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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 17.03.2014, RV/7100539/2014

Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit bei einem von Geburt an hochgradig Sehbehinderten

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7100539/2014-RS1
Das Hindernis der entschiedenen Sache steht einer neuerlichen Entscheidung nicht entgegen, wenn eine wesentliche Änderung der Sach- und/oder Rechtslage eingetreten ist.
RV/7100539/2014-RS2
Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist der Nachweis betreffend die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 in einem qualifizierten Verfahren durch ein ärztliches Gutachten zu führen. Ein Gutachten zu einer solchen Sachfrage ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhalts durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen stützen. Auch die Gutachten der Ärzte des Bundessozialamts haben den an ärztliche Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen an ihre Nachvollziehbarkeit zu entsprechen. Sie dürfen sich daher insbesondere nicht widersprechen oder in bloßen Behauptungen erschöpfen. Die Behörden des Verwaltungsverfahrens sind daher verpflichtet, die Beweiskraft der Gutachten des Bundessozialamtes zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen.
RV/7100539/2014-RS3
Wird eine Person etwa nur bei Vorliegen von im Wesentlichen caritativen Motiven eines Arbeitgebers oder zu therapeutischen Zwecken beschäftigt werden, ohne dass der Arbeitgeber realistischerweise eine Arbeitsleistung erwarten könnte und würde der Beschäftigte dabei lediglich eine Art Taschengeld erhalten, so reicht dies noch nicht aus, um von der Selbsterhaltungsfähigkeit dieser Person auszugehen. Andererseits ist auch bei einer Behinderung von 100 % nicht ausgeschlossen, dass der Betreffende imstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
RV/7100539/2014-RS4
Der , 66 5002/6-VI/6/02, Anforderung einer ärztlichen Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, sieht ebenso wie die Richtlinie des BMF-280000/0222-IV/2/2013, Organisationshandbuch – zur verwaltungsökonomischen Abwicklung des Verfahrens – ausschließlich den elektronischen Verkehr mit dem Bundessozialamt durch die Finanzämter vor. Das Gericht hätte daher ohne Bescheidaufhebung die erforderliche Ergänzung des Gutachtens durch das Finanzamt veranlassen müssen, dieses hätte dann dem Gericht zu berichten gehabt, das Gericht hätte hierzu das Parteiengehör zu wahren gehabt und allenfalls hätte in weiterer Folge das Gericht – nach Einholung entsprechender Zustimmungserklärungen – nach § 300 BAO vorgehen können. Hier erweist sich eine sofortige Aufhebung des angefochtenen Bescheides unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde als weitaus verwaltungsökonomischer.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK!


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Das Bundesfinanzgericht hat
 
durch die Richterin
Elisabeth Wanke
über die Beschwerde
 
der beschwerdeführenden Partei
A  B C,
Adresse
vom
gegen den Bescheid
 
des Finanzamtes
Finanzamt Wien 4/5/10 ,
1030 Wien, Marxergasse 4 ,
vor dem Bundesfinanzgericht vertreten durch
Reg.-Rätin ADir. Christine Nemeth
vom
betreffend
Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für sich selbst, wonach der Antrag vom betreffend den Zeitraum Juli 2008 bis April 2013 zurückgewiesen und dieser Antrag ab Mai 2013 bis lfd. abgewiesen wurde,


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1. zu Recht erkannt:
 

Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen den Zurückweisungsbescheid vom betreffend Zurückweisung des Antrags vom betreffend Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für sich selbst für den Zeitraum Juli 2008 bis April 2013 richtet, gemäß § 279 Abs. 1 BAO als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt insoweit unverändert.


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2. beschlossen:
 

Der Abweisungsbescheid vom betreffend Abweisung des Antrags vom betreffend Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für sich selbst ab Mai 2013 bis lfd. sowie die diesbezügliche Beschwerdevorentscheidung vom werden gemäß § 278 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) aufgehoben. Die Sache wird an die Abgabenbehörde zurückverwiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) eine Revision unzulässig.

Entscheidungsgründe

Der am x.x.1980 geborene Beschwerdeführer (Bf) beantragte am mit dem Formular Beih 3 für sich die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung „ab 2004“, da er stark sehbehindert sei. Seit werde Pflegegeld bezogen.

