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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 22.01.2015, RV/7400038/2014

Auslegung des Begriffes "Lenker" iSd § 5 Abs 2 Wr ParkometerabgabeVO

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7400038/2014-RS1
Ist der Abschleppfahrer beim Ablassen des abzuschleppenden Fahrzeuges in diesem am Fahrersitz gesessen, hat den Zündschlüssel in die Zündung gesteckt, die Handbremse gelöst, die Lenkung betätigt und so das abzuschleppende Fahrzeug vom Abschleppwagen in die Kurzparkzone gelenkt und dort abgestellt, so ist darin ein Lenken des abgeschleppten Fahrzeugs und ein Abstellen in der Kurzparkzone zu erblicken und er als Lenker iSd § 5 Abs 2 Wr ParkometerabgabeVO anzusehen (; , und , zur Auslegung des Begriffs Lenker iSd StVO 1960 und des KFG 1967).
RV/7400038/2014-RS2
Nach § 5 Abs 2 ParkometerabgabeVO sind der Lenker, der Besitzer und der Zulassungsbesitzer Gesamtschuldner der Parkometerabgabe. Es liegt im Ermessen der Behörde, ob sie das Leistungsgebot an einen der Gesamtschuldner und an welchen Gesamtschuldner oder an mehrere oder an alle Gesamtschuldner richten will (). Bei der Ermessensübung sind Wesen und Zweck von Gesamtschuldverhältnissen zu beachten, insbesondere werden die Intensität der Bindung und Gemeinsamkeit, die in der Folge zur Gesamtschuld führte, die jeweilige Situation, die das Gesamtschuldverhältnis auslöste, und die Besonderheiten der Tatbestandsverwirklichung, ferner das Ausmaß der Verantwortlichkeit der Einzelnen, aber auch das der Vorteile (Bereicherung), die von den Einzelnen geschöpft wurden, von Bedeutung sein (). Im Hinblick auf § 5 Abs 2 Wr ParkometerabgabeVO und § 3 Abs 1 KontrolleinrichtungsVO wird grundsätzlich der Lenker des abgestellten Kraftfahrzeuges in Anspruch zu nehmen sein und nur im begründeten Einzelfall der Besitzer oder Zulassungsbesitzer.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache des Bf1, (Erstbeschwerdeführer) und des der Beschwerde gegen den Bescheid des Magistrat der Stadt Wien - Abteilung 6 - Rechnungs-und Abgabenwesen DII vom , MA 6***, beigetretenen Bf2, (Zweitbeschwerdeführer) zu Recht erkannt:

I. Der Antrag des Erst-Bf auf Verfahrenshilfe wird zurückgewiesen.

II. Der Beschwerde wird Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

III. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

Entscheidungsgründe

I. Antrag auf Verfahrenshilfe:

Im Bereich des Abgabenverfahrensrechtes (Bundesabgabenordnung) besteht - im Gegensatz zum Zivilverfahren - keine Möglichkeit auf Verfahrenshilfe. Da die Beigabe einer Verfahrenshilfe in der Bundesabgabenordnung nicht vorgesehen ist, erweist sich der darauf gerichtete Antrag als unzulässig.

II. zur Sache

Dem Erstbeschwerdeführer (idF: Erst-Bf) als Zulassungsbesitzer wird seitens des Magistrats der Stadt mit dem im Spruch bezeichneten Abgabenbescheid für das Abstellen des mehrspurigen Kfz mit dem behördlichen Kennzeichen laut angefochtenem Bescheid in dem Abstellzeitraum vom , 09:00 Uhr, bis , 17:51 Uhr, in der im angefochtenen Bescheid angeführten Wiener Kurzparkzone Parkometerabgabe iHv EUR 70,00 vorgeschrieben.

Der Abgabenbetrag setzt sich wie folgt zusammen:

Für Montag, , für die Dauer von 09:00 bis 22:00, Dauer 13 Stunden, EUR 26,00;
für Dienstag, , für dieselbe Dauer nochmals EUR 26,00 und
für Mittwoch, , für die Dauer von 09:00 bis 18:00 EUR 18,00.

