Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.04.2014, RV/5100522/2012

Reichweite der Anlassfallwirkung der Aufhebung des § 18 Abs. 1 Z 1 KBGG durch den VfGH im Falle eines Antrages auf Bescheidaufhebung gem. § 299 BAO

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. R in der Beschwerdesache Bf., Adr. , vertreten durch RA , Adr.-RA, gegen die Bescheide des Finanzamtes Kirchdorf Perg Steyr vom und vom , betreffend

1. Abweisung des Antrages gem. § 299 BAO auf Aufhebung des Bescheides vom über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 (Bescheid vom )

2. Abweisung des Antrages gem. § 308 BAO auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Bezug auf die Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Bescheid vom über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 (Bescheid vom )

3. Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 (Bescheid vom )

4. Abweisung des Antrages auf Nachsicht der mit Bescheid vorgeschriebenen Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 iHv 528,75 Euro (Bescheid vom )

zu Recht erkannt:

1. Der Beschwerde gegen den Bescheid vom über die Abweisung des Antrages vom gem. § 299 BAO auf Aufhebung des Bescheides vom über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 wird stattgegeben,
der Bescheid vom über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 wird gem. § 299 BAO (ersatzlos) aufgehoben.

2. Der Bescheid vom betreffend die Abweisung des Antrages vom gem.
§ 308 BAO auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Bezug auf die Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Bescheid vom über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 wird wie folgt abgeändert:
Der Antrag vom auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 308 BAO - in Bezug auf die Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Bescheid vom über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004  - wird als unzulässig zurückgewiesen.

3. Die Beschwerde vom gegen den Bescheid vom betreffend die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 wird als unzulässig zurückgewiesen.

4. Der Bescheid vom über die Abweisung des Antrages vom  auf Nachsicht der mit Bescheid vorgeschriebenen Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 (iHv 528,75 Euro) wird wie folgt abgeändert:
Der Antrag vom  auf Nachsicht der mit Bescheid vorgeschriebenen Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 iHv 528,75 Euro wird als unzulässig zurückgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verwaltungsgeschehen

Mit Bescheid vom schrieb das Finanzamt nach § 18 Abs. 1 Z 1 Kinder­betreuungsgeldgesetz (KBGG) dem Beschwerdeführer als Kindesvater eine Rückzahlung von ausbezahlten Zuschüssen zum Kinderbetreuungsgeld (ZKBG) für das Jahr 2004 iHv 528,75 Euro vor. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Mit Eingabe vom beantragte der Bf. durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter unter Hinweis auf das zwischenzeitlich ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ( u.a.)
- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 308 BAO in Bezug auf die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den besagten Rückzahlungsbescheid,
- die Aufhebung des Rückzahlungsbescheides im Berufungswege (im Falle der Stattgabe des Wiedereinsetzungsantrages) wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, Verfassungswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften, sowie
- die Aufhebung des Rückzahlungsbescheides vom nach § 299 BAO (im Falle der Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages),
- die Nachsicht gem. § 236 BAO des mit Bescheid vom vorgeschriebenen Rück­forderungsbetrages.
Zur Begründung führte der Bf. aus, dass er den Rückforderungsbescheid irrtümlich in Rechts­kraft habe erwachsen lassen weil er davon ausgegangen sei, dass dieser Bescheid der Sach­- und Rechtslage entspreche. Inzwischen habe er erfahren, dass die Rückforderungsansprüche – auf Grund des Erkenntnisses des - für verfassungs­widrig erklärt worden seien und die Rückforderung daher nicht zu Recht bestehe.
Unter einem werde daher gegen den Bescheid auch Berufung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, Verfassungswidrigkeit, sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften erhoben.
Für den Fall der Nichtstattgabe dieses Antrages (Anmerkung des erkennenden Gerichtes: gemeint wohl: auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich Fristversäumnis zur Erhebung einer Berufung) werde ein „Antrag auf Aufhebung des zu Grunde liegenden Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes“ gestellt, weil – wie ausgeführt – die Rückforderung sachlich und rechtlich nicht gerechtfertigt sei.
Darüber hinaus stellte der Bf. einen Antrag auf Nachsicht der Rückzahlung des Kinder­betreuungsgeldes: Die Einhebung sei nach Lage des Falles jedenfalls unbillig. auf Grund der einschlägigen Entscheidung des VfGH fehlten die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einhebung dieser Abgabe. Deshalb würde die Durchsetzung des Bescheides der Rechts­staatlichkeit widersprechen. Es werde daher beantragt, den Bescheid aufzuheben bzw. die Zahlung nachzusehen.