Mit Schreiben vom erkundigte sich der Bf nach dem Stand des Verfahrens. Er habe dem Bundessozialamt telefonisch mitgeteilt erhalten, dass er keine medizinische Untersuchung brauche, da er einen unbefristeten Bescheid über eine Behinderung von 90% / 100% habe.

Aktenkundig ist ein Bescheid des Bundessozialamtes vom , wonach gemäß § 14 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz festgestellt werde, dass der Bf seit dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört und der Grad der Behinderung 90% betrage.

Diesem Bescheid liegt ein ärztliches Sachverständigengutachten vom zugrunde, wonach der Bf an „Albinismus und Schwachsichtigkeit und Nystagmus beidseits, Sehverminderung rechts auf 1/20 und links auf 1/10“ leide (Richtsatzposition 637). Infolge schlechter Sehleistung und Schielen sei der obere Rahmensatz anzuwenden, woraus sich ein Grad der Behinderung von 80% ergebe. Ein Brillenzuschlag von 10% sei zu berücksichtigen. Insgesamt betrage der Grad der Behinderung infolge des äußerst ungünstigen Zusammenwirkens der Behinderungen 90%.

Außerdem ergibt sich aus der Begründung dieses Bescheids, dass dem Bf als Flüchtling Asyl gewährt wurde und er im Zeitpunkt der Bescheiderlassung zum dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt war.

Über Anforderung des Finanzamtes erstattete das Bundessozialamt am folgendes Gutachten, das einen Grad der Behinderung von 100% und eine Arbeitsunfähigkeit ab ausweist:

„…

Anamnese:

Albinismus und Nystagmus seit Geburt, sieht bds schlecht-, in letzter Zeit weitere Sehverschlechterung, trägt keine Brille, hat ein Lesegerät.

Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien m Frequenz):keine Augentherapie

Untersuchungsbefund:

Virus re +5,5sph +1,Ocy11200° FZ 1i +6,Osph 1/60 Beide Augen Nystagmus, Stabismus diverg re, helle Augenbrauen und Wimpern, VBA BH bland HH klar, Iris hypopigmentiert und durchscheinend Linse klar Fundi bei Nystagmus kaum beurteilbar, hypopigmentiert

Status psychicus / Entwicklungsstand

unauffällig

Relevante vorgelegte Befunde:

2005-02-1.0 Dr. X:

Virus re corr.0,05 li corr 0,1. Jg 14 Dg Albinismus, Amblyopie und Nystagmus bds 2012-11-16 KEIN AKTUELLER AUGENBEFUND

Diagnose(n):

Albinismus, Nystagmus und Schwachsichtigkeit beidseits m

Richtsatzposition: 110201 GdB: 100% ICD: 1153.9

Rahmensatzbegründung:

it Sehverminderung rechts auf Fingerzähler und links auf 1/60

Tabelle Kolonne9 Zeile9

Gesamtgrad der Behinderung: 100 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.

Nach der neuen Einschätzungsverordnung von 2010 liegt ein Gdb von 100% und damit Arbeitsunfähigkeit ab der ho Begutachtung am vor.

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand.

Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 2012-11-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.

Der(Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Lt Befund des Augenarztes von 2005 betrug das Sehvermögen rechts 0,05 und links 0,1 womit ein GdB von 80% nach der neuen Einschätzungsverordnung erreicht wird und somit keine Arbeitsunfähigkeit vor 2012 vorliegt…“

Das Finanzamt erließ – ohne dem Bf das Ermittlungsergebnis vorzuhalten- mit Datum einen „Zurückweisungs- und Abweisungsbescheid“, wonach der Antrag vom auf „Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für sich selbst“ „für den Zeitraum von Jänner 2004 bis August 2007 zurückgewiesen und ab September 2007 bis lfd. abgewiesen“ werde.

Begründend wurde das Gutachten des Bundessozialamtes vom beigeschlossen und ausgeführt:

„Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind können für höchstens fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt werden.

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der bis gültigen Fassung haben volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung haben volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Da die Antragsfrist überschritten wurde und die dauernde Erwerbsunfähigkeit ab November 2012 bescheinigt werden konnte (auf die Ausführungen des beiliegenden fachärztlichen Sachverständigengutachtens vom darf verwiesen werden), war spruchgemäß zu entscheiden.“

Dieser Bescheid wurde am zugestellt.

