TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 23.05.2014, RV/1100343/2011

Doppelte Haushaltsführung bei Begründung eines vom Erwerbsort entfernten Familienwohnsitzes

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Stammrechtssätze
RV/1100343/2011-RS1
Unzumutbarkeit der täglichen Heimkehr liegt auch vor, wenn eines der beiden von Rz 342 der LStR kumulativ geforderten Kriterien um 50% überschritten wird. Dauert die Fahrt vom Familienwohnsitz zur Arbeitsstelle und zurück mehr als drei Stunden, so ist die tägliche Rückkehr nicht mehr zumutbar. Trägt die Steuerpflichtige die Kosten für den bei Gründung eines entfernten Familienwohnsitzes berufsbedingt beibehaltenen Zweitwohnsitz, so ist es ohne Belang, wer welche Kosten des gemeinsamen Familienwohnsitzes trägt.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Romuald Kopf in der Beschwerdesache der Bf, vertreten durch Lang und Schiller Steuerberatung GmbH & Co KG, Kirchstraße 9a, 6900 Bregenz, gegen die Bescheide des Finanzamtes Bregenz vom und betreffend Einkommensteuer 2009 und 2010 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird stattgegeben.

Die Einkommensteuer 2009 wird festgesetzt mit 4.229,11 Euro. Die Abgabengutschrift beträgt -3.446,25 Euro.

Die Einkommensteuer 2010 wird festgesetzt mit 4.490,91 Euro. Die Abgabengutschrift beträgt -3.367,00 Euro.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin, nachfolgend Bf abgekürzt, machte in den Steuererklärungen der Streitjahre folgende Kosten unter dem Titel der doppelten Haushaltsführung geltend:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
 
2009
2010
Miete
5.160,00
5.160,00
Nebenkosten
381,49
570,00
Fahrtkosten
3.372,00
3.372,00
Summe
8.913,49
9.102,78

Im angefochtenen Bescheide vom betreffend das Jahr 2009 versagte das Finanzamt den geltend gemachten Aufwendungen die Anerkennung als Werbungskosten. Begründend führte es sinngemäß aus: Zum einen sei die tägliche Rückkehr zum Familienwohnsitz bis zu einer Entfernung von 120  km jedenfalls zumutbar und möglich. Zum anderen verfüge die Bf laut Melderegister nur über einen (einzigen Haupt)Wohnsitz am Beschäftigungsort. Auch habe sie nie Angaben zum Bestehen einer Partnerschaft gemacht, obwohl sie nun behaupte, eine Lebensgemeinschaft bestehe bereits seit sechs Jahren. Ob die Lebensgemeinschaft aber wirklich bestanden habe, sei fraglich.

Die Bf erhob Berufung, die vom BFG gemäß § 323 Abs. 38 BAO als Beschwerde zu erledigen ist.

In der teilweise stattgebenden Berufungsvorentscheidung vom stellte das Finanzamt die gemeinsame Lebensführung in Lochau außer Streit. Es anerkannte die für Familienheimfahrten geltend gemachten Kosten unter Beachtung der gesetzlichen Obergrenzen als Werbungskosten, versagte aber den darüber hinaus geltend gemachten Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung mit der Begründung die Anerkennung, die Bf habe nicht nachgewiesen, dass sie anteilig zur Kostentragung für den Wohnsitz in Lochau beigetragen habe. Im Verhältnis zu den bereits auch schon davor zu tragenden Kosten seien ihr auch gar keine Mehrkosten erwachsen.

Den angefochtenen Bescheid betreffend das Jahr 2010 begründete das Finanzamt mit bloßem Verweis auf den Vorjahresbescheid. Demgemäß wich es von der Steuererklärung insoweit ab, als es zwar die Fahrt-, nicht aber die Unterbringungskosten als Werbungskosten anerkannte, wogegen sich die Bf mit Berufung unter Hinweis auf das Vorbringen im Verfahren betreffend das Vorjahr wandte.

