Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 22.05.2014, RV/7100030/2014

Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch nicht möglich, wenn Abgabepflichtiger keine Kenntnis vom Verfahren hatte.

Beachte

Revision eingebracht. Beim VwGH anhängig zur Zl. Ra 2014/13/0015.; Mit Beschluss vom zurückgewiesen.

Entscheidungstext

Beschluss

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin xx in der Beschwerdesache Bf., adresse, vertreten durch den Abwesenheitskurator Rechtsanwalt zzzz, über die Beschwerde vom  gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 8/16/17 betreffend die Umsatzsteuer 1999 und 2000 vom , vom und vom  sowie gegen die Bescheide betreffend den Verspätungszuschlag 1999 und 2000 vom , vom und vom zu Recht beschlossen:

Die Beschwerde gegen die Umsatzsteuerbescheide 1999 und 2000 vom und vom  wird als unzulässig zurückgewiesen.

Die Beschwerde gegen die Bescheide betreffend den Verspätungszuschlag 1999 und 2000 vom und vom wird als unzulässig zurückgewiesen.

Die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide 1999 und 2000 vom sowie die Verspätungszuschlagsbescheide 1999 und 2000 vom  und die Beschwerdevorentscheidung werden gemäß § 278 Abs 1 BAO, BGBl I 2013/14  unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde aufgehoben.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Das Finanzamt erließ am und am   die Umsatzsteuerbescheide 1999 und 2000 mit denen die Besteuerungsgrundlagen des Beschwerdeführers (Bf) wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen gem § 184 BAO im Schätzungswege ermittelt worden sind. Die streitgegenständlichen Bescheide wurden an die damalige Wohnadresse des Bf. adressiert. Außerdem erließ die Abgabenbehörde mit gleichem Datum Bescheide betreffend den Verspätungszuschlag für die Jahre 1999 und 2000.

Laut Aktenlage erfolgte eine neuerliche Zusendung der gegenständlichen Bescheide datiert mit an den Bf. zHd. des mit Beschluss des Bezirksgerichtes Baden vom  bestellten Abwesenheitskurator.

Dieser erhob am  gegen die neuerlich zugestellten Bescheide vom sowie gegen die Umsatzsteuerbescheide und die Verspätungszuschlagsbescheide 1999 und 2000 vom und vom Beschwerde.

In den Begründungsausführungen wies der Abwesenheitskurator darauf hin, dass bezüglich der Umsatzsteuer 1999 und 2000 bereits die Bemessungsverjährung gem. § 209 Abs 1 BAO eingetreten sei. Danach seien Abgaben innerhalb von fünf Jahren festzusetzen, andernfalls sie verjährten. Im gegenständlichen Fall habe die Abgabenbehörde innerhalb obiger Frist keine erkennbaren Amtshandlungen gesetzt, die zur Geltendmachung der Abgabenansprüche erforderlich gewesen wären. Diesbezüglich sei auch darauf hinzuweisen, dass der Abwesenheitskurator des Bf. bereits mit Beschluss des Bezirksgerichts Baden vom , 2 P 226/01t, bestellt worden sei und eine Zustellung der obig bekämpften Bescheide erstmals rechtswirksam mit erfolgt wäre. Da sämtliche Verjährungsfristen spätestens am abgelaufen seien, sei eine Festsetzung der Abgabenschulden des abwesenden Bf. für 1998 bis 2000 gesetzlich nicht mehr möglich gewesen.

Im Übrigen seien die Umsatzsteuerbescheide 1999 und 2000 vom  und vom mangels rechtswirksamer Zustellung als Nichtbescheide zu beurteilen. Der Bf. sei seit Februar 1999 abwesend und unbekannten Aufenthalts gewesen. Die gegenständliche Schätzung sei auch nicht fachgerecht, da von Amts wegen nicht alle Umstände und sämtliche verwertbaren Fakten berücksichtigt worden seien.

Die Abgabenbehörde erster Instanz entschied über die Beschwerde gegen die obengenannten Bescheide vom und vom mit einer zurückweisenden Berufungsvorentscheidung, da sie nicht fristgerecht eingebracht worden sei. Diese angefochtenen Bescheide seien rechtswirksam am durch Hinterlegung im Akt dem Bf. zugestellt worden. Angesichts der einmonatigen Berufungsfrist (§ 245 Abs 1 BAO) sei die Beschwerde zurückzuweisen gewesen, zumal sie mehr als sieben Jahre nach Ablauf dieser Frist eingebracht worden sei.