Am langte beim Finanzamt erneut ein mit datierter Antrag (Formular Beih 3) auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für sich ab dem Zeitpunkt des Eintritts der erheblichen Behinderung, der vom medizinischen Sachverständigen festgestellt wurde, höchstens rückwirkend fünf Jahre ab Antragstellung, unter Hinweis auf die sehr starke Sehbehinderung ein. Seit 2005 werde Pflegegeld der Stufe 3 bezogen.

Das Finanzamt wertete diesen Antrag als Berufung und trug dem Bf mit Bescheid vom (zugestellt ) auf, den Bescheid, gegen den sich die Berufung richte, zu bezeichnen, die Punkte, in denen der Bescheid angefochten werde, zu erklären, die beantragten Änderungen anzugeben und schließlich die Berufung zu begründen. Werde dem Auftrag nicht bis nachgekommen, gelte das Anbringen als zurückgenommen.

Da der Bf diesem Auftrag nicht nachkam, erklärte das Finanzamt mit Bescheid vom die „Berufung vom gegen den Zurückweisungs- und Abweisungsbescheid vom (Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für sich selbst)“ gemäß § 85 Abs. 1 BAO als zurückgenommen. Dieser Bescheid wurde am zugestellt.

Mit Datum beantragte der Bf erneut (Formular Beih 3) Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für sich ab dem Zeitpunkt des Eintritts der erheblichen Behinderung, der vom medizinischen Sachverständigen festgestellt wurde, höchstens rückwirkend fünf Jahre ab Antragstellung, unter Hinweis auf „100% Sehbehinderung“. Seit Mai 2005 werde Pflegegeld bezogen.

Beigeschlossen war ein Bescheid des Bundessozialamtes vom , wonach gemäß § 14 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz festgestellt werde, dass der Grad der Behinderung 100% betrage. Der Bescheid verweist auf ein ärztliches Sachverständigengutachten, das allerdings vom Bf nicht vorgelegt wurde.

Das Finanzamt erließ mit Datum einen „Zurückweisungs- und Abweisungsbescheid“, wonach der Antrag vom auf „Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für sich selbst“ „für den Zeitraum von Juli 2008 bis April 2013 zurückgewiesen und ab Mai 2013 bis lfd. abgewiesen“ werde.

„Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der bis gültigen Fassung haben volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung haben volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Da bereits ein in Rechtskraft erwachsener Zurückweisungs- und Abweisungsbescheid vom vorliegt und die dauernde Erwerbsunfähigkeit ab November 2012 bescheinigt werden konnte (auf die Ausführungen des beiliegenden fachärztlichen Sachverständigengutachtens vom darf verwiesen werden), war spruchgemäß zu entscheiden.“

Beigefügt war das bereits bekannte Gutachten des Bundessozialamtes vom ; zugestellt wurde der Bescheid am .

Aktenkundig ist ein weiterer Antrag des Bf vom betreffend Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für sich ab dem Zeitpunkt des Eintritts der erheblichen Behinderung, der vom medizinischen Sachverständigen festgestellt wurde, höchstens rückwirkend fünf Jahre ab Antragstellung, unter Hinweis auf „100% Sehbehinderung“. Seit werde Pflegegeld bezogen.

Durch das Finanzamt wurde vermerkt, dass dieser Antrag als mit dem Antrag vom miterledigt gelte.

Mit Eingabe vom erhob der Bf gegen den Zurückweisungs- und Abweisungsbescheid vom Berufung mit dem Antrag, ihm möge „mit Bescheid der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung rückwirkend und laufend gewährt“ werden. Dies begründete der Bf wie folgt:

„Der Zurückweisungs- und Abweisungsbescheid beruht auf einen bereits in Rechtskraft erwachsenen Bescheid vom , in der von einer Erwerbsunfähigkeit ab November 2012 ausgegangen wird,

Jedoch möchte ich auf einen Arztbrief vom verweisen (übersetzt von einem allgem. beeid. und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher am ) der festhält, dass die der Entscheidung zu Grunde liegende körperliche Beeinträchtigung schon vor meinem 21. Lebensjahr eingetreten bzw. vorhanden war. Ich bitte Sie daher diesen Umstand in die Entscheidung miteinfließen zu lassen.“

