War die Zurückweisung von Aussetzungsanträgen zulässig?
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch R1, R2 und die fachkundigen Laienricheter L1 und L2 im Beisein der Schriftführerin D. in der Beschwerdesache A.B., Adresse1 , vertreten durch Prof. Dr. Thomas Keppert, WT Wirtschaftsprüfung GmbH & Co KG, Theobaldgasse 19, 1060 Wien, über die Beschwerden vom und gegen die Bescheide des Finanzamtes Baden Mödling vom und vom , betreffend Zurückweisung der Anträge auf Aussetzung der Einhebung vom und vom am in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Den Beschwerden wird Folge gegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben.
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Mit Eingabe vom brachte der nunmehrige Beschwerdeführer (im Folgenden kurz Bf. genannt) einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO betreffend Einkommensteuer für die Jahre 1999 und 2000 ein.
Diesen Antrag wies das Finanzamt mit Bescheid vom mit der Begründung zurück, dass der Wiederaufnahmeantrag nicht fristgerecht gemäß § 304 BAO eingebracht worden sei.
Dagegen brachte der Bf. am eine Berufung ein und beantragte mit Eingabe vom die Aussetzung der Einhebung der Einkommensteuer 1999 in Höhe von Euro 90.778,18, der Einkommensteuer 2000 in Höhe von Euro 88.816,31, der Anspruchszinsen 2000 in Höhe von Euro 11.277,16, der Anspruchszinsen 2008 in Höhe von Euro 17.460,66 sowie der Aussetzungszinsen 2012 in Höhe von Euro 27.038,38 bis zur Erledigung der Berufung gegen den genannten Zurückweisungsbescheid.
Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Aussetzungsantrag mit der Begründung zurück, dass ein im Zusammenhang mit einem Wiederaufnahmeantrag bzw. dessen Zurückweisung eingebrachter Aussetzungsantrag unzulässig sei, da er nicht im Zusammenhang mit einer Berufung gegen einen Bescheid, der eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar zur Folge habe, stehe.
In der gegen diesen Zurückweisungsbescheid eingebrachten Berufung, welche nunmehr gemäß § 323 Abs. 38 BAO als Beschwerde gilt, führte die steuerliche Vertretung des Bf. aus, dass die Ansicht der Abgabenbehörde, dass ein Berufungsverfahren gegen einen Wiederaufnahmebescheid zu keiner mittelbaren Abhängigkeit der Einhebung einer Abgabe von der Erledigung einer Berufung führe, unrichtig sei. Abgaben, deren Höhe mittelbar von der Erledigung einer Abgabe abhängen, seien nach h.A. alle diejenigen, die im Falle einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Berufungserledigung von Amts wegen oder auf Antrag des Abgabepflichtigen zwingend herabzusetzen seien oder deren Festsetzung diesfalls überhaupt aufzuheben sei (Ritz, BAO4, § 212a, RZ 7 mit beispielhaftem Verweis auf Ellinger/Wetzel/Mairinger, BAO 124, Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO, § 212a Anm. 2).
Es werde auf die Grundsatzjudikatur des VfGH zur notwendigen „faktischen“ Effizienz von Rechtsschutzeinrichtungen verwiesen. Demnach gehe es nach der prägnanten Formel des VfGH nicht an, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange zu belasten, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt sei. Insoweit sei das Instrument des vorläufigen Rechtsschutzes – im Besonderen jenes der aufschiebenden Wirkung – ein essentielles Element des rechtsstaatlichen Prinzips.
Abschließend wurde die Anberaumung einer mündlichen Senatsverhandlung beantragt.
In der Ergänzung vom zur Berufung vom führte die steuerliche Vertretung des Bf. weiters aus, dass Zurückweisungen von Aussetzungsanträgen nur dann zulässig seien, wenn sie keine Darstellung der Ermittlung des gemäß § 212a Abs. 1 BAO für die Aussetzung in Betracht kommenden Abgabenbetrages enthalten würden. Dieser Mangel hafte dem Aussetzungsantrag vom aber zweifelsfrei nicht an, da er eine ausführliche Aufgliederung der Abgabenbeträge enthalte.
Das Finanzamt hätte somit bei der vertretenen Rechtsansicht allenfalls nur eine Abweisung (und keine Zurückweisung) des Aussetzungsantrages verfügen dürfen. Der bekämpfte Bescheid sei daher bereits aus diesem Grunde aus dem Rechtsbestand zu beheben.