Der Abwesenheitskurator beantragte im Vorlageantrag erneut die ersatzlose Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide 1999 und 2000, zumal die gesetzlichen Voraussetzungen für eine rechtswirksame Zustellung durch Hinterlegung im Akt nicht nachvollziehbar gewesen seien. Die Abgabenbehörde habe nicht dargelegt, ob für sie eine Änderung, eine Aufgabe der Abgabestelle bzw. eine andere Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden konnte. Ebenso wenig sei offengelegt worden, dass die Hinterlegung gesetzeskonform beurkundet worden wäre oder dass eine Aufforderung erfolgte, eine Abgabestelle bekannt zu geben.Überdies verwies der Abwesenheitskurator im Vorlageantrag darauf, dass alle Ausführungen in der Beschwerde vom sowie  gestellten Anträge aufrecht bleiben.

Das Finanzamt gab über Ersuchen bekannt, dass allfällige weitere Aktenteile, die eine rechtswirksame Zustellung der verfahrensgegenständlichen Bescheide vom und vom durch Hinterlegung im Akt belegen würden, nicht vorhanden sind.

Das Bundesfinanzgericht hat über die Beschwerde erwogen:

Zunächst wird darauf hingewiesen, dass gemäß § 303 Abs.38 BAO die am bei dem unabhängigen Finanzsenat als Abgabenbehörde zweiter Instanz anhängigen Berufungen vom Bundesfinanzgericht als Beschwerden im Sinne des Art 130 Abs 1 B-VG zu erledigen sind.

Aus dem vorliegenden Akt geht klar hervor, dass der Bf. Beschwerde sowohl gegen die  Bescheide vom und vom als auch gegen die neuerlich ann ihn zugestellten Bescheide vom erhoben hat. Im Rechtsmittel hat der Abwesenheitskurator die angefochtenen Bescheide genau bezeichnet und sich inhaltlich klar gegen ihre rechtswirksame Zustellung ausgesprochen, und den Einwand der Bemessungsverjährung erhoben.

§ 6 ZustellG bestimmt: "Ist ein Dokument zugestellt, so löst die neuerliche Zustellung des gleichen Dokuments keine Rechtswirkungen aus."

Keine "gleichen" Schriftstücke sind Ausfertigungen mit gleicher Geschäftszahl und Inhalt jedoch mit unterschiedlichem Datum und Genehmigung durch eine andere Person (). Daraus ist für den Beschwerdefall abzuleiten, dass  die neuerliche Zustellung der mit datierten Umsatzsteuerbescheide und Verspätungszuschlagsbescheide 1999 und 2000 durch die Abgabenbehörde im Vergleich zu den früher ergangenen Bescheiden mit unterschiedlichem Datum erfolgt war, weshalb ihre Zustellung Rechtswirkungen ausgelöst hat. Außerdem ist festzuhalten, dass sich der Abwesenheitskurator inhaltlich in der Beschwerde auch ausdrücklich gegen die mit datierten Bescheide ausgesprochen hat.

Aus der Aktenlage ergibt sich außerdem, dass es der Abgabenbehörde trotz laufender Erhebungen (ZMR-Abfragen, Firmenbuchabfragen und weiterer Abfragen an vom Abgabepflichtigen verschiedene Personen) während des Zeitraumes  bis nicht möglich war, den tatsächlichen Aufenthalt des Bf. festzustellen.  Das Finanzamt hat unter anderem am von der Ehegattin des Bf. Informationen erhalten, dass dieser seit drei Jahren nicht mehr an der genannten Abgabestelle wohnhaft gewesen sei. An der Adresse xy soll der Bf. ein Büro betrieben haben, doch Erhebungen der Behörde ergaben, dass die diesbezüglichen Räumlichkeiten leer gestanden wären. Weitere Auskünfte von Nachbarn, dem Meldeamt vom führten zum gleichen Ergebnis. Eine Zahlungsaufforderung vom konnte nicht zugestellt werden. Diese Ermittlungsergebnisse führen gemeinsam mit den Angaben des am bestellten Abwesenheitskurators sowie der Ehegattin des Bf zur Feststellung, dass der Bf. im Zeitpunkt der Zustellung der streitgegenständlichen  Umsatzsteuerbescheide nicht mehr in Österreich wohnhaft gewesen ist.

Die Bescheide wurden an die der Behörde bekannte Abgabestelle zugestellt, das Schriftstück ist jedoch mit dem Vermerk „verzogen retour“ an das Finanzamt rückübermittelt worden.

Das Finanzamt ging in der Folge gemäß § 8 Abs. 2 iVm § 23 ZustellG vor, und stellte die Bescheide im Akt  ohne vorausgehenden Zustellversuch gem. § 8 Abs 2 ZustellG" zu.

In rechtlicher Hinsicht ist dazu auszuführen, dass gem. § 8 Abs 1 ZustG eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen hat. § 8 Abs 2 ZuStellG bestimmt, dass soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen ist, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Eine Änderung iSd § 8 Abs 2 ZustellG liegt auch dann vor, wenn keine neue Abgabestelle besteht (vgl ).