Beigefügt war eine beglaubigte Übersetzung aus dem Persischen einer Bestätigung eines Facharztes für Augenheilkunde vom 11.9.1370 (entspricht dem ), wonach der Bf an Albinismus erkrankt sei. Er leide an beiden Augen an Nystagmus. Aus diesem Grund habe der Bf ein sehr schwaches Sehvermögen, und zwar 1/10, +3/75 am rechten Auge und +3/50 am linken Auge. „Wegen Nystagmus braucht er Lehrbücher mit großen Buchstaben für Menschen mit schwachem Sehvermögen“.

Am war der Bf knapp 11 Jahre alt.

Das Finanzamt holte erneut ein Gutachten des Bundessozialamtes ein, hielt dies dem Bf nicht zur Äußerung vor und wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom (zugestellt am ) als unbegründet ab:

„Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der bis gültigen Fassung haben volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung haben volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Da die dauernde Erwerbsunfähigkeit ab März 2013 bescheinigt werden konnte (auf die Ausführungen des beiliegenden fachärztlichen Sachverständigengutachtens vom darf verwiesen werden), ist kein Anspruch auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung gegeben.

Die Berufung war als unbegründet abzuweisen.“

Das erwähnte Gutachten lautet:

„…Anamnese:

VGA 100 GdB. Subcutaner Albinismus, beide Augen Nystagmus, arbeitet derzeit im Callcenter. 2004 nach Österreich gekommen.

Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz):

Untersuchungsbefund:

Visus rechts -+ 3,Os Handbewegungen, links + 4,Os+2,Oc 70°/0,0,8; Vorderer Abschnitt: beide Augen: Hornhaut axial klar, Iris hellblau durchscheinend, Linse bds. axial klar, Fundi: typisch pigmentierter Fundi; Papille blass; Stellung und Motilität: Strabismus divergens rechts, Nystagmus

Status psychicus / Entwicklungsstand: unauffällig

Relevante vorgelegte Befunde:

2005-10-02 Dr.X:

Visus rechts cc 0,05, links 0,1

1991-12-02 DR.Y:

Beglaubigte Obersetzung: Visus rechts 1;70, links 1/10, Dg: Albinismus und Nystagmus

2008-08-05 DR. Z:

Visus rechts +3,0 + 0,75c 90°/O,16; links + 3,35, /0,12

2013-03-13 DR. A:

Visus rechts: HBW; Links + 4,0 + 2,0 75° / 1/60

Diagnose(n):Blindheit beide Augen wegen Nystagmus bei okulokutanem A

Richtsatzposition: 110201 Gdb: 100% ICD: H53.9

Rahmensatzbegründung:

lbinismus. Tabelle Kolonne 9, Zeile 9

Gesamtgrad der Behinderung: 100 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.

Keine Änderung zum VGA bezüglich gesamt-GdR

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand.

Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 1980-x-x aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich. Der(Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

erstellt am 2013-10-25 von …

Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie

nicht zugestimmt am 2013-10-25 Leitender Arzt: …

Abänderung des Gutachtens durch den leitenden Arzt

Diagnose (n)

Blindheit beide Augen wegen Nystagmus bei okulokutanem A

Richtsatzposition: 110201 Gdb: I00% ICD: H53.9

Rahmensatzbegründung:

Ibinismus. Tabelle Kolonne 9, Zeile 9

Gesamtgrad der Behinderung: 100 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.

Keine Änderung zum VGA bezüglich gesamt-GdB

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich -- Dauerzustand.

Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades der Behinderung ist ab 1980-x-x aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich. Der(Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Seit 3/2013 (Befund Dr. A) dauernd außer Stande sich selbst den Unterhalt zu verschaffen erstellt am 2013-10-25 von … leitender Arzt“

Hiergegen erhob am mit Datum der Bf als „Berufung über Berufungsvorentscheidung“ bezeichneten Vorlageantrag:

„…Die Vorentscheidung beruht in ihrer Argumentation nur auf dem Befund von Herrn Dr. A, der eine dauernde Erwerbsunfähigkeit ab 03/2013 festgestellt hat.

