Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 17.02.2014, RV/3100422/2013

Wiederaufnahme des Verfahrens nach unerledigter Beschwerde gegen einen zuvor erlassenen Aufhebungsbescheid

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Stammrechtssätze
RV/3100422/2013-RS1
Die gesetzliche Vermutung, wonach Zustellungen am dritten Werktag nach der Übergabe an die Post als bewirkt gelten, ist widerlegbar. Gegenteilige Behauptungen des Empfängers reichen, es sei denn, die Behörde kann die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung beweisen. Die Beweislast trifft die Behörde.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. A in der Beschwerdesache des B, D, vertreten durch StB C, gegen den Bescheid des Finanzamts C mit Ausfertigungsdatum betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Einkommensteuer 2010

zu Recht erkannt:
 

1. Der Beschwerde wird Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Mit Bescheid vom wurde das Verfahren hinsichtlich der Einkommensteuer 2010 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder aufgenommen. In der Begründung dieses Bescheides wurde ausgeführt, dass anlässlich einer nachträglichen Prüfung der Erklärungsangaben die in der Begründung zum beiliegenden Einkommensteuerbescheid angeführten Tatsachen und/oder Beweismittel, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO erforderlich machen, neu hervorgekommen sind. Die Wiederaufnahme des Verfahrens sei unter Abwägung von Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsgründen (§ 20 BAO) verfügt worden. Im vorliegenden Fall überwiege das öffentliche Interesse an der Rechtsrichtigkeit der Entscheidung das Interesse auf Rechtsbeständigkeit und die steuerlichen Auswirkungen könnten nicht als geringfügig angesehen werden.

2. In der Berufung vom gegen diesen Bescheid wurde ausgeführt, dass keinerlei Wiederaufnahmsgründe vorliegen würden. Im Verfahren seien alle maßgeblichen Sachverhalte für die Besteuerung offengelegt worden. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens widerspreche eklatant dem Rechtsgut der Rechtssicherheit.

3. Die Berufung wurde dem Unabhängigen Finanzsenat (UFS) – ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung – unmittelbar zur Entscheidung vorgelegt.

4. Gemäß § 323 Abs. 38 BAO sind die am beim UFS als Abgabenbehörde zweiter Instanz anhängigen Berufungen vom Bundesfinanzgericht (BFG) als Beschwerden im Sinn des Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigen. Solche Verfahren betreffende Anbringen wirken mit auch gegenüber dem BFG.

II. Sachverhalt

1. Nach Ausweis der vom Finanzamt vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens stellt sich der im Beschwerdefall zu beurteilende Sachverhalt wie folgt dar:

a.) In der am elektronisch eingereichten Einkommensteuererklärung wurden Werbungskosten von 10.186,82 € geltend gemacht, darunter Aufwendungen für Fachliteratur von 1.774,19 €, für Aus- und Fortbildungskosten von 203,50 € sowie Sonstige Werbungskosten von 3.057,58 €. Um welche Aufwendungen es sich dabei im Einzelnen gehandelt hat, konnte nicht ersehen werden.

b.) Mit Schreiben des Finanzamts vom wurde der Bf. davon in Kenntnis gesetzt, dass die Veranlagung für das Jahr 2010 zur Beschleunigung der Erledigung vorerst ohne nähere Prüfung der Erklärungsangaben durchgeführt worden sei und seine Erklärung aufgrund einer elektronischen Zufallsauswahl zur nachprüfenden Kontrolle ausgewählt worden sei. Er wurde darum ersucht, für „die beanspruchten Ausgaben“ – darunter Fachliteratur in Höhe von 1.774,19 €, Aus- und Fortbildungskosten von 203,50 € sowie Sonstige Werbungskosten von 3.057,58 € – eine detaillierte Darstellung der Ermittlung samt den dazugehörigen Unterlagen nachzureichen.

c.) Mit den Schreiben vom , vom und vom wurden Aufstellungen der geltend gemachten Kosten und Ablichtungen von Belegen vorgelegt.

d.) In dem gleichzeitig mit dem angefochtenen Wiederaufnahmsbescheid erlassenen Einkommensteuerbescheid (mit Ausfertigungsdatum ) wurden nur mehr 7.629,13 € als Werbungskosten anerkannt.

e.) Zur Begründung dieses Bescheides wie auch zur Begründung des angefochtenen Verfahrensbescheides wurde auf das gesondert ausgefertigte Schreiben mit Datum (händische Bescheidbegründung) verwiesen.

f.) Da in einem weiteren, gleichfalls am eingelangten, Schreiben des Bf. vorgebracht worden war, dass die im Einkommensteuerbescheid (mit ) angekündigte zusätzliche Begründung bis heute nicht zugestellt worden sei, wurde diese Begründung dem Bf. am  noch einmal zugestellt, und zwar diesmal mit Zustellnachweis.

2. Der Bf. hat seine Berufung mit Schreiben an das BFG (vom ) ergänzt und vorgebracht, dass der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2010 mit Ausfertigungsdatum „aufgrund einer Nachbescheidkontrolle und Beantwortung eines umfangreichen Ergänzungsauftrages mit Nachreichung sämtlicher angeforderter Unterlagen“ mit Bescheid vom gemäß § 299 BAO aufgehoben worden sei. Gleichzeitig sei ein neuer Einkommensteuerbescheid ausgefertigt worden. Gegen diesen Bescheid sei am Berufung erhoben worden. Diese Berufung sei nicht erledigt worden. Stattdessen sei eine Wiederaufnahme des Verfahrens verfügt worden. Im Vorverfahren seien sämtliche Tatsachen und Beweismittel offengelegt worden, ein Wiederaufnahmsgrund sei demnach nicht gegeben. Im Übrigen werde auf die Begründung zur Berufung vom (gegen den Aufhebungsbescheid gemäß § 299 BAO) verwiesen.

