bzw. Blumen und Garten gießen wurde ein wöchentlicher Zeitaufwand von gesamt dreizehn Stunden mitgeteilt. In wie weit da ein Zusammenhang mit der Pflege der Eltern gegeben sein soll, ist nicht erkennbar, wobei zudem die Gartenpflege auch von der Jahreszeit abhängt.

Laut vorgelegten Pflegegeldbescheiden wurde für den Vater der Bf. Pflegestufe vier, für die Mutter Pflegestufe drei bewilligt. Gemäß § 5 BPGG gebührt das Pflegegeld zwölf Mal jährlich und beträgt monatlich in Stufe 3: 442,90 Euro, in Stufe 4: 664,30 Euro.

Gemäß § 4 Abs. 2 BPGG besteht Anspruch auf Pflegegeld in Höhe der Stufe 3: für Personen, deren Pflegebedarf nach Abs. 1 durchschnittlich mehr als 120 Stunden monatlich beträgt; Stufe 4: für Personen, deren Pflegebedarf nach Abs. 1 durchschnittlich mehr als 160 Stunden monatlich beträgt.

Zweifellos besteht ein Pflegeaufwand für die Eltern, doch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Sohn der Bf. S., der am 2. Febraur 2014 einen Beinbruch erlitten hat, ca. sechs Monate - so auch die Einschätzung der Bf. in der Beschwerde - nach dem Unfall in die Pflegetätigkeit, die er in Abwesenheit der Bf. allein ausgeübt hat, wieder eingebunden werden kann. Dass die Bf. als einzige Pflegeperson zur Verfügung stehen würde, trifft somit nicht mehr zu, sodass nicht nur die Bf. als mögliche Betreuungsperson der zu pflegenden Eltern zur Verfügung stehen.

Bei der Ermessensentscheidung ist auch die Ausgangslage ins Kalkül einzubeziehen: die Bf. wurde bestraft, weil sie Umsatzsteuern der Jahre 2006 bis 2008 in Höhe von € 35.784,54 hinterzogen hat. Eine Schadensgutmachung ist bisher nicht einmal ansatzweise erfolgt, vielmehr wurden die Strafbeträge infolge des Konkursverfahrens am Abgabenkonto der Bf. von der Einbringung ausgesetzt. Insgesamt sind derzeit € 101.091,00 an offenen Abgaben der Bf. von der Einbringung ausgesetzt.

Würde man dem Ansuchen der Bf. nähertreten wollen und den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe gnadenweise nachsehen (was auch eine Nachsicht der Geldstrafe bedingen würde), hätten die bestraften Handlungen der Bf. überhaupt keine Konsequenzen nach sich gezogen. Die Bf. hätte die hinterzogenen Abgaben und die verhängte Geldstrafe nicht entrichtet und müsste keine anderen Folgen wie den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe befürchten. Dass die von der Bf. bezogenen AMS-Beträge von monatlich Euro 790,00 auch von öffentlichen Abgaben und Beiträgen (die die Bf. nicht gewillt war zu entrichten) bezahlt werden, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Im Hinblick auf eine Generalprävention käme die Gewährung einer Gnadenmaßnahme bei dieser Konstellation einer Einladung für andere potentielle Finanzstraftäter gleich, dass bei Begehung von Abgabenhinterziehungen und keinerlei Zahlungen der Abgaben für eine Schadensgutmachung keine Folgen der Taten zu befürchten wären, weil man ohnehin im Gnadenweg die Strafen erlassen bekommt.

Bei Abwägung von Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsgründen war daher im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen, dass durch die Ableistung von gemeinnützigen Leistungen die zweifellos notwendige Pflege der Eltern durchaus auch unter Einbindung des Sohnes S. als wieder zur Verfügung stehender Pflegeperson gewährleistet werden könnte. Zieht man in Betracht, dass den Eltern gemeinsam (laut Pflegegeldbescheiden) Euro 1.107,20 monatlich neben den Pensionsbezügen allein an Pflegegeld zur Verfügung stehen, ließe sich damit die unbedingt notwendige Pflege der Eltern für die 35 Tage dauernde Ersatzfreiheitsstrafe, wobei pro Tag Ersatzfreiheitsstrafe ohnehin nur vier Stunden an gemeinnützigen Leistungen erbracht werden müssten (z.B. bei entsprechenden Hilfsorganisationen oder Vereinen), zweifellos organisieren.

Da die gegen die Nachsicht sprechenden Umstände überwiegen, war trotz Vorliegens von berücksichtigungswürdigen Umständen die Beschwerde aus generalpräventiven Gründen abzuweisen.

Zur Zulässigkeit der Revision

Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at