Zusätzlich wird jedoch wieder außer Acht gelassen, dass meine körperliche Beeinträchtigung schon vor meinem 21. Lebensjahr eingetreten war (siehe Befund vom ). Eine rückwirkende Anerkennung der Behinderung ab dem x.x.1980 wird dabei zwar für möglich befunden, jedoch in der Entscheidung selbst nicht berücksichtigt.

Ich stelle daher wie folgt den Antrag, dass mir mit Bescheid die Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung rückwirkend und laufend gewährt wird.“

Das Finanzamt legte am die Berufung gegen den Bescheid vom dem „Unabhängigen Finanzsenat“ zur Entscheidung vor.

Mit ist das Bundesfinanzgericht an die Stelle des Unabhängigen Finanzsenats getreten. Gemäß § 323 Abs. 37 BAO sind die Bestimmungen für Beschwerden an das Bundesfinanzgericht auch auf an diesem Tag unerledigte Berufungen anzuwenden.

Das Bundesfinanzgericht hat über die Beschwerde erwogen:

I. Beschwerdegegenstand

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag des Bf vom auf „Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für sich selbst“ 1. „für den Zeitraum von Juli 2008 bis April 2013“ zurück und 2. „ab Mai 2013 bis lfd.“ ab.

Laut Antrag vom wurde erhöhte Familienbeihilfe „ab dem Zeitpunkt des Eintritts der erheblichen Behinderung, der vom medizinischen Sachverständigen festgestellt wurde, höchstens rückwirkend fünf Jahre ab Antragstellung“ beantragt.

Der Berufungsantrag vom begehrt den „Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung rückwirkend und laufend“. In der Begründung wird auf eine ärztliche Bestätigung verwiesen, wonach der Bf bereits vor Vollendung des 25. Lebensjahres schwer sehbehindert gewesen sei.

Die als Beschwerde wirkende Berufung wird daher dahingehend zu verstehen sein, dass der Bescheid vom in seinem gesamten Inhalt angefochten wird.

II. Zurückweisung des Antrags vom

Der angefochtene Bescheid weist den Antrag vom hinsichtlich des Zeitraumes fünf Jahre vor Antragstellung, also Juli 2008, bis April 2013, dem Monat der Zustellung des Zurückgenommenerklärungsbescheids vom , wegen entschiedener Sache zurück.

Es ist richtig, dass über eine bereits entschiedene Sache grundsätzlich nicht nochmals ein Bescheid ergehen darf.

Dies gilt allerdings nur, wenn die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren haben. Das Hindernis der entschiedenen Sache steht einer neuerlichen Entscheidung nicht entgegen, wenn eine wesentliche Änderung der Sach- und/oder Rechtslage eingetreten ist (vgl. Hebenstreit in Czaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 13 Rz 24 ff., mit ausführlichen Hinweisen auf die Judikatur des VwGH und Entscheidungen des UFS, etwa ).

Nun liegt im gegenständlichen Fall aber Sachidentität vor, da der Antrag selbst keine neuen Sachverhaltselemente enthält und der beigeschlossene Bescheid nach dem Behinderteneinstellungsgesetz einen Grad der Behinderung von 100% (statt zuvor 80%) festsetzt, ein Grad der Behinderung von 100% aber bereits dem Bescheid des Finanzamts vom zugrunde gelegen ist. Hinsichtlich des Zeitpunkts des Eintritts einer Erwerbsunfähigkeit enthält dieser Bescheid aber keine Angaben.

Der angefochtene Bescheid vom erweist sich daher, soweit er die Zurückweisung des Antrags hinsichtlich des Zeitraums Juli 2008 bis April 2013 ausspricht, als nicht rechtswidrig.

Zu bemerken ist allerdings, dass nach Ansicht des Gerichts der Antrag vom noch unerledigt ist. Dieser ist auch nicht vom Spruch des Zurückweisungsbescheides vom erfasst.