Die Inanspruchnahme wird auf § 5 Abs 2 Parkometerabgabenverordnung des Wr. Gemeinderates, ABl für Wien, Nr 51/2005, idgF, (Wr ParkometerabgabenVO) gestützt. Leg. cit. normiere für den Personenkreis Lenker, Besitzer und Zulassungsbesitzer ein Gesamtschuldverhältnis. Da das Fahrzeug wegen der Abschleppung nicht durch einen Lenkvorgang und folglich nicht durch einen Lenker in der Kurzparkzone, ohne es mit einem entsprechend entwerteten Parkschein versehen zu haben, abgestellt worden sei, sei der Bf aus dem Gesamtschuldverhältnis als einzig verbleibende mögliche Person als Zulassungsbesitzer in Anspruch zu nehmen. Das Kfz des Erst-Bf sei durch einen Abschleppwagen des ÖAMTC abgeschleppt worden, aber bei diesem Vorgang existiere kein „Lenker“ im eigentlichen Sinn hinsichtlich des abzuschleppenden Wagens, denn der Abschleppfahrer sei der Lenker des Abschleppwagens, und nicht des abgeschleppten Kfz des Erst-Bf. Auf ein Verschulden komme es im Fall der Nachverrechnung der Parkgebühr nicht an.

In seiner form- und fristgerechten Beschwerde vom trägt der Erst-Bf vor, dass seine Inanspruchnahme ungerechtfertigt sei, weil er sein Kfz in die Gewahrsame des ÖAMTC gegeben hätte, weil dieses eine Panne gehabt hätte. Den ÖAMTC habe der Erst-Bf beauftragt, sein Kfz IN eine näher bezeichnete Werkstätte zu bringen. Stattdessen habe der ÖAMTC sein Kfz aber VOR der Werkstatt in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone abgestellt, ohne ihn oder die Werkstätte zu verständigen. Für die Entstehung der Abgabenschuld trage folglich allein der ÖAMTC die Verantwortung, weshalb richtigerweise der ÖAMTC für die Nachverrechnung der Parkgebühren heranzuziehen sei, sodass die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt werde.

Die belangte Behörde (belBeh) spricht über die Beschwerde mit Berufungsvorentscheidung vom ab und führt darin aus, dass das Gesamtschuldverhältnis durch privatrechtliche Vereinbarungen nicht ausgeschlossen werden könne. Da wegen des Abschleppvorgangs kein Lenker im Rechtssinne hinsichtlich des Kfz des Erst-Bf gegeben sei, verbleibe von den gesamtschuldnerisch verbundenen Personen nur der Erst-Bf als Zulassungsbesitzer. Durch dieses Faktum habe die belBeh keinen Ermessensspielraum, auf eine andere Person zu greifen.

Mit zwei als Beschwerde und Einspruch bezeichneten Schriftsätzen vom erhebt der Erst-Bf Vorlageantrag und betont nochmals, dass der ÖAMTC die Verantwortung für die Entstehung der Parkometerabgabenschuld trage, weil er nicht gewusst habe, dass sein Kfz vom ÖAMTC in einer Kurzparkzone abgestellt worden sei. Vielmehr trage der ÖAMTC allein die Verantwortung und deshalb sei es nur rechtens, wenn der ÖAMTC herangezogen werde. Da sich das Kfz nicht in seiner Gewahrsame befunden habe, er mit dem Vorfall also überhaupt nichts zu tun hatte, sei seine Inanspruchnahme rechtswidrig. Wenn nicht der ÖAMTC als Rechtsperson herzuziehen sei, so sei der Fahrzeuglenker des Abschleppwagens heranzuziehen, weil dieser das Kfz verbotener Weise in der Kurzparkzone abgestellt habe. Die Behörde hätte die Pflicht gehabt, den Täter, der sein Kfz dort abgestellt habe, zu eruieren, und nicht einfach den Zulassungsbesitzer zu bestrafen. Er als Zulassungsbesitzer habe kein Vergehen begangen, da er erstens nicht gefahren sei und er für sein Kfz einen Parkschein nach § 29b StVO besitze, weil er zu 80% behindert sei. Deshalb sei der Erst-Bf auch immer mit einer Begleitperson unterwegs. Er selbst sei aufgrund seiner Behinderung ein Fahrzeug zu lenken nicht in der Lage.

Darüber hinaus beantragt der Erst-Bf die Beigabe eines Rechtsvertreters im Wege der Verfahrenshilfe.