Am erließ das Finanzamt einen als „Berufungsvorentscheidung“ (BVE), bezeich­neten Bescheid mit welchem es
- den Antrag auf Bescheidaufhebung gem. § 299 BAO abwies,
- den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. 308 BAO abwies,
- die Berufung als verspätet zurückwies und
- den Antrag auf Nachsicht des vorgeschriebenen Rückzahlungsbetrages abwies.

Zur Begründung wird im besagten Bescheid im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Gem. § 308 Abs. 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorherge­sehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. "Ereignis" ist jedes tatsächliche Geschehen einschließlich sogenannter psychologischer Vorgänge, wie z.B. vergessen, verschreiben oder sich irren. "Unvorhergesehen" ist ein von der Partei nicht einberechnetes Ereignis, dessen Eintritt sie auch unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte. "Unabwendbar" ist ein - allenfalls vorhersehbares - Ereignis, wenn es mit den einem Durchschnittsmenschen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht verhindert werden kann.
Der Wiedereinsetzungswerber hat das Ereignis nicht nur zu behaupten, sondern er muss auch glaubhaft machen, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem Ereignis und der Fristversäumung besteht (). Nur aufgrund der im Antrag enthaltenen Angaben kann die Behörde überprüfen, ob objektiv gesehen ein Wiedereinsetzungs­tatbestand vorliegt und wann das Hindernis tatsächlich objektiv weggefallen ist.
Im gegenständlichen Fall liegt kein tauglicher Wiedereinsetzungstatbestand vor. Der ange­fochtene Bescheid datiert vom . Die Rechtsmittelfrist ist demnach bereits lange vor dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes abgelaufen. Die Aufhebung wurde am im BGBI I Nr. 11/2011 kundgemacht. Ein unvorhergesehenes oder unabwend­bares Ereignis im Sinne des Gesetzes liegt hier nicht vor. Der VfGH hat in seinem Erkenntnis ausgesprochen, dass § 18 Abs. 1 Z 1 KBGG in der Stammfassung mit einem auf die Vergangenheit beschränkten zeitlichen Anwendungsbereich weiterhin in Geltung steht. Art 140 Abs. 7 B-VG besagt: Ist ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Abs. 4 ausgesprochen, dass ein Gesetz verfas­sungswidrig war, so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbe­stände mit Ausnahme des Anlassfalles ist jedoch das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht (
Hervorhebung durch das Finanzamt).
Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und auf Aufhebung waren daher abzuweisen. Da dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben werden konnte, war die Berufung als verspätet zurückzuweisen.
Auf Grund des VfGH-Erkenntnisses liegt eine sachliche Unbilligkeit nicht vor. Keine Unbilligkeit liegt auch vor, wenn der Abgabepflichtige ein ihm zustehendes Rechtsmittel nicht ergriffen hat (). Die Nachsicht ist nicht das geeignete Mittel, um möglichen, aber unterbliebenen Einwänden zum Durchbruch zu verhelfen (). Eine persönliche Unbilligkeit liegt dann vor, wenn gerade die Einhebung der Abgabe die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner Familie gefährdet oder die Abstattung mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten (so insbesondere einer Vermögens­verschleuderung) verbunden wäre. Persönliche Unbilligkeit wurde aber im Anbringen nicht behauptet. Der Antrag auf Nachsicht war daher abzuweisen.“

Mit Eingabe vom stellt der Bf. (durch seinen rechtlichen Vertreter) einen Antrag auf Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
 