Bei der Erledigung dieses Antrags wird zu berücksichtigen sein, dass der Bf mit der hier verfahrensgegenständlichen Berufung vom eine ärztliche Bestätigung vom 11.9.1370 (entspricht dem , damals war der Bf knapp 11 Jahre alt) vorgelegt hat, wonach der Bf ein sehr schwaches Sehvermögen, und zwar 1/10, +3/75 am rechten Auge und +3/50 am linken Auge habe („Wegen Nystagmus braucht er Lehrbücher mit großen Buchstaben für Menschen mit schwachem Sehvermögen“).

Insoweit liegt keine Sachidentität vor, da in dem abgeschlossenen Verfahren betreffend Juli 2008, bis April 2013 eine Bestätigung über eine bereits im 11. Lebensjahr bestandene hochgradige Sehschwäche der Behörde nicht bekannt war.

Das Finanzamt wird in weiterer Folge nach Verfahrensergänzung – siehe auch unter III. – inhaltlich über den Antrag vom abzusprechen haben.

Die Revision ist diesbezüglich gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zuzulassen, da es sich um keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt und das Bundesfinanzgericht der bei Hebenstreit in Czaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 13 Rz 24 ff. dargestellten Judikatur des VwGH folgt.

III. Abweisung des Antrags vom

In der Abweisung des Antrags vom in Bezug auf den Zeitraum „Mai 2013 bis lfd.“, also bis August 2013, verweist das Finanzamt im angefochtenen Bescheid auf das Gutachten des Bundessozialamtes vom , zuletzt in der Berufungsvorentscheidung auf das Gutachten des Bundessozialamtes vom .

Nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

Mit Art. 135 Z. 2 des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. I Nr. 111/2010, wurden unter anderem die Begriffe "27. Lebensjahres" durch die Begriffe "25. Lebensjahres" ersetzt; diese Änderung trat gemäß § 55 Abs. 17 lit. g FLAG 1967 in der Fassung des Art. 135 Z. 37 des Budgetbegleitgesetzes 2011 mit in Kraft.

Gemäß § 8 Abs. 6 erster Satz FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen aufgrund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Das Gutachten des Bundessozialamtes vom , auf das sich das Finanzamt in seiner abweisenden Berufungsvorentscheidung stützt, ist unschlüssig.

Das Gutachten stellt Blindheit auf beiden Augen fest.

Aufgrund der dem Bundessozialamt vorgelegten Befunde geht das Gutachten vom von einem Grad der Behinderung von 100% ab x.x.1980, also dem Tag der Geburt des Bf, aus.

Die gutachtende Fachärztin für Augenheilkunde und Optometrie hält den Bf offenbar vom Tag der Geburt an für voraussichtlich außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, während der Leitende Arzt – unter Wiederholung der maßgebenden Aussagen der Gutachterin – das Gutachten dahingehend abändert, dass der Bf „seit 3/2013“, also seit dem Befund von Dr. A am , dauernd außer Stande sein soll, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist der Nachweis betreffend die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 in einem qualifizierten Verfahren durch ein ärztliches Gutachten zu führen. Ein Gutachten zu einer solchen Sachfrage ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhalts durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen stützen (vgl. für viele ).

Auch die Gutachten der Ärzte des Bundessozialamts haben den an ärztliche Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen an ihre Nachvollziehbarkeit zu entsprechen haben. Sie dürfen sich daher insbesondere nicht widersprechen oder in bloßen Behauptungen erschöpfen. Die Behörden des Verwaltungsverfahrens sind daher verpflichtet, die Beweiskraft der Gutachten des Bundessozialamtes zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen (vgl. etwa , m.w.N.).

Wird eine Person etwa nur bei Vorliegen von im Wesentlichen caritativen Motiven eines Arbeitgebers oder zu therapeutischen Zwecken beschäftigt werden, ohne dass der Arbeitgeber realistischerweise eine Arbeitsleistung erwarten könnte und würde der Beschäftigte dabei lediglich eine Art Taschengeld erhalten, so reicht dies noch nicht aus, um von der Selbsterhaltungsfähigkeit dieser Person auszugehen (vgl. etwa ). Andererseits ist auch bei einer Behinderung von 100 % nicht ausgeschlossen, dass der Betreffende imstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl. ).

Wenn das Gutachten eine Blindheit ab Geburt und einen Grad der Erwerbsminderung von 100% konstatiert, wäre es schlüssig anzunehmen, der Bf sei ebenfalls ab der Geburt dauernd außerstande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Wieso der Bf erst ab dem Befund durch Dr. A im Jahr 2013 außerstande gewesen sein soll, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, kann durch das Gutachten vom nicht erkannt werden.

