Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.11.2014, RV/1100299/2013

Vorliegen einer auswärtigen Berufsausbildung eines Kindes, wenn die außerhalb des Einzugsbereiches des Wohnortes befindliche Tourismusschule im Gegensatz zur im Einzugsbereich liegenden Tourismusschule keine Aufnahmeprüfung verlangt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Gerhild Fellner

in der Beschwerdesache der Adr ,

gegen den Bescheid des Finanzamtes H vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2012 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben.

Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der Abgabe sind dem am Ende der folgenden Entscheidungsgründe als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen, das einen Bestandteil dieses Bescheidspruches bildet.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

Entscheidungsgründe

Vorausgeschickt wird:

Gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG wurde mit der Unabhängige Finanzsenat aufgelöst. Die Zuständigkeit zur Weiterführung der mit Ablauf des bei dieser Behörde anhängigen Verfahren ging auf das Verwaltungsgericht (Bundesfinanzgericht) über. Gemäß § 323 Abs. 38 BAO sind am anhängige Berufungen vom Bundesfinanzgericht als Beschwerden im Sinne des Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigen. Im folgenden Text wird bereits die der neuen Rechtslage entsprechende Terminologie verwendet.

Das Finanzamt führte in der Begründung seines Bescheides u. a. aus, Kinderbetreuungskosten könnten nicht berücksichtigt werden, da das Kind mit der VersNr. XYZ zu Beginn des Kalenderjahres bereits das 10. Lebensjahr vollendet hatte.

Dagegen wandte sich die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde und erläuterte, es handle sich bei den beantragten Kosten nicht um Kinderbetreuungskosten, sondern um Kosten für die Ausbildung ihrer Tochter B in C.

In Beantwortung eines Ergänzungsersuchens des Finanzamtes teilte die Beschwerdeführerin mit, durch den Besuch der Tourismusschule D in C werde die Ausbildung zur Hotelkauffrau angestrebt. Der Unterschied zur Tourismusschule E bestehe darin, dass in C keine Aufnahmeprüfung erforderlich sei. Ihre Tochter B habe eine anerkannte und medizinisch nachgewiesene Schwäche in Mathematik.

Das Finanzamt erließ eine abweisende Beschwerdevorentscheidung und führte darin aus: Laut Ermittlungen des Amtes hätten beide Schulen, nämlich die D in C und die Tourismusschule E die selben Aufnahmevoraussetzungen. In beiden Schulen sei eine Aufnahmeprüfung dann erforderlich, wenn der Schüler/die Schülerin in der Hauptschule in einem Hauptfach (Deutsch, Mathematik, Englisch) in die dritte Leistungsgruppe gefallen sei.

Da somit keine unterschiedlichen Aufnahmevoraussetzungen vorlägen und die Schule in E sich im Einzugsbereich befinde, liege keine auswärtige Berufsausbildung vor.

Daraufhin brachte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Vorlage ihrer Beschwerde an das Bundesfinanzgericht ein. B habe in Deutsch und Englisch die zweite, in Mathematik aufgrund ihrer anerkannten Schwäche die dritte Leistungsgruppe besucht. In E hätte sie eine Aufnahmeprüfung in Mathematik und Deutsch absolvieren müssen - diese hätte sie nicht geschafft. Daher entschied man sich für C.

Im Akt befindet sich eine Bestätigung der Tourismusschule D in C, wonach B F ohne Aufnahmsprüfung in die Schule aufgenommen worden sei und die Klasse 1f von bis besucht habe.

Die Richterin des Bundesfinanzgerichtes wandte sich mit einem Ergänzungsersuchen an die Beschwerdeführerin, das von dieser wie folgt beantwortet wurde: Vor dem 24.9. habe sich B in der Hauptschule, nach dem 31.10. in der polytechnischen Schule befunden (Anm.: Da die Beschwerdeführerin hinsichtlich Hauptschule und polytechnischer Schule keinen Ort angegeben hat, geht das Bundesfinanzgericht davon aus, dass diese Schulen sich im Einzugsbereich des Wohnortes in G befinden).

Erwägungen

Nachstehender Sachverhalt wird der Entscheidung als feststehend zugrundegelegt:

  • B F wurde am AABB.1997 geboren.

  • Sie leidet an Dyskalkulie. Es kommen für sie die Bestimmungen des Dyskalkulie-Erlasses des G´er Landeschulrates vom zur Anwendung.

  • Um in die Tourismusschule E aufgenommen zu werden, hätte sie eine Aufnahmeprüfung in Mathematik ("Angstfach") und Deutsch ablegen müssen.

  • Sie wurde ohne Ablegung einer Aufnahmeprüfung in die Tourismusschule D in C aufgenommen.

  • B besuchte die Schule D von bis .

  • Vor bzw. nach dem Besuch der D ging sie ihrer Schulausbildung an einer Hauptschule bzw. polytechnischen Schule in G nach.

Die Feststellungen gehen auf folgende Unterlagen zurück: Befund des Landeskrankenhauses H zur Vorlage bei der Schulbehörde vom , Dyskalkulie-Gutachten des Landeschulrates für G, Abteilung Schulpsychologie-Bildungsberatung vom , Aufnahmebedingungen für die Tourismusschule E, Schulbesuchsbestätigung der Tourismusschule D, Antwortschreiben der Beschwerdeführerin.