Mit Berufungsvorentscheidung vom wies die Abgabenbehörde die Berufung vom gegen den Zurückweisungsbescheid vom betreffend Wiederaufnahme der Einkommensteuer 1999 und 2000 als unbegründet ab, wogegen der Bf. mit Eingabe vom einen Vorlageantrag sowie in diesem Zusammenhang einen neuerlichen Aussetzungsantrag gemäß § 212a BAO einbrachte.
Das Finanzamt wies den neuerlichen Aussetzungsantrag vom unter Zitierung des § 212a BAO mit der Begründung zurück, dass sich die Berufung vom gegen den Zurückweisungsbescheid hinsichtlich des Antrages auf Wiederaufnahme der Einkommensteuer 1999 und 2000 richte. Damit sei die Tatbestandsvoraussetzung des § 212a Abs. 1 BAO nicht erfüllt, da von dem Berufungsbegehren keine Abgabenbeträge betroffen seien, die als Nachforderungen im Sinne des § 212a Abs. 1 BAO gewertet werden könnten.
Gegen diesen Zurückweisungsbescheid brachte der Bf. mit Eingabe vom eine Berufung mit der Begründung ein, dass nach dem Gesetzeswortlaut für die Verfügung einer Aussetzung der Einhebung bereits die „mittelbare“ Abhängigkeit von der Erledigung einer Berufung ausreichend sei.
Aus dem Verweis auf eine mittelbare Abhängigkeit ergebe sich, dass „nicht nur eine Berufung gegen einen ein Leistungsgebot beinhaltenden Abgaben- oder Haftungsbescheid“ zu einer Aussetzung Anlass geben könne, „sondern auch jede Berufung, von deren Erledigung die Höhe einer Abgabe mittelbar abhängt“ (Ellinger/Iro/Kramer/Urtz, BAO, § 212a Anm 2).
Dementsprechend würden zu den Abgaben, deren Höhe mittelbar von der Erledigung einer Berufung abhänge, alle Abgaben gehören, die im Fall einer dem Begehren des Berufungswerbers Rechnung tragenden Berufungserledigung entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Abgabepflichtigen herabzusetzen seien oder deren Festsetzung diesfalls überhaupt aufzuheben sei (Ellinger/Iro/Kramer/Urtz, BAO, § 212a Anm 2).
Die Unrichtigkeit der Rechtsansicht des Finanzamtes ergebe sich auch aus einem in einem vergleichbaren Fall ergangenen Erkenntnis des .
In diesem Fall sei strittig gewesen, ob die Berufung gegen einen Bescheid, mit dem ausgesprochen worden sei, dass eine Berufung gemäß § 275 BAO als zurückgenommen gelte, als Grundlage für eine Aussetzung der Einhebung dienen könne. Dies sei von den Abgabenbehörden verneint worden, da eine allfällige Stattgabe der Berufung gegen einen Zurücknahmebescheid mit keiner Herabsetzung von Abgaben verbunden sei.
Der VwGH habe in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass durch das Rechtsinstitut der Aussetzung der Einhebung sichergestellt werden solle, dass der Rechtsschutzsuchende nicht generell einseitig mit allen Folgen potentiell rechtswidriger behördlicher Erledigungen bis zur endgültigen Erledigung des Rechtsmittels belastet werde. Er ginge daher in verfassungskonformer Interpretation unter Verweis auf die Anforderungen des rechtsstaatlichen Prinzips davon aus, dass eine „Mitberücksichtigung des Hauptverfahrens“ zu erfolgen habe und in Folge dessen eine Aussetzung der Einhebung zu verfügen gewesen wäre ().
Welcher Unterschied zwischen diesem Fall und dem gegenständlichen Fall liegen solle, sei der knappen Darlegung im Zurückweisungsbescheid nicht zu entnehmen.
Tatsächlich betone auch der VfGH im Zusammenhang mit Überlegungen nach dem effektiven Rechtsschutz von Berufungen hinsichtlich der Aussetzung der Einhebung, dass es in Fällen, in denen „Rechtsfragen echt strittig sind“, „nicht an…geht“, dass „das Rechtsschutzrisiko im echt fraglichen Bereich dem Rechtsunterworfenen vorbehaltlos“ aufgelastet werde ( Gl.19/86; vgl. hierzu auch grundsätzlich Eberhard, Verfassungsrechtliche Vorgaben für Steuer- und Verwaltungsverfahren, In Holoubek/Lang, Die allgemeinen Bestimmungen der BAO, 51 (55)).
