Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.03.2014, RV/7102599/2013

Erhöhte Familienbeihilfe - ist die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten?

Beachte

Revision eingebracht. Beim VwGH zur Zl. Ra 2014/16/0010 anhängig.; Mit Erk. v. als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesfinanzgericht hat durch


den Richter
Ri.

in der Beschwerdesache Bf. vertreten durch Dr. Thomas Hofer-Zeni, Landstraßer Hauptstraße 82, 1030 Wien, gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom , betreffend Abweisung eines Antrags auf Gewährung von erhöhter Familienbeihilfe ab September 2012 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Der besachwaltete Beschwerdeführer (Bf.), geb. 1968, stellte im September 2012 vertreten durch seinen Sachwalter einen Eigenantrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe.

Als Erkrankung bzw. Behinderung gab er "psychotische Störung, posttraumatische Belastungsstörung, schizotype Störung, pathologisches Spielsucht" an.

Der Bf. wurde im Zuge des Antragsverfahrens untersucht und folgendes Gutachten erstellt:

Fach/Ärztliches Sachverständigengutachten

Betr.: E. P.

Vers.Nr.: 1234

Untersuchung am: 2012-11-13 10:15 Ordination

Identität nachgewiesen durch: s SW FS

Anamnese: besuchte HS, Lehre als Einzelhandelskaufmann, war beim Bundesheer, hatte diverse Jobs, schon in der Jugend sei er im AKH in Behandlung gewesen, er sei auch 1995 in Behandlung gewesen (keine Befunde vorliegend), dann wieder stat. Aufenthalt im OWS () wegen Anpassungsstörung, dissoziale Persönlichkeitsstörung, patholog. Spielen, 2x vorbestraft (Sachbeschädigung, gefährliche Drohung), derzeit im PSD in Behandlung, besachwaltet, pensioniert, wohnt in eigener Wohnung

Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz): Abilify, Mirtabene, PSD

Untersuchungsbefund: Neurostatus: Die Hirnnerven sind unauff., die Optomotorik ist intakt, an den oberen Extremitäten bestehen keine Paresen. Die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar, die Koordination ist intakt, an den unteren Extremitäten bestehen keine Paresen, die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar. Die Koordination ist intakt, die Pyramidenzeichen sind an den oberen und unteren Extremitäten negativ, das Gangbild ist ohne Hilfsmittel unauff. Die Sensibilität wird allseits als intakt angegeben.

Status psychicus / Entwicklungsstand:

orientiert, Auffassung vermindert, Antrieb