Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 27.02.2014, RV/2100121/2013

Nachsichtsgewährung bei geringen Einkünften und hohen anderen Verbindlichkeiten

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesfinanzgericht hat durch


den Richter
XY

in der Beschwerdesache Bf. gegen den Bescheid des Finanzamtes Judenburg-Liezen vom , betreffend Nachsicht von Abgaben zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Antrag vom ersuchte die Beschwerdeführerin (Bf.) das Finanzamt um Nachsicht des offenen Abgabenrückstandes von 4.423,02 €. Sie führte aus, sie hätte monatlich so viele finanzielle Verpflichtungen, dass sie keine weitere Ratenzahlung leisten könne.

Sie habe 2012 in einem Autohaus eine Anstellung gefunden. Auf Grund ihrer jahrelangen Selbständigkeit hätten sich immer mehr Schulden aus Krediten und Kontoüberziehungen angehäuft. Durch die Anstellung habe sie einen Neubeginn machen können, wobei sie auf die Hilfe ihres Mannes und ihrer Mutter angewiesen sei.

Sie bezifferte ihre monatlichen Ratenverpflichtungen mit rund 1.400 €, die sie mit ihrem Monatseinkommen von rund 1.100 € nicht bedienen könne. Daher sei es ihr nicht möglich, Zahlungen auf den aushaftenden Abgabenrückstand zu leisten. Dem Ansuchen waren fragmentarische Ablichtungen von Kontoausdrucken verschiedener Banken angeschlossen.

Im angefochtenen Bescheid wurde das Nachsichtsansuchen abgewiesen und begründend ausgeführt, eine Nachsichtsgewährung würde sich aus der Sicht des Finanzamtes nur zugunsten anderer Gläubiger auswirken und dabei auf die Judikatur des VwGH (, 92/16/0103; , 93/17/0007; , 99/16/0099) verwiesen, weshalb in Ausübung des abgabenbehördlichen Ermessens so zu entscheiden gewesen wäre.

In ihrer beim damaligen Unabhängigen Finanzsenat überreichten Berufung verwies die Bf. nochmals auf ihre wirtschaftlich angespannte Situation und die Unmöglichkeit der ratenweisen Abstattung der entstandenen Steuerschuld. Ihre Gläubigerbanken fanden sich bisher lediglich bereit die monatsweisen Tilgungen teilweise auszusetzen. Auf Grund ihres geringen Einkommens sei ihr dies nicht mehr möglich. Es liege eine persönliche Unbilligkeit mit extremen Härten vor, weshalb die Abgaben zu erlassen wären.

In der weiteren Folge wurden vom Finanzamt die wirtschaftlichen Verhältnisse entsprechend dem Formblatt (EV 7) erhoben. Daraus geht im Wesentlichen Folgendes hervor:

Die Bf. und ihr Ehegatte verdienten 1.027 € bzw. 1.650 € monatlich (zusammen 2.677 €). Die Höhe der gemeinsamen monatlichen Fixkosten wie z.B. Miete, Betriebskosten, Strom/Gas, Versicherungen, Kraftfahrzeug, Telefon etc. werden mit 1.275 € angegeben, wozu weitere persönliche Lebenshaltungskosten in unbekannter Höhe kommen.

An wesentlichen Vermögenswerten sind ein 6-7 Jahre alter Laptop, Miteigentum an einer gebrauchten Wohnungseinrichtung (1989), sowie der Anteil am Ehegattenwohnungseigentum vorhanden. Die Schulden werden mit 168.400 €, hiervon 125.500 € Hypothekardarlehen für die Eigentumswohnung angegeben. Für diese Verbindlichkeiten werden 1.709 € an monatlichen Raten entrichtet, wobei für zwei Kredite lediglich Zinszahlungen erfolgen. Außerdem habe der Ehegatte noch zusätzlich 250 € für einen persönlichen Kredit zu leisten.

In einer ergänzenden Email vom teilte die Bf. mit, sie habe auf Grund von Einsparungen ihren Arbeitsplatz verloren und beziehe nunmehr 26,94 € täglich an Arbeitslosenunterstützung (808,20 €/mtl.), womit sie ca. 200 € weniger monatlich zur Verfügung habe.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Auf Grund des aufgenommenen Vermögensverzeichnisses werden die Verbindlichkeiten bei anderen Gläubigern mit rund 168.400 € beziffert. Die nachsichtsgegenständlichen Abgaben betragen 4.423,02 €. Bezogen auf die Gesamtverbindlichkeiten von 172.823,02 € machen die Abgabenschulden rund 2,6% aus.

Die Festsetzung der Umsatzsteuer und Einkommensteuer 2011 steht nicht im Widerspruch zur Rechtsordnung und ist eine allgemeine Auswirkung der Anwendung allgemeiner gesetzlichen Vorschriften, die jeden Steuerpflichtigen gleichermaßen treffen. Zu dem kommt noch, dass fast 80% des nachzusehenden Betrages auf nichtentrichtete Umsatzsteuer, die ohnedies abzuführen gewesen wäre, entfällt.