Gesetzliche Grundlagen und rechtliche Würdigung:

Die Berufsausbildung des Kindes fällt als Unterhaltsverpflichtung zwar unter die außergewöhnliche Belastung, doch ist sie regelmäßig schon deshalb als außergewöhnliche Belastung nicht berücksichtigungsfähig, weil es sich um Kosten handelt, die auch beim Unterhaltsberechtigten selbst grundsätzlich keine außergewöhnliche Belastung darstellen (§ 34 Abs. 4 Z 7 ). Davon abgesehen ist die Berufsausbildung als Teil der Unterhaltsverpflichtung grundsätzlich mit der Familienbeihilfe und dem Kinderabsetzbetrag abgegolten (vgl. Doralt, EStG17, § 34 Tz 62 ff).

§ 34 Abs. 8 EStG 1988 stellt eine lex specialis zu Abs. 7 leg. cit. dar, indem er normiert:

Die Berufsausbildung außerhalb des Wohnortes gilt dann als außergewöhnliche Belastung, wenn im Einzugsbereich des Wohnortes keine entsprechende Ausbildungsmöglichkeit besteht (§ 34 Abs. 8 EStG 1988 erster Satz). Diese außergewöhnliche Belastung wird durch Abzug eines Pauschbetrages von 110 Euro pro Monat der Berufsausbildung berücksichtigt (§ 34 Abs. 8 EStG 1988 letzter Satz).

Es müssen durch die Ausbildung Mehraufwendungen entstehen, die allerdings nicht ziffernmäßig nachzuweisen sind. Der Pauschbetrag soll Unterbringungs- oder höhere Fahrtkosten abdecken, aber auch Mehraufwendungen, weil die Teilnahme an den Familienmahlzeiten zu den üblichen Essenszeiten nicht möglich ist.

Ein angefangener Monat zählt voll. Höhere tatsächlich nachgewiesene Kosten sind nicht abzugsfähig, der Selbstbehalt ist nicht anzuwenden (Doralt aaO, Tz 65, 66).

Als Wohnort gilt der Familienwohnsitz, an dem der Unterhaltsberechtigte die Möglichkeit hat, an der familiären Haushaltsführung und Verpflegung teilzunehmen.

Entsprechend der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend eine Berufsausbildung eines Kindes außerhalb des Wohnortes, BGBl. 1965/624 idF BGBl. II 2001/449, AÖF 1995/308 idF AÖF 2002/3, liegen Ausbildungsstätten, die vom Wohnort mehr als 80 km entfernt sind, nicht im Einzugsbereich des Wohnortes.

Unstrittig liegt C nicht im Einzugsbereich des für den Streitzeitraum maßgeblichen Wohnortes H.

Bei der Auslegung des Begriffes „entsprechende Ausbildungsmöglichkeit“ ist auf die Vergleichbarkeit der Ausbildung ihrer Art nach abzustellen. Es handelt sich um eine Frage, die im Einzelfall auf der Ebene der Sachverhaltsermittlung zu lösen ist (Baldauf in Jakom EStG, 7. Aufl. 2014, § 34 Rz 81, ).

Besteht eine öffentliche Schule am Wohnort oder im Einzugsbereich des Steuerpflichtigen, müssen besondere Gründe vorliegen, die einen auswärtigen Schulbesuch geboten erscheinen lassen ().

Der Freibetrag steht auch dann zu, wenn ein Zugang im Einzugsbereich zB infolge besonderer Beschränkungen nicht möglich ist (Baldauf in Jakom EStG, 7. Aufl. 2014, § 34 Rz 82).

Auf den Streitfall umgelegt ist aus diesen Grundsätzen abzuleiten: Laut zusammenfassender Wiedergabe des Dyskalkulie-Gutachtens des Landesschulrates für G leidet B F bei in anderen Anforderungsbereichen durchschnittlicher bis gut durchschnittlicher allgemeiner kognitiver Leistungsfähigkeit an einer schwachen Leistungsfähigkeit im „Umgang mit Zahlen“ und hinsichtlich der basalen Rechenfertigkeiten. Ihr Schulleben war auf diesem Sektor von vielen Misserfolgserlebnissen geprägt und Mathematik wurde für sie zu einem „Angstfach“.

Es ist evident, dass B eine Aufnahmeprüfung in Mathematik, wie sie von der im Einzugsbereich ihres Wohnortes gelegenen Tourismusschule E verlangt wurde, unter diesen belastenden Umständen  nicht erfolgreich ablegen hätte können. Insofern war ihr der Besuch einer im Einzugsbereich gelegenen Tourismusschule verwehrt und stellte der Besuch der außerhalb des Einzugsbereiches gelegenen Tourismusschule D , die B laut ausdrücklicher Schulbestätigung ohne Absolvierung einer Aufnahmeprüfung aufnahm, eine steuerlich zu berücksichtigende auswärtige Schulausbildung gemäß § 34 Abs. 8 EStG 1988 dar (vgl. hiezu hinsichtlich Reinhardt-Seminar, -G/07 hinsichtlich Medizinstudium und -I/08 hinsichtlich Besuch einer HTL).

Es lagen besondere Gründe für den auswärtigen Schulbesuch vor bzw. war der Schülerin der Zugang im Einzugsbereich infolge besonderer Beschränkungen nicht möglich.

Da der Besuch der Schule D letztlich nur zwei (angefangene) Monate umfasste, wird der Pauschbetrag von je 110,00 € für diese beiden Monate gewährt und war wie im Spruch zu entscheiden. Tatsächlich angefallene Kosten können - wie oben ausgeführt - nicht berücksichtigt werden.

Zulässigkeit/Unzulässigkeit einer Revision: Die Lösung der im Streitfall zu beurteilenden Rechtsfrage findet Deckung in der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

H, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2014:RV.1100299.2013

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at