II. Über die Beschwerde wurde erwogen

1. Strittige Punkte
a) Ob der strittige Rückzahlungsbescheid im Hinblick auf das, die Bestimmung des § 18 Abs. 1 Z 1 KBGG aufhebende, VfGH-Erkenntnis vom , G184/10 u.a., wegen inhaltlicher Rechts­widrigkeit gem. § 299 BAO aufzuheben ist, sowie
b) ob - auf Grund der Aufhebung des § 18 Abs. 1 Z 1 KBGG durch das besagte Erkenntnis des VfGH - die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 308 BAO in Bezug auf die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Rückzahlungsbescheid vom vorliegen, sowie
c) ob – im Falle einer durchzuführenden Wiedereinsetzung (Stattgabe des Antrages gem. Punkt b) – der strittige Rückzahlungsbescheid im Berufungswege auf Grund des besagten VfGH-Erkenntnisses vom als inhaltlich rechtswidrig bzw. verfassungswidrig aufzuheben ist, und des Weiteren,
d) ob die Voraussetzungen für eine Nachsicht des strittigen Rückzahlungsbetrages iSd § 236 BAO vorliegen (nach Ansicht des Bf. Vorliegen einer Unbilligkeit der Vorschreibung wegen Wegfalles der rechtlichen Grundlage infolge Aufhebung des § 18 Abs. 1 Z 1 KBGG durch das zitierten VfGH-Erkenntnisses vom ).

2. Entscheidungswesentlicher Sachverhalt
Der Sachverhalt ist unbestritten und ergibt sich aus der oben unter Punkt I. angeführten Darstellung des Verwaltungsgeschehens.