3. Ein Nachweis betreffend die Zustellung der vom Finanzamt am ausgefertigten Berufungsvorentscheidung betreffend die Berufung vom gegen den Bescheid über die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides vom befindet sich nicht bei den vom Finanzamt vorgelegten Akten.

III. Rechtslage

1. Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist das Neuhervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens derart zu beurteilen, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wieder aufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wieder aufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können (zB ). Das "Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln" bezieht sich daher auf den Wissensstand (insbesondere auf Grund der Abgabenerklärungen und der Beilagen) des jeweiligen Veranlagungsjahres (; , mwN).

2. Gemäß § 97 BAO werden Erledigungen der Abgabenbehörde dadurch wirksam, dass sie demjenigen bekanntgegeben werden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Die Bekanntgabe erfolgt bei schriftlichen Erledigungen, wenn nicht in besonderen Vorschriften die öffentliche Bekanntmachung oder die Auflegung von Listen vorgesehen ist, durch Zustellung.

Die rechtliche Existenz von Erledigungen setzt daher grundsätzlich voraus, dass sie dem Adressaten bekannt gegeben werden. Vor Bekanntgabe entfaltet daher zB auch ein Bescheid keinerlei Rechtswirkungen (vgl. Ritz, BAO, 5. Aufl., § 97 Tz 1).

3. Wurde eine Zustellung ohne Zustellnachweis angeordnet, wird das Dokument nach § 26 Abs. 2 erster Satz ZustellG zugestellt, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird. Die Zustellung gilt zwar als am dritten Werktag nach der Übergabe an das Zustellorgan bewirkt. Im Zweifel hat die Behörde die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung aber von Amts wegen festzustellen (§ 26 Abs. 2 zweiter Satz ZustellG).

Die gesetzliche Vermutung, wonach Zustellungen am dritten Werktag nach der Übergabe an die Post als bewirkt gelten, ist daher widerlegbar. Gegenteilige Behauptungen des Empfängers reichen, es sei denn, die Behörde kann die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung beweisen. Die Beweislast trifft somit die Behörde (vgl. Ritz, BAO, 5. Aufl., Tz 3 zu § 26 ZustellG).

IV. Würdigung

Vor dem dargestellten Hintergrund ist das Vorbringen des Bf. (im Schreiben vom ) wie folgt zu würdigen:

1. Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH muss im Fall einer Zustellung ohne Zustellnachweis der Beweis der erfolgten Zustellung von der Behörde auf eine andere Weise erbracht werden ().

Die Behauptung des Bf., seine Berufung vom sei noch immer nicht erledigt, schließt die Behauptung in sich, eine Erledigung dieser Berufung sei ihm noch nicht wirksam zugekommen. dh. zugestellt worden. Das Finanzamt vermochte den Nachweis der Zustellung einer Erledigung dieser Berufung nach Vorhalt des BFG (unbestritten) nicht zu erbringen.

Da die Behörde bei Zustellungen ohne Zustellnachweis die Folgen dafür auf sich nehmen muss, der Behauptung einer nicht erfolgten Zustellung nicht wirksam entgegentreten zu können, müssen die Angaben des Bf. über die nicht erfolgte Zustellung einer Berufungserledigung als zutreffend angenommen werden (; ).

2. Ist aber davon auszugehen, dass die Berufung des Bf. zum Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheides noch nicht wirksam (mit Berufungsvorentscheidung) erledigt war, befand sich der Einkommensteuerbescheid vom nicht mehr in Rechtsbestand.  Der Einkommensteuerbescheid vom war an die Stelle des seinerzeitigen Bescheids (Einkommensteuerbescheids vom ) getreten. Erst durch eine Aufhebung des Aufhebungsbescheids vom konnte das Verfahren in die Lage zurücktreten, in der es sich vor der Aufhebung gemäß § 299 BAO befunden hat (§ 299 Abs. 3 BAO). Der angefochtene Bescheid, mit dem das mit "Bescheid vom )“ abgeschlossene Verfahren hinsichtlich der Einkommensteuer für das Jahr 2010 wieder aufgenommen wurde, noch ehe die Berufung gegen den Aufhebungsbescheid vom wirksam erledigt war, erwies sich damit als rechtswidrig.

3. Somit war spruchgemäß zu entscheiden. Auf die Frage, ob dem angefochtenen Bescheid taugliche Wiederaufnahmsgründe zugrunde gelegt und ausreichend dargestellt wurden, konnte nicht mehr eingegangen werden.

V. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision

Die für den vorliegenden Beschwerdefall bedeutsamen Rechtsfragen sind in der zitierten Rechtsprechung des VwGH ausreichend beantwortet. Die Voraussetzungen einer Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG sind damit nicht gegeben.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 26 Abs. 2 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
Zitiert/besprochen in
BFG-Newsletter 2014/02
ECLI
ECLI:AT:BFG:2014:RV.3100422.2013

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at