Gemäß § 278 BAO kann das Verwaltungsgericht mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1 BAO) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können, und die Bescheidbeschwerde weder als unzulässig oder nicht rechtzeitig eingebracht zurückzuweisen (§ 260 BAO) noch als zurückgenommen (§ 85 Abs. 2 BAO, § 86a Abs. 1 BAO) oder als gegenstandlos (§ 256 Abs. 3 BAO, § 261 BAO) zu erklären ist. Eine solche Aufhebung ist unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat. Im weiteren Verfahren sind die Abgabenbehörden an die für die Aufhebung maßgebliche, im aufhebenden Beschluss dargelegte Rechtsanschauung gebunden. Dies gilt auch dann, wenn der Beschluss einen kürzeren Zeitraum als der spätere Bescheid umfasst.

Der , 66 5002/6-VI/6/02, Anforderung einer ärztlichen Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, sieht ebenso wie die Richtlinie des BMF-280000/0222-IV/2/2013, Organisationshandbuch – zur verwaltungsökonomischen Abwicklung des Verfahrens – ausschließlich den elektronischen Verkehr mit dem Bundessozialamt durch die Finanzämter vor.

Das Gericht hätte daher ohne Bescheidaufhebung die erforderliche Ergänzung des Gutachtens durch das Finanzamt veranlassen müssen, dieses hätte dann dem Gericht zu berichten gehabt, das Gericht hierzu das Parteiengehör zu wahren gehabt und allenfalls hätte in weiterer Folge das Gericht – nach Einholung entsprechender Zustimmungserklärungen – nach § 300 BAO vorgehen können.

Hier erweist sich eine sofortige Aufhebung des angefochtenen Bescheides unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde als weitaus verwaltungsökonomischer.

Feststellungen über die bisherige Berufstätigkeit des Bf – etwa im Wege der Einholung eines Sozialversicherungsauszugs und Prüfung der Art allenfalls dort ausgewiesener Beschäftigungen – hat das Finanzamt nicht getroffen.

Da laut dem Gutachten vom der Bf „derzeit im Callcenter“ arbeitet, wird im Hinblick auf die oben dargestellte Judikatur auch zu erheben sein, worum es sich bei dieser „Arbeit“ konkret handelt und ob – bejahendenfalls auch warum – der Bf unbeschadet dieser „Arbeit“ voraussichtlich nicht in der Lage ist, sich auf Dauer selbst den Unterhalt zu verschaffen. Versicherungsdatenauszüge wurden bislang ebenso wenig beigeschafft wie andere diesbezügliche Ermittlungen gepflogen.

Das Finanzamt wird zunächst die bisherige Berufslaufbahn des Bf zu erheben und zu prüfen haben, ob der Bf bislang selbsterhaltungsfähig war. Wovon der Bf bislang seinen Lebensunterhalt bestritten hat, ist im bisherigen Verfahren offen geblieben.

In weiterer Folge wird das Bundessozialamt unter Bekanntgabe der Feststellungen des Finanzamtes über die bisherige Berufslaufbahn zur Ergänzung des Gutachtens aufzufordern sein.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundessozialamt sein Gutachten dahingehend zu ergänzen haben, warum seiner Ansicht nach der von Geburt an blinde Bf erst seit März 2013, also erst mit 33 Jahren, dauernd außerstande sein soll, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Soweit der angefochtene Bescheid vom die Abweisung des Antrags vom für den Zeitraum „Mai 2013 bis lfd.“, also bis August 2013, ausspricht, ist dieser mit Rechtswidrigkeit (Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG) behaftet und daher gemäß § 278 BAO (ebenso wie die Berufungsvorentscheidung) unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde aufzuheben.

Die Revision ist diesbezüglich gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zuzulassen, da es sich um keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt und das Bundesfinanzgericht der oben dargestellten Judikatur des VwGH folgt.

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Schlagworte
Familienbeihilfe
Vollwaise
Erwerbungsfähigkeit
Sehbehinderung
Blindheit
Zeitpunkt
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2014:RV.7100539.2014

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at