In mündlichen Stellungnahmen unterstreicht die belBeh, dass im Rahmen der Ermessensübung im Normalfall der Lenker herangezogen werde, weil dieser jene Person sei, die den Sachverhalt verwirklicht, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft. Im Fall eines Abschleppwagens gebe es aber für den abgeschleppten Wagen keinen Lenker, sondern nur der Abschleppwagen werde gelenkt. Unstrittig sei der Erst-Bf beim Abschleppvorgang nicht dabei gewesen. Der Begriff „Lenker“ werde von der StVO nicht näher bestimmt, doch werde zur Auslegung auf folgende Judikatur zurückgegriffen:

Nach , liege auch dann ein „Lenken“ iSd § 5 Abs 1 StVO vor, wenn der Lenker des abzuschleppenden Fahrzeuges, wenn auch in eingeschränktem Maße, die für das Lenken vorhandenen Einrichtungen während der Bewegung des abzuschleppenden Fahrzeuges betätige.

Laut , sei unter „Lenken eines Kfz“ im Sinne des § 64 Abs 1 KFG schlechterdings die Betätigung der hiefür vorgesehenen Einrichtung eines in Bewegung befindlichen Kraftfahrzeuges zu verstehen, wobei es gleichgültig sei, ob der Antriebsmotor in Bewegung sei oder nicht.

Nach , sei auch dann „Lenken“ iSd § 5 Abs 1 StVO gegeben, wenn die Person den Zündschlüssel ins Schloß des Fahrzeuges gesteckt, die Lenkradsperre und die Automatik gelöst habe dabei „so halb“ im Fahrzeug gesessen, mit einem Fuß im Fahrzeug und mit dem anderen auf der Straße gewesen und die Lenkung bedient und mit einer oder mehreren Personen das Fahrzeug in eine näher angeführte Gasse zurückgeschoben habe, wobei der Motor des Fahrzeuges dabei nicht gelaufen sei.

Zusammengefasst lassen sich daher nach Ansicht der belBeh zum Begriff „Lenken“ folgende Fakten anführen:

  • „Lenken“ ist von „Inbetriebnahme“ zu differenzieren;

  • es ist nicht notwendig, dass der Motor läuft;

  • der Lenker muss nicht im Fahrzeug sitzen, es reicht auch, wenn er von außen das Fahrzeug schiebt;

  • von Bedeutung ist aber, dass der Lenker dabei die Lenkereinrichtung (hier: das Lenkrad) anfasst und daher das Fahrzeug lenkt.

Am findet zur Klärung der Sachverhaltsfrage, wie das Kraftfahrzeug des Erst-Bf vom Abschleppwagen in die Kurzparkzone gelangt ist, die von Amts wegen anberaumte mündliche Verhandlung statt, zu der der Abschleppfahrer geladen ist. Die belBeh ist durch ihren Amtsvertreter vertreten.

Der Abschleppfahrer wird über die Rechte als Zeuge und über die Möglichkeit, als potentieller Gesamtschuldner der Beschwerde als weiterer Beschwerdeführer beizutreten, belehrt. Der Abschleppfahrer gibt sodann niederschriftlich eine Beitrittserklärung ab (Zweitbeschwerdeführer bzw. Zweit-Bf). Zum Be- und Abladevorgang gibt der Zweit-Bf wörtlich an, dass das abzuschleppende Auto während der Abschleppung durch Anziehen der Seilwinde, Einlegen eines Ganges und Anziehen der Handbremse fixiert sei. Zum Ablassen des Autos vom Abschleppwagen sei es notwendig, dass er die Lenkung betätige und zwar sowohl dann, wenn das Auto gerade in die Kurzparkzone gestellt werden kann als auch bei beengtem Platzangebot.

Der Zweit-Bf habe das Auto des Erst-Bf vor der Werkstatt in die Kurzparkzone gestellt, weil die Abschleppung an einem Sonntag stattgefunden habe. Welche Zusagen der Kollege beim ÖAMTC-Telefondienst dem Erst-Bf gemacht habe, wisse er nicht. An Wochentagen würden die defekten Wagen auf das Gelände des jeweiligen Zielobjekts gestellt. Seitens des Arbeitgebers des Zweit-Bf würden die Abschleppfahrer nicht mit Kurzparkscheinen ausgestattet.

Der Amtsvertreter erklärt, dass die belBeh nunmehr den Zweit-Bf als Lenker in Anspruch nehmen werde. Die Tilgung der Gesamtschuld sei für die Entscheidung über gegenständliche Beschwerde abzuwarten. Die Verhandlung wird mit der Verkündung des Beschlusses, dass die Entscheidung der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten bleibe, beendet.