Schwierige wirtschaftliche Verhältnisse, wirtschaftliche Notlagen, die die Existenz des Abgabepflichtigen zu gefährden drohten, könnten die persönliche Unbilligkeit der Einhebung indizieren. Die Frage, ob die Existenz der Person des Abgabepflichtigen gefährdet sei, ist nach der Einkommens- und Vermögenslage (und nach der voraussichtlichen Entwicklung) ohne Abzug der zu entrichtenden Abgaben zu beurteilen. Grundsätzlich ist der Abgabepflichtige gehalten, für die Zahlung der Abgaben vorzusorgen. Bei der Gebarung der Umsatzsteuer fungiert der Unternehmer wirtschaftlich als Beauftragter der Abgabenbehörde, der sie zu berechnen und an den Staat abzuführen hat.

Betrachtet man die vorgestellten wirtschaftlichen Verhältnisse machen die Abgabenschulden lediglich eine Quote von ca. 2,6% der Gesamtverbindlichkeiten aus. Angesichts der absoluten und relativen Höhe kann daraus nicht abgeleitet werden, die Entrichtung der Abgaben habe existenzbedrohende Auswirkungen, um eine persönliche Unbilligkeit zu begründen.

Abgesehen davon ist die wirtschaftliche Monatsgebarung als wenig nachvollziehbar zu beurteilen, denn bei einem gemeinsamen Haushaltseinkommen der Eheleute von ca. 2.677 € werden Fixkosten für Wohnung und diverse Ratentilgungen von 3.274 € ins Treffen geführt. Bei vorsichtiger Schätzung von monatlichen weiteren Lebenshaltungskosten für den persönlichen Bedarf von 400 € ergibt sich eine monatliche Unterdeckung von 957 €, die wiederum durch Aufnahme von Neuschulden finanziert werden müsste. Weiters ist festzustellen, dass die bekannt gegebenen Gläubiger zumindest irgendwelche, wenn auch kleine Monatsraten erhalten, während die Abgabenbehörde auf die schlechte wirtschaftliche Situation verwiesen wird. Dies lässt den Schluss zu, dass die Bf. zwar bereit ist, die Bankverbindlichkeiten irgendwie zu bedienen, der Abgabengläubiger jedoch auf seine Forderung verzichten möge.

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Die Unbilligkeit im Sinn des § 236 BAO kann persönlicher oder sachlicher Natur sein (§ 1 der zu § 236 BAO ergangenen Verordnung BGBl. II Nr. 435/2005). Eine persönliche Unbilligkeit liegt nach § 2 dieser Verordnung insbesondere vor, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Angehörigen gefährden würde (Z 1) oder mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, etwa wenn die Entrichtung der Abgabenschuldigkeit trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Vermögensveräußerung möglich wäre und dies einer Verschleuderung gleichkäme (Z 2).

Eine sachliche Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anomalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt ().

Im Falle eines Ansuchens um Nachsicht hat die Abgabenbehörde zuerst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" entspricht. Verneint sie diese Frage, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr; demnach ist der Antrag abzuweisen ().

Im Nachsichtsverfahren ist es Sache des Nachsichtswerbers, im Sinne der ihn treffenden Mitwirkungspflicht einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann ().

Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgeführt hat, liegt persönliche Unbilligkeit dann vor, wenn gerade die Einhebung der Abgaben die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner Familie gefährdet oder die Abstattung mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten (so insbesondere einer Vermögensverschleuderung) verbunden wäre. Die deutlichste Form der persönlichen Unbilligkeit liegt in der Existenzgefährdung. Diese müsste gerade durch die Einhebung der Abgabe verursacht oder entscheidend (auch) mitverursacht sein.

Persönliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung ist nach der ständigen Rechtsprechung (jedenfalls) dann nicht gegeben, wenn die finanzielle Situation eines Abgabenschuldners so schlecht ist, dass auch die Gewährung der beantragten Nachsicht keinen Sanierungseffekt hätte (). Eine solche Unbilligkeit ist also dann nicht anzunehmen, wenn sich an der Existenzgefährdung des Abgabenschuldners nichts ändert, gleichgültig, ob die fraglichen Abgabenschuldigkeiten eingehoben würden oder nicht. Vielmehr muss die wirtschaftliche Existenz gerade durch die Einbringung der gegenständlichen Abgaben gefährdet sein ().

Die Abgabenverbindlichkeiten machen unstrittig einen lediglich geringen Teil (2,6%) der Gesamtverbindlichkeiten aus. Damit könnte aber - auf der Grundlage der festgestellten und von der Bf. vorgebrachten Einkommens- und Vermögensverhältnisse - alleine die beantragte Nachsicht der Abgaben nichts an der Existenzgefährdung der Bf. ändern (). Ein einsichtiger Schulderlass würde lediglich anderen Gläubigern zu Gute kommen und wäre auch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aller Gläubiger.

Wenn das monatliche Gesamteinkommen der Bf. den geltenden unpfändbaren Freibetrag nicht übersteigt und sohin die Einbringlichkeit des Rückstandes nicht gegeben ist, liegt eine Unbilligkeit der Einhebung im Sinne des § 236 BAO nicht vor, weil es infolge der Uneinbringlichkeit der Abgabenschulden zu keiner Auswirkung der Abgabeneinhebung auf die Einkommens- und Vermögenslage des Beschwerdeführers kommen kann ( mit Hinweis auf ).

Da es im vorliegenden Fall schon an den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für eine Abgabennachsicht fehlt, bleibt für eine Ermessensentscheidung kein Raum, und war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision:

Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis nicht von der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 236 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
persönliche Unbilligkeit, andere Gläubiger, Sanierungseffekt, Existenzgefährdung
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2014:RV.2100121.2013

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at