Das BFG hat erwogen:

Sachverhalt

Die Bf war in den Streitjahren und auch schon etliche Jahre zuvor in und bei der AG, (Ortsteil Riezlern, ca. 1.100 m ü.M.), beschäftigt. Sie hatte auch dort einen Wohnsitz (Wohnung mit ca. 40 m2 Nutzfläche). Bereits seit etlichen Jahren ist sie in einer ernsten und dauerhaften Partnerschaft mit einem in Bregenz beschäftigten und in Lochau (ca. 400 m ü.M.) wohnhaften Steuerpflichtigen verbunden. Dessen Wohnsitz wurde von den beiden bereits vor den Streitjahren (ca 2005) zum gemeinsamen "Familienwohnsitz" gewählt, entsprechend eingerichtet und als gemeinsamer Haushalt an den Wochenenden, an Fest- und Feiertagen und während der Ferien genutzt. Die damit verbundenen Mühen und Kosten wurden gemeinschaftlich getragen, wobei der exakte Anteil der Bf nicht feststellbar ist. Die entsprechenden bzw erforderlichen melderechtlichen Konsequenzen (Anmeldung in Lochau und Ummeldung des früheren Hauptwohnsitzes zum Nebenwohnsitz) wurden von der Bf erst im August 2010, also verspätet, gezogen. Bereits davor fand die Lochauer Anschrift bzw der gemeinsame Briefkasten für postalische Zustellungen an die Bf Verwendung. Für Stabilität und Qualität der Partnerschaft in den fraglichen Jahren sprechen der gemeinsame Kinderwunsch, eine gemeinsame Kontoverbindung, häufige Telefonkontakte während der Woche, gemeinschaftlich getragene Aufwendungen und Anschaffungen, gemeinsam ausgeübte Freizeitaktivitäten (Radfahren, Klettern, Wandern) und der Umstand, dass der Partner der Bf seit 2006 Bezugsberechtigter ihrer Lebensversicherung und Bürge für Verpflichtungen aus ihrer Kreditkarte ist. Die Bf war während der Streitjahre bei Lochauer Nachbarn als hier wohnhaft bekannt. Sie suchte auch von hier aus einen praktischen Arzt in Bregenz auf, bewarb sich seit 2006 um 25 Arbeitsstellen im Raum Bregenz und bezahlte in den Streitjahren im Raum Bregenz auch etliche Tankrechnungen. Die monatlichen Aufwendungen für die Wohnung am Beschäftigungsort betrugen 430 Euro zuzüglich der von der Vermieterin in Rechnung gestellten Nebenkosten. Die gängigen Routenplaner (google, öamtc, nokia, michelin) empfehlen für die Verbindung zwischen dem Familienwohnsitz und dem Beschäftigungsort der Bf verschiedene Verbindungen und machen auch unterschiedle Angaben zu Entfernung und Fahrtdauer. Zur Wahl stehen zwei Hauptvarianten mit weiteren Untervarianten, nämlich zum einen die geringfügig schnellere, eindeutig kürzere, gewiss aber kurvenreichere, vor allem im Winter etwas unsichere und recht anspruchsvolle Verbindung über den höchsten befahrenen Gebirgspass Deutschlands (ca. 1.400 m ü.M.). Die gängige Alternative dazu ist die zweifelsfrei bequemere und (jedenfalls subjektiv) sichere Fahrt unter Benutzung der höherrangigen "Voralpenstraße" über Oberstaufen auf einem recht großen Teilbereich der Strecke. Die kürzesten Fahrzeiten für die beiden Hauptvarianten weist Google aus (74 und 87 km bzw 82 und 85 min), die längsten ÖAMTC (73 und 83 - 87 km bzw 96 und 108- 118 min). Die von Michelin angegebenen Werte (74 und 89 km bzw 94 und 95 min) liegen insbesondere hinsichtlich der Fahrtdauer in der Mitte und wurden dieser Entscheidung zugrunde gelegt. Der Vollständigkeit halber wird auch noch festgestellt: Die Bf nahm am eine Stelle im Raum Bregenz an, woraufhin sie die Arbeit im Kleinwalsertal und den dortigen Wohnsitz aufgab.