3. Rechtsgrundlage und rechtliche Würdigung

a) Beschwerde gegen den Bescheid über die Abweisung des Antrages auf Bescheid­aufhebung gem. § 299 BAO
Im vorliegenden Fall ist strittig, ob auf Grund des die Bestimmung des § 18 Abs 1 Z 1 KBGG wegen Verfassungswidrigkeit aufhebenden - oben bereits angeführten - Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom einem Antrag auf Aufhebung eines vor Bekannt­gabe des Erkenntnisses ergangenen, unbekämpft gebliebenen und daher rechtskräftig gewordenen Bescheides nach § 299 BAO zu entsprechen ist.
Nach § 299 Abs 1 BAO kann die Abgabenbehörde erster Instanz auf Antrag oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Aufhebungen nach § 299 BAO sind gemäß § 302 Abs 1 BAO bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des Bescheides und darüber hinaus nach Abs 2 lit b der angeführten Gesetzesbestimmung auch dann zulässig, wenn der Antrag auf Aufhebung vor Ablauf der genannten Jahresfrist eingebracht wurde.
Der gegenständliche Antrag auf Bescheidaufhebung wurde vom Bf. unstrittig innerhalb der Jahresfrist und somit rechtzeitig eingebracht (Erlassung des Rückzahlungsgsbescheides am , Antrag auf Bescheidaufhebung vom ).
Der Inhalt eines Bescheides ist nicht richtig, wenn der Spruch des Bescheides nicht dem Gesetz entspricht. Weshalb diese Rechtswidrigkeit vorliegt, ist für die Anwendbarkeit des § 299 Abs 1 BAO nicht entscheidend und die Bestimmung ist auch für "dynamische" und somit erst später erweisliche Unrichtigkeiten anwendbar. Für die Aufhebung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Aufhebung maßgebend (vgl Ritz5, BAO, § 299 Tz 14).
In einem mit dem gegenständlichen Beschwerdefall gleich gelagerten Berufungsverfahren hat der UFS Folgendes ausgesprochen (siehe -I/11):
„Bei Prüfung der Frage, ob einem Antrag auf Bescheidaufhebung nach § 299 BAO zu entsprechen ist, hat die Abgabenbehörde im Zeitpunkt der Entscheidung zu prüfen, ob der Spruch des Bescheides nach der bestehenden Gesetzeslage richtig ist oder nicht. Insoweit ist diese Aufgabe durchaus vergleichbar mit den Anforderungen, die - im Falle der rechtzeitigen Einbringung einer Berufung - auch an eine Berufungserledigung gestellt werden.
Nun steht im vorliegenden Fall fest, dass der Verfassungsgerichtshof die Bestimmung des § 18 Abs 1 Z 1 KBGG, BGBl I 103/2001, in seiner Stammfassung als verfassungswidrig aufgehoben hat (vgl Punkt I. des Erkenntnisses
G184/10 ua). In Spruch­punkt II führte der Gerichtshof aus, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzu­wenden ist. Nach Spruchpunkt III. treten frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft.
Ist ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden, so sind nach Art 140 Abs 7 B-VG alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist das Gesetz jedoch weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis nichts anderes ausspricht. Indem der Verfassungs­gerichtshof im oben angeführten Erkenntnis im Spruchpunkt II. ausgeführt hat, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist, hat der Gerichtshof von der ihm durch Art 140 Abs 7 B-VG eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht (vgl Pkt IV Z 3 des Erkennt­nisses). Dadurch hat die Aufhebung des § 18 Abs 1 Z 1 KBGG Auswirkungen nicht nur für Tatbestände, die ab dem Zeitpunkt der Aufhebung verwirklicht werden und den Anlassfall (die Anlassfälle), sondern entfaltet die Aufhebung Wirksamkeit für alle Gerichte und Verwaltungs­behörden, welche bei ihren rechtlichen Prüfungen die aufgehobene Gesetzesbestimmung nunmehr ausnahmslos in allen Fällen nicht mehr anzuwenden haben (vgl B1025/04 ua, Pkt II Z 2, und speziell zum Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld B291/11, und B327/11).
Dementsprechend haben der VfGH (vgl die oben angeführten Erkenntnisse vom ), der VwGH (vgl 2011/17/0042) und der UFS (vgl zB RV/0791-G/09) Bescheide über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinder­betreuungsgeld aufgehoben. Dies weil es den bekämpften Bescheiden (rückwirkend) an der Rechtsgrundlage für die Vorschreibung mangelte. Die Aufhebungen erfolgten, obwohl die bekämpften Bescheide im Zeitpunkt ihrer Erlassung den (damals) geltenden Rechtsvor­schriften entsprochen haben bzw Beschwerden beim Höchstgericht erst nach Ergehen des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom erhoben wurden (Erkenntnis des , Einbringung der Beschwerde am ).
Der Bescheid, dessen Aufhebung nach § 299 BAO im gegenständlichen Fall beantragt wird, war - nach der Aktenlage - im Zeitpunkt seiner Erlassung gesetzeskonform. In der Literatur wird nunmehr aber klar die Ansicht vertreten (vgl Ritz, BAO4, § 299 Tz 39), dass es für die Anwendbarkeit des § 299 Abs 1 BAO nicht entscheidend ist, ob der aufzuhebende Bescheid (bereits) im Zeitpunkt seiner Erlassung inhaltlich rechtswidrig war. Vielmehr ist für die Anwendung des § 299 BAO die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Aufhebungsantrag maßgebend.
Unbestreitbar ist, dass ein Bescheid über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 zu einem Zeitpunkt nach Ergehen des bezug­habenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes basierend auf § 18 Abs 1 Z 1 KBGG nicht mehr hätte ergehen dürfen. Damit hätte - unter Beachtung des oben Gesagten - das Finanzamt den gegenständlichen Aufhebungsantrag vom unter Berück­sichtigung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom , mit welchem der Gerichtshof ausdrücklich angeordnet hat, dass § 18 Abs 1 Z 1 KBGG (ausnahmslos und in allen Fällen) nicht mehr anzuwenden ist, prüfen und dabei zum Ergebnis kommen müssen, dass es dem Bescheid vom (rückwirkend) an der Rechtsgrundlage für die Vorschreibung mangelt. Fehlt es (rückwirkend) an einer entsprechenden Rechtsgrundlage für die Vorschreibung der Rückzahlung, erweist sich der Spruch des Bescheides, mit dem die Rückzahlung festgesetzt wurde, nach der im Zeitpunkt der Entscheidung über den Auf­hebungsantrag geltenden Rechtslage als nicht (mehr) richtig.
……..
Die Aufhebung eines Bescheides nach § 299 BAO liegt im Ermessen der Abgabenbehörde und ist nach den Grundsätzen von Zweckmäßigkeit und Billigkeit zu treffen. Nach der Recht­sprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl , zu § 299 BAO idF vor dem BGBl I 97/2002) kommt im Bereich des § 299 BAO dem Prinzip der Rechtmäßig­keit der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtssicherheit zu und hat der Grundsatz der Gleich­mäßigkeit der Besteuerung eine zentrale Bedeutung (vgl Ritz, BAO4, § 299 Tz 54). Insoweit ist die Aufhebung des Bescheides vom jedenfalls gerechtfertigt, zumal auch der Rückzahlungsbetrag nicht nur geringfügig ist. Billigkeitsgründe stehen einer zu Gunsten des Abgabepflichtigen erfolgten Aufhebung niemals entgegen.“