Es werde zur im konkreten Fall vorliegenden effektiv strittigen Rechtsfrage auf die Ausführungen im Vorlageantrag vom zu dem vom VwGH in ständiger Rechtsprechung betonten engen Zusammenhang zwischen dem Einkommensteuer- und dem Feststellungsverfahren verwiesen. Aus diesem ergebe sich nach der „einkommensteuerlichen Natur des Verfahrens nach § 188 BAO“ eine unmittelbare zeitliche Verbindung zwischen dem Fristenlauf des § 304 BAO und dem Feststellungsverfahren (; siehe dazu ausführlich Keppert/Koss, „Der das Verfahren abschließende Bescheid iSd § 295 Abs 4 iVm § 304 BAO, SWK 2013 in Druck).
Diese unmittelbare, unter Rechtsschutzgesichtspunkten zu beachtende Verbindung zwischen dem Einkommensteuer- und dem Feststellungsverfahren sei schon im Jahr 1989 von der Bundesregierung in einem Verfahren vor dem VfGH betont worden. Sie habe übereinstimmend zu den o.a. Überlegungen darauf hingewiesen, dass das System von Grundlagenbescheiden und abgeleiteten Bescheiden letztlich dazu führe, dass „der Spruch eines Bescheides, der ansonsten als Einheit aufzufassen ist“, nur „aufgespalten“ werde und diese Technik der Aufspaltung von bestimmten Spruchelementen in bestimmten Bescheidkategorien vor allem nur prozessökonomische Bedeutung habe (vgl. die Stellungnahme der Bundesregierung im E des Gl 19/86).
Der Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung wurde mit Eingabe vom zurückgezogen.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Gemäß § 323 Abs. 38 BAO sind die am beim unabhängigen Finanzsenat als Abgabenbehörde zweiter Instanz anhängigen Berufungen vom Bundesfinanzgericht als Beschwerden im Sinn des Art. 130 Abs. 1 B-BG zu erledigen. Solche Verfahren betreffende Anbringen wirken mit auch gegenüber dem Bundesfinanzgericht.
Gemäß § 212a Abs. 1 BAO ist die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt, auf Antrag des Abgabepflichtigen insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt, zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Beschwerdeerledigung ergebenden Herabsetzung der Abgabenschuld. Dies gilt sinngemäß, wenn mit einer Bescheidbeschwerde die Inanspruchnahme für eine Abgabe angefochten wird.
Ein Anbringen ist zurückzuweisen, wenn es unzulässig ist.
Unzulässigkeit liegt bei entschiedener Sache oder mangelnder Antragslegitimation vor. Zurückzuweisen sind weiters verspätete sowie zu früh eingebrachte Anbringen.
Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Die Abgabenbehörde hätte daher meritorisch über den Aussetzungsantrag entscheiden müssen.
Die Abgabenbehörde hat im angefochtenen Bescheid zwar dargelegt, weshalb sie davon ausgeht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 212a BAO nicht vorliegen, hat aber die Anträge anstatt abgewiesen offenbar irrtümlich zurückgewiesen. Das Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Aussetzung der Einhebung berechtigt nicht zur Zurückweisung der Aussetzungsanträge.
Zur Erläuterung wird darauf verwiesen, dass auch ein Zahlungserleichterungsansuchen im Falle des Vorliegens der Gefährdung der Einbringlichkeit abzuweisen und nicht zurückzuweisen wäre.
Gemäß § 279 Abs. 1 BAO hat das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
Die Änderungsbefugnis „nach jeder Richtung“ ist durch die Sache begrenzt. Sache ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des angefochtenen Bescheides gebildet hat.
Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes darf daher die Zurückweisungsbescheide weder in Abweisungsbescheide noch in einen die Aussetzung der Einhebung bewilligenden Bescheid abändern.
Die in Beschwerde gezogenen Bescheide waren daher aufzuheben.
Anmerkung: Mit diesem Erkenntnis wurde auch die GZ.RV/7102871/2013 miterledigt.
Zulässigkeit einer ordentlichen Revision:
Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Einer Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn das Erkenntnis von vorhandener Rechtsprechung des VwGH abweicht, diese uneinheitlich ist oder fehlt.
Im vorliegenden Fall liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, da sich die Rechtsfolge unmittelbar aus dem Gesetz ergibt.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 212a Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2014:RV.7102870.2013 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at