Beweiswürdigung

Die getroffenen Feststellungen sind durch folgende, sich schlüssig ergänzenden, ein klares Gesamtbild ergebenden Beweise nachgewiesen, durch die nachfolgend angeführten Hinweise indiziert und durch das mit den Lebenserfahrungen in Einklang stehende, in sich schlüssige Vorbringen der Bf untermauert:

  • Internet (maps.google.at, routenplaner.oeamtc.at, viamichelin.at)

  • Bewerbungsschreiben, Absagen, Lebenslauf (AS 30 – 34/2009)

  • Tankbelege (35 – 38)

  • Diverse Kontoauszüge betreffend Zahlungen an den Partner und die Vermieter (ua vom )

  • Bestätigung des Alpenvereins (39)

  • Arbeitsunfähigkeitsbestätigung (40)

  • Arztbriefe (42 – 45)

  • Kostenabfrage betreffend Gesprächsgebühren (46 – 48)

  • Bankbestätigung vom (49)

  • Schreiben der Lebensversicherung vom (50)

  • Bankbelege betreffend Mietzahlungen (51)

  • Bestätigung eines Nachbars (51)

  • Bankbelege betreffend Überweisungen an den Partner (56)

  • Bestätigung des Partners über die "Haushaltsabwicklung" (57)

  • Bankbestätigung vom betreffend Bürgschaft (58)

  • Bankbestätigung betreffend Mietzahlungen (65)

  • Parteienvorbringen (Steuererklärungen, Rechtsmittel-Schriftsätze, Telefonat vom )

Das BFG würdigt damit die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens so wie das Finanzamt in der Berufungsvorentscheidung betreffend 2009 bzw im angefochtenen Bescheid betreffend 2010. Das Gericht ist also, und zwar auf Grund der ungewöhnlich dichten Beweislage, zur Überzeugung gelangt, dass die Bf in den Streitjahren – anders als melderechtlich indiziert – in einer Lebensgemeinschaft gelebt und mit ihrem Partner in Lochau einen gemeinsamen Haushalt geführt hat. Die von der Bf für ihr melderechtliches Vorgehen angeführten, im Wesentlichen auf der Verbundenheit mit dem Arbeitgeber fußenden Gründe, sind nachvollziehbar und entsprechen durchaus den Lebenserfahrungen. Die vom Michelin-Routenplaner angezeigten Daten wurden auch auf der Basis folgender Überlegungen übernommen: Alle Angaben im Internet gehen standardmäßig von günstigen Verkehrs- und Straßenverhältnissen aus, wie sie erfahrungsgemäß jedenfalls nicht immer herrschen. Zudem wird auf diese Weise dem Umstand Rechnung getragen, dass die Bf pünktlich am Arbeitsort eintreffen und daher ein zeitliches Polster einplanen musste, während sie auf dem Rückweg in den einsetzenden Wochenendverkehr kommen konnte. Schließlich ist zu bedenken, dass die Bf sogar ein Rechercheergebnis vorgelegt hat, bei dem die (an sich in jeder Beziehung kürzere) Fahrt über Balderschwang 118 Minuten dauert.

Rechtliche Beurteilung

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Beibehaltung des Familienwohnsitzes aus der Sicht einer Erwerbstätigkeit, die in unüblicher Entfernung von diesem Wohnsitz ausgeübt wird, niemals durch die Erwerbstätigkeit, sondern immer durch Umstände veranlasst, die außerhalb dieser Erwerbstätigkeit liegen. Berufliche Veranlassung der mit einer doppelten Haushaltsführung verbundenen Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen und deren daraus resultierende Qualifizierung als Werbungskosten liegt nach dieser Rechtsprechung nur dann vor, wenn dem Steuerpflichtigen die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Ort seiner Beschäftigung nicht zuzumuten ist, wobei die Unzumutbarkeit unterschiedliche Ursachen haben kann. Solche Ursachen müssen aus Umständen resultieren, die von erheblichem objektiven Gewicht sind. Momente bloß persönlicher Vorliebe für die Beibehaltung des Familienwohnsitzes reichen nicht aus. Der Grund, warum Aufwendungen für Familienheimfahrten dennoch als Werbungskosten berücksichtigt werden, liegt darin, dass derartige Aufwendungen so lange als durch die Erwerbstätigkeit veranlasst gelten, als eine Wohnsitzverlegung nicht zugemutet werden kann. Die Unzumutbarkeit kann ihre Ursachen sowohl in der privaten Lebensführung haben als auch in der weiteren Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen oder in der Erwerbstätigkeit des Ehegatten. Solche Umstände können auch eine auf Dauer angelegte doppelte Haushaltsführung rechtfertigen (vgl. Hofstätter/Reichel, Die Einkommensteuer, Kommentar, § 16 Abs. 1 Z. 6, Tz 3; , , 2001/14/0121, , 2003/13/0154, , 2005/14/0046, , 2004/15/0102).