Gegen die angeführte UFS-Entscheidung vom wurde Amtsbeschwerde an den VwGH erhoben. Dieser hat die besagte UFS-Entscheidung mit Erkenntnis vom , 2012/17/0146 bestätigt und dabei unter anderem ausgesprochen:
„Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , G184/10 u.a. = VfSlg. 19.343, § 18 Abs. 1 Z. 1 des KBGG in seiner Stammfassung als verfassungswidrig aufgehoben (Spruchpunkt I). Er hat weiters ausgesprochen, dass die aufgehobene Bestim­mung nicht mehr anzuwenden ist (Spruchpunkt II) und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten (Spruchpunkt III). Unbestritten ist, dass somit die Bestimmung des § 18 Abs. 1 Z. 1 KBGG auf Sachverhalte, die sich ab dem Tag des Inkrafttretens der Aufhebung ereignen, ebenso wie auf den oder die Anlassfälle, nicht mehr anzuwenden ist. Der Verfassungsgerichtshof hat aber auch einen Ausspruch nach Art. 140 Abs. 7 B-VG in den Spruch seines Erkenntnisses aufgenommen; dies bedeutet, dass die von ihm aufgehobene Gesetzesbestimmung - über den Anlassfall hinaus - auch für frühere Sachverhalte nicht mehr anzuwenden ist. Ein solcher Ausspruch kommt im Ergebnis einer rückwirkenden Aufhebung für noch nicht entschiedene Fälle gleich……..
Ausgehend von der gesetzgeberischen Wertung, dass in den durch die Bestimmungen des § 299 und des § 302 BAO gezogenen Grenzen der Gesetzgeber die Rechtsrichtigkeit eines Bescheides höher wertet als dessen Rechtsbeständigkeit, bestehen auch keine Bedenken dagegen, mit der herrschenden Ansicht (vgl. nur Ritz, BAO, Rz 14 zu § 299, mwN) auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung (über den Antrag) betreffend die Aufhebung nach § 299 BAO abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Verwaltungsbehörde entsprechend dem Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom , G184/10 u.a. = VfSlg. 19.343, § 18 Abs. 1 Z. 1 KBGG nicht (mehr) anzuwenden.“

Im gegenständlichen Beschwerdefall ist ein mit dem angeführten UFS-Verfahren und dem daran anschließenden VwGH-Verfahren vergleichbarer Sachverhalt gegeben:
Auch im Beschwerdefall erging der strittige Rückforderungsbescheid (vom ) vor dem besagten VfGH-Erkenntnis (vom , im BGBl. veröffentlicht am ). Der Bf. stellte den Antrag auf Bescheidaufhebung gem § 299 BAO am , somit nach Er­gehen des besagten VfGH-Erkenntnisses, jedenfalls aber rechtzeitig innerhalb der Frist des § 302 Abs. 1 BAO.
Das Finanzamt hätte daher im gegenständlichen Fall aus den in den angeführten Judikaten genannten und oben wiedergegebenen Gründen, dem Antrag auf Aufhebung des Rück­zahlungsbescheides vom entsprechen müssen.
Der Beschwerde gegen den Bescheid über die Abweisung des besagten Antrages war daher stattzugeben und der Rückzahlungsbescheid vom gem. § 299 BAO wegen Rechtswidrigkeit (Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für die Rückzahlung des ZKBG infolge Aufhebung des § 18 Abs. 1 Z. 1 KBGG durch den VfGH) aufzuheben.