Die belBeh berichtet, dass der Zweit-Bf am die Parkometerabgabe entrichtet hat und dass der gegen den Zweit-Bf erlassene Abgabenbescheid vom nunmehr rechtskräftig sei.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

II. Abgabenbescheid - Parkometerabgabe:

Rechtsgrundlagen:

Gemäß § 25 Abs 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) 1960 kann die Behörde unter den näher bestimmten Voraussetzungen Kurzparkzonen einrichten.

Gemäß § 25 Abs 3 StVO hat der Lenker beim Abstellen eines mehrspurigen Fahrzeuges in einer Kurzparkzone das zur Überwachung der Kurzparkdauer bestimmte Hilfsmittel bestimmungsgemäß zu handhaben.

§ 1 Abs 1 Gesetz über die Regelung der Benützung von Straßen durch abgestellte mehrspurige Kraftfahrzeuge (Wr Parkometergesetz 2006) normiert gestützt auf § 25 StVO eine Verordnungsermächtigung für die Gemeinde Wien zur Erhebung einer Parkometerabgabe.

Gemäß § 1 Abs 4 Wr Parkometergesetz 2006 ist, wenn die Abgabepflicht bestritten wird, ein Abgabenbescheid zu erlassen.

Gemäß § 3 Abs 1 Verordnung des Wiener Gemeinderates über die Art der zu verwendenden Kontrolleinrichtungen in Kurzparkzonen (Wr Kontrolleinrichtungsverordnung) haben Abgabepflichtige, die ein mehrspuriges Kraftfahrzeug in einer Kurzparkzone abstellen, dafür zu sorgen, dass es während der Dauer seiner Abstellung mit einem richtig angebrachten und richtig entwerteten Parkschein gekennzeichnet ist.

Gemäß § 1 Abs 1 Wr Parkometerabgabeverordnung ist für das Abstellen von mehrspurigen Kraftfahrzeugen in Kurzparkzonen (§ 25 StVO 1960) eine Abgabe zu entrichten.

Gemäß § 1 Abs 2 Z 1 Wr Parkometerabgabeverordnung umfasst der Begriff "Abstellen" sowohl das Halten iSd § 2 Abs 1 Z 27 StVO 1960 als auch das Parken iSd § 2 Abs 1 Z 28 StVO 1960 von mehrspurigen Kraftfahrzeugen.

Zur Entrichtung der Parkometerabgabe sind gemäß § 5 Abs 2 Wr ParkometerabgabeVO der Lenker, der Besitzer und der Zulassungsbesitzer zur ungeteilten Hand verpflichtet. Jeder Lenker, der ein mehrspuriges Kraftfahrzeug in einem Gebiet abstellt, für das eine Abgabepflicht besteht, hat die Parkometerabgabe bei Beginn des Abstellens des Fahrzeuges zu entrichten. Die Lenker haben bei der Durchführung der angeordneten Kontrollmaßnahmen mitzuwirken.

Gemäß § 6 Abs 1 Bundesabgabenordnung (BAO) sind Personen, die nach Abgabenvorschriften dieselbe abgabenrechtliche Leistung schulden, Gesamtschuldner (Mitschuldner zur ungeteilten Hand, § 891 ABGB).

§ 891 ABGB bestimmt: Versprechen mehrere Personen ein und dasselbe Ganze zur ungetheilten Hand dergestalt, daß sich Einer für Alle, und Alle für Einen ausdrücklich verbinden; so haftet jede einzelne Person für das Ganze.

Gemäß § 20 BAO müssen sich Ermessensentscheidungen in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.

Sachverhaltsfeststellung:

Der Zweit-Bf ist als Abschleppfahrer beim Ablassen des abzuschleppenden Fahrzeugs vom Abschleppwagen in ersterem auf dem Fahrersitz gesessen, hat dabei die Lenkung bedient, den Zündschlüssel in das Zündschloss gesteckt, die Handbremse gelöst und solcherart das abzuschleppende Fahrzeug des Erst-Bf in die Kurzparkzone vor der Werkstatt gelenkt. Damit hat er das Kfz in der Kurzparkzone abgestellt. Der Abstellvorgang ist an einem Sonntag erfolgt. Der Zweit-Bf hat für die am darauffolgenden Montag ab 9:00 Uhr eintretende Parkometerabgabenpflicht vorsorglich keinen Parkschein entwertet. Seitens seines Dienstgebers werden ihm keine Parkometerscheine zur Verfügung gestellt.