Ausreichende Überprüfungen haben ergeben, dass der Bf. im Inland keinen aufrechten Wohnsitz hatte. Auf Basis der Aktenlage konnte das Bundesfinanzgericht jedoch nicht feststellen, dass der Bf. bezüglich des streitgegenständlichen Zeitraumes Kenntnis von dem nunmehr anhängigen Verfahren gehabt hatte. Eine Partei hat nämlich dann iSd § 8 Abs 1 ZustellG Kenntnis von einem Verfahren , wenn sie durch eigene Prozesshandlungen (zB Antragstellung) oder durch Amtshandlungen (zB Zustellung einer Ladung) tatsächlich vom Verfahren wusste (). Eine solches Wissen konnte im Beschwerdefall nicht angenommen werden, da das Finanzamt betreffend die Umsatzsteuerveranlagungen 1999 und 2000 Bescheide erließ und dabei von einer im Schätzungswege festgestellten Bemessungsgrundlage ausging und aus den Akten nicht zu entnehmen war, dass dem Bf. eine diese Verfahren betreffende einleitende Amtshandlung zB in Form einer Aufforderung zur Abgabe von Steuererklärungen rechtswirksam zugestellt worden ist. Es muss somit davon ausgegangen werden,  dass der Bf. keine Kenntnis von einem anhängigen Verfahren hatte, und ihn deshalb keine Pflicht zur Mitteilung einer neuen Abgabestelle im Sinne des § 8 Abs 1 ZustellG getroffen hat.  Mangels bestehender Mitteilungspflicht war eine Zustellung der streitgegenständlichen Bescheide durch Hinterlegung im Akt ohne vorausgehenden Zustellversuch nicht zulässig, die gegenständlichen Bescheide wurden daher nicht rechtswirksam zugestellt und sind als rechtlich nicht existent gewordene Bescheide zu würdigen (). Die Beschwerde gegen die im Spruch genannten Bescheide vom und vom war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Soweit sich die Beschwerde auf die verfahrensgegenständlichen Bescheide vom bezieht, ist festzuhalten, dass angesichts der sich aus der Aktenlage ergebenden Amtshandlungen des Finanzamtes, wie ZMR-Abfragen, Firmenbuchabfragen und weiterer Abfragen an vom Abgabepflichtigen verschiedene Personen, die laufend zwischen dem und dem getätigt wruden, eine Bemessungsverjährung nicht eingetreten ist. Es handelt sich dabei um auf eine solche Weise im Akt dokumentierte Abfragen, aus denen verlässlich entnommen werden kann, wann sie durchgeführt wurden. Die Amtshandlung muss dabei nicht gegen den Abgabenschuldner gerichtet sein ().

In rechtlicher Hinsicht ist auszuführen, dass iSd § 209 BAO nach der Rechtslage vor dem AbgÄG 2004 (BGBl 2004/180), nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen innerhalb der Verjährungsfrist, diese unterbrochen haben und danach diese um ein Jahr verlängern. Die Verjährungsfrist verlängert sich nach der neuen Rechtslage ab um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen werden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert ist.

Weiters ist auszuführen, dass gemäß § 184 BAO die Abgabenbehörde berechtigt war zu schätzen, zumal sie die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen konnte. Ein Schätzungsverfahren muss jedoch einwandfrei durchgeführt werden und die letztlich zum Schätzungsergebnis führenden Überlegungen und Schlussfolgerungen müssen schlüssig begründet und nachvollziehbar sein. Nach VwGH ist das Ziel einer Schätzung, den wahren Besteuerungsgrundlagen den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechend  möglichst nahe zu kommen ().  Diesen Anforderungen wird das von der Abgabenbehörde herangezogene Schätzungsergebnis nicht gerecht, zumal das Schätzungsergebnis nicht durch ein darstellendes Ermittlungsverfahren nachvollziehbar war und demnach die Grundlagen für die Feststellung der Höhe der zugeschätzten Umsätze nicht dargelegt wurden. Wenn das Verwaltungsgerichts weitgehend erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt zu ermitteln und einer Beurteilung zu unterziehen hat, müsste im Beschwerdefall nahezu das gesamte Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht geführt werden, was jedoch nicht dem gesetzlichen Sinn entspricht.

Aus diesen Gründen waren spruchgemäß die angefochtenen Bescheide vom und die Beschwerdevorentscheidung gemäß § 278 Abs 1 BAO unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde aufzuheben.

Eine Revision war nicht zulässig, da das Erkenntnis im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen ist, demnach keine Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorlag.

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 8 Abs. 1 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
§ 278 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 184 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 23 Abs. 1 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
§ 8 Abs. 2 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
ECLI
ECLI:AT:BFG:2014:RV.7100030.2014

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at