b) Beschwerde gegen den Bescheid über die Abweisung des Antrages auf Wiederein­setzung in den vorigen Stand
Bekämpft wurde auch der Bescheid über die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 308 BAO in Bezug auf die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Rückzahlungsbescheid vom .
Auf Grund der Stattgabe der Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid betreffend den Antrag auf Bescheidaufhebung gem. § 299 BAO (siehe oben, Punkt II.3.a) scheidet der bekämpfte Rückzahlungsbescheid aus dem Rechtsbestand aus.
Der gegenständliche Antrag auf Wiedereinsetzung bezieht sich daher auf die Frist zur Erhebung einer Berufung/Beschwerde gegen einen nicht mehr existenten Bescheid. Der Spruch des angefochtenen Bescheides (Bescheid über die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) war daher insofern abzuändern, als er auf „Zurückweisung“ des gegenständlichen Antrages als unzulässig zu lauten hat.

c) Beschwerde gegen den Bescheid über die Rückzahlung von ZKBG vom
Infolge der Beseitigung des bekämpften Rückzahlungsbescheides auf Grund der Stattgabe des Antrages auf Bescheidaufhebung gem. § 299 BAO (siehe oben, Punkt II.3.a), bezieht sich auch diese Beschwerde auf einen nicht mehr exis­tierenden Bescheid. Die Zurückweisung der (szt.) Berufung (die nunmehr als Beschwerde zu werten ist) durch das Finanzamt erfolgte daher im Ergebnis (wenn auch mit einer anderen Begründung, nämlich wegen Verspätung der Berufung) zu Recht, die gegenständliche Beschwerde war daher abzuweisen.

d) Beschwerde gegen den Bescheid über die Abweisung des Antrages auf Nachsicht des vorgeschriebenen Rückzahlungsbetrages an ZKBG
Da aus den oben unter Punkt Punkt II.3.a angeführten Gründen der Rückzahlungsbescheid vom nicht mehr dem Rechtsbestand angehört, bezieht sich der gegenständ­liche Nachsichtsantrag auf eine nicht mehr bestehende Vorschreibung. Die Beschwerde gegen den Bescheid über die Abweisung des Antrages auf Nachsicht des strittigen Rückzahlungsbe­trages an ZKBG gem. § 236 BAO war daher insofern abzuändern, als der Spruch auf „Zurück­weisung“ dieses Antrages zu lauten hat (anstatt auf „Abweisung“, wie im angefochtenen Bescheid vom ).

Aus den angeführten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

3. Unzulässigkeit einer (ordentlichen) Revision
Auf Grund der oben unter Punkt II.3.a zitierten Rechtsprechung des VfGH, des VwGH und des UFS sind die Fragen,
- der Reichweite der Anlassfallwirkung des Erkenntnisses des u.a., mit welchem die Bestimmung des § 18 Abs. 1 Z 1 KBGG aufgehoben wurde, sowie
- auf welche Sach- und Rechtslage bei der Entscheidung über einen Antrag auf Bescheidaufhebung gem. § 299 BAO abzustellen ist,
ausreichend geklärt.
Gegen dieses Erkenntnis ist daher gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 in Verbindung mit Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) eine (ordentliche) Revision beim Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am
 

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 18 Abs. 1 Z 1 KBGG, Kinderbetreuungsgeldgesetz, BGBl. I Nr. 103/2001
§ 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Rückzahlung, Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld, Verfassungswidrigkeit, Anlassfall, Bescheidaufhebung
Verweise
VwGH, 2012/17/0146
UFS, RV/0200-I/11
VfGH, B 184/10 u.a.
ECLI
ECLI:AT:BFG:2014:RV.5100522.2012

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at