Beweiswürdigung: Die Sachverhaltsfeststellung ergibt sich schlüssig durch die Aussage des Zweit-Bf.

rechtlich folgt:

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Wesen der Gesamtschuld ist, dass der Abgabengläubiger die Mitschuldner nicht nur anteilsmäßig in Anspruch nehmen darf, sondern dass er auch die gesamte Schuld nur einem einzigen (einigen, allen) der Gesamtschuldner gegenüber geltend machen darf. Ist die gesamte Schuld (zB durch einen der Gesamtschuldner) entrichtet, so erlischt das Gesamtschuldverhältnis (Ritz, BAO, 5. überarbeitete Auflage, § 6, Tz 2, ). Der gegenüber dem Zweit-Bf ergangene Abgabenbescheid ist rechtskräftig und der Abgabenbetrag von diesem entrichtet worden. Damit ist das Gesamtschuldverhältnis erloschen. Diese Leistung hat daher den Erst-Bf von der Gesamtschuld befreit. Bereits aus diesem Grund ist der angefochtene Bescheid aufzuheben.

Nach § 5 Abs 2 ParkometerabgabeVO (vormals § 1 Abs 3 Wr ParkometerG) sind der Lenker, der Besitzer und der Zulassungsbesitzer Gesamtschuldner der Parkometerabgabe. Es liegt im Ermessen der Behörde, ob sie das Leistungsgebot an einen der Gesamtschuldner und an welchen Gesamtschuldner oder an mehrere oder an alle Gesamtschuldner richten will (). Bei der Ermessensübung sind Wesen und Zweck von Gesamtschuldverhältnissen zu beachten, insbesondere werden die Intensität der Bindung und Gemeinsamkeit, die in der Folge zur Gesamtschuld führte, die jeweilige Situation, die das Gesamtschuldverhältnis auslöste, und die Besonderheiten der Tatbestandsverwirklichung, ferner das Ausmaß der Verantwortlichkeit der Einzelnen, aber auch das der Vorteile (Bereicherung), die von den Einzelnen geschöpft wurden, von Bedeutung sein ().

In der Beschwerde vertritt der Erst-Bf die Auffassung, dass er als die Abgabepflicht auslösenden Tatbestand nicht verwirklichende Person zu Unrecht in Anspruch genommen wird. Damit rügt er die von der belBeh geübte Ermessensentscheidung, dass sie nicht erhoben habe, ob der Abschleppfahrer als Lenker auch seines Kraftfahrzeugs anzusehen ist.

Der ÖAMTC als Partner des Abschlepp- und Verwahrungsvertrages hingegen konnte von der Behörde gar nicht in Anspruch genommen werden, weil die Behörde aufgrund des Legalitätsprinzips gem Art 18 Abs 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) an den vom Gesetz normierten Personenkreis der Gesamtschuldner gebunden ist. Der ÖAMTC ist weder als Lenker, denn als Lenker kommt nur eine natürliche Person in Betracht, noch als Besitzer anzusehen. Der ÖAMTC als Rechtsperson ist Partner eines zivilrechtlichen Vertrages und mit dem Erst-Bf folglich schuldrechtlich verbunden und hatte (anders als ein Leasingnehmer) als solcher den Pkw des Erst-Bf lediglich in seiner Gewahrsame.

Die Wr Parkometerabgabeverordnung regelt, dass unter dem Begriff "Abstellen" die in der StVO 1960 näher bestimmten Begriffe des "Haltens" und "Parkens" zu verstehen sind. Der Begriff "Lenker" wird weder in der StVO 1960 noch im KFG 1967 noch in der Wr Parkometerabgabenverordnung erläutert. Da die die Wr Parkometerabgabepflicht regelnden Normen auf landes- und gemeindegesetzlicher Ebene in § 25 StVO 1960 ihre gesetzliche Verankerung finden, kann die zum Begriff des Lenkers iSd StVO 1960 und zum KFG 1967 ergangene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch zur Auslegung des Begriffes des Lenkers iSd § 5 Abs 2 ParkometerabgabenVO herangezogen werden. Demnach hat die belBeh zu Recht auf die von ihr mündlich ins Treffen geführte Judikatur verwiesen.