Die Unzumutbarkeit ist aus der Sicht der jeweiligen Streitjahre zu beurteilen (). Unerheblich ist dabei, ob der Familienwohnsitz am Beschäftigungsort eines Partners beibehalten oder dort neu gegründet wird. Danach zu unterscheiden, ob eine Steuerpflichtige an ihrem (Familien)Wohnsitz die Lebensgemeinschaft mit einem (Einkommen erzielenden) Lebensgefährten schon vor oder erst nach der Aufnahme ihrer Berufstätigkeit an einem anderen Ort begründet, führte zu einem Verstoß gegen das durch Art 7 Abs 1 B-VG festgelegte Sachlichkeitsgebot. Wird demnach erstmals ein gemeinsamer Familienwohnsitz am Beschäftigungsort des Partners gegründet und muss die Partnerin, weil sie ihre bisherige Erwerbstätigkeit beibehält, auch ihren bisherigen Wohnsitz außerhalb der üblichen Entfernung vom Familienwohnsitz beibehalten, so liegt ab diesem Zeitpunkt eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung vor (vgl. Jakom/Lenneis, EStG, 2013, § 16 Rz 56, Stichwort Doppelte Haushaltsführung lit d; ; ; ; Wiesner/Grabner/Wanke, EStG § 16 Anm. 22).

Was das Kriterium der Unzumutbarkeit anlangt, geht das BFG von der auf höchstgerichtlicher Rechtsprechung () basierenden Verwaltungspraxis (LStR 2002, Rz 342) aus, wonach die Unzumutbarkeit der täglichen Rückkehr jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn der Familienwohnsitz vom Beschäftigungsort mehr als 80 km entfernt ist und die Fahrzeit mehr als eine Stunde beträgt. Diesen Grundgedanken weiterentwickelnd und die Umstände des Beschwerdefalles berücksichtigend, gelangte das Gericht zur Überzeugung, dass Unzumutbarkeit auch vorliegt, wenn eines der beiden genannten Kriterien (unabhängig vom anderen) um 50% überschritten wird. Im Beschwerdefall gilt dies für die Fahrtdauer. Dauerte die Fahrt vom Familienwohnsitz zur Arbeitsstelle und zurück wie gegenständlich regelmäßig mehr als 3 Stunden, was einer Verlängerung der Arbeitszeit um 37,5 % entspricht, so kann nicht mehr davon die Rede sein, dass die tägliche Rückkehr zumutbar ist.

Davon ausgehend, dass die Frage der Zumutbarkeit allein aus der Sicht der Streitjahre zu beurteilen ist, zeigt sich, dass das Finanzamt in der Frage, welche Kosten unter dem Titel der doppelten Haushaltsführung zu berücksichtigen sind, einen falschen Vergleichsmaßstab angelegt hat. Nach Rechtsmeinung des Gerichtes ist es falsch, die Unterbringungskosten am Beschäftigungsort mit der Begründung nicht als Werbungskosten anzuerkennen, diese Kosten wären der Bf  auch schon vor der Gründung des Familienwohnsitzes in Lochau erwachsen. Denn diese Aufwendungen sind in den Streitjahren deshalb zu berücksichtigen, weil sie entstanden sind, da die Bf ihre Kleinwohnung nach Gründung eines Familienwohnsitzes in Lochau allein deshalb beibehalten hat, weil eine tägliche Rückkehr an den Familienwohnsitz nicht zumutbar war. Angesichts dessen ist es nicht weiter von Belang, inwieweit sich die Bf an den Kosten der gemeinsamen Haushaltsführung beteiligt hat (Wiesner/Grabner/Wanke, EStG § 16 Anm. 22; ; ), zumal jedenfalls eine gewisse Beteiligung an den Kosten und Mühen der gemeinsamen Haushaltsführung festgestellt wurde.

Der Beschwerde war somit stattzugeben.

Zulässigkeit einer Revision:

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes eine Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wurde mit diesem Erkenntnis nicht entschieden. Das Erkenntnis fußt auf der klaren und eindeutigen Rechtslage und folgt der in ihm zitierten, höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

Feldkirch, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at