Ist der Abschleppfahrer beim Ablassen des abzuschleppenden Fahrzeuges in diesem am Fahrersitz gesessen, hat den Zündschlüssel in die Zündung gesteckt, die Handbremse gelöst, die Lenkung betätigt und so das abzuschleppende Fahrzeug vom Abschleppwagen in die Kurzparkzone gelenkt und dort abgestellt, so ist darin ein Lenken des abgeschleppten Fahrzeugs und ein Abstellen in der Kurzparkzone zu erblicken und er als Lenker iSd § 5 Abs 2 Wr ParkometerabgabeVO anzusehen (; , und ).


In seinem Erkenntnis VwGH 98/17/0160 hat der Verwaltungsgerichtshof eine typisierende Ermessensübung, wonach generell und ohne Auseinandersetzung mit dem Einzelfall aus dem Gesamtschuldverhältnis der Zulassungsbesitzer heranzuziehen sei, als rechtswidrig erkannt. Die von der belBeh im Laufe des Beschwerdeverfahrens vorgetragene Rechtsanschauung, zunächst den Lenker heranzuziehen, weil dieser jene Person ist, die den die Parkometerabgabepflicht auslösenden Tatbestand verwirklicht hat, steht daher im Einklang mit der Judikatur des VwGH. Diese Ermessensübung berücksichtigt weiters § 3 Abs 1 Wr KontrolleinrichtgungsVO und § 5 Abs 2 S 2 Wr ParkometerabgabeVO, die die Verpflichtung für einen richtig ausgefüllten und richtig entwerteten Parkschein dem Abgabenpflichtigen, der das Kraftfahrzeug in einer Kurzparkzone abstellt, bzw dem Lenker auferlegt.

Die vom Bf ins Treffen geführten Missverständnisse, wohin und wann genau sein Kraftfahrzeug vom ÖAMTC hätte abgeschleppt werden sollen, und der Vorwurf der Verletzung von aus dem Schuldverhältnis resultierenden Sorgfaltspflichten sind im gegenständlichen Fall für die Ermessensübung ohne Belang. Ob hier tatsächlich ein Erklärungsirrtum unterlaufen ist und inwieweit durch eine (noch nicht erwiesene) Verletzung von Sorgfaltspflichten eine Schadenersatzpflicht des ÖAMTC entstanden sein könnte, wäre in einem Zivilprozess zwischen dem Erst-Bf und dem ÖAMTC vor den ordentlichen Gerichten zu klären.

Könnte daher der Abschleppfahrer, weil er beispielsweise unbekannt verzogen ist, nicht als Gesamtschuldner von der belBeh beansprucht werden, dürfte und müsste daher die belBeh den Erst-Bf als Zulassungsbesitzer auf Grundlage des § 5 Abs 2 Wr ParkometerabgabenVO heranziehen. Aus diesem Grund waren die Rechtskraft des an den Zweit-Bf ergangenen Abgabenbescheides und die Abgabenentrichtung durch den Zweit-Bf abzuwarten.

Aus den zuvor genannten Gründen könnte der Erst-Bf diesfalls auf Grundlage des Abschleppvertrages bei Verletzung von Sorgfaltspflichten ein Regressrecht gegenüber dem ÖAMTC geltend machen. Nur für den (hier unwahrscheinlichen) Fall, dass die Verletzung von Sorgfaltspflichten des ÖAMTC zu bejahen wären und der Erst-Bf dennoch nicht beim ÖAMTC Regress nehmen könnte, könnte in diesem Vorbringen Unbilligkeit erblickt werden.

Auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid braucht daher nicht näher eingegangen zu werden.

III. Zulässigkeit einer Revision

Gemäß Art 133 Abs 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da die gegenständlich einzig interessierende Frage, wer als Lenker (hier iSd § 5 Abs 2 Wr ParkometerabgabenVO) anzusehen ist, vom Verwaltungsgerichtshof für den Bereich der StVO 1960 und des KFG 1967 mehrfach und widerspruchsfrei entschieden wurde (; , und ), war die ordentliche Revision auszuschließen.

Es war daher in allen Spruchpunkten spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

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Materie
Landesabgaben Wien
betroffene Normen
§ 3 Abs. 1 Wiener Kontrolleinrichtungenverordnung, ABl. Nr. 33/2008
§ 5 Abs. 2 Wiener Parkometerabgabeverordnung, ABl. Nr. 51/2005
§ 6 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 891 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2015:RV.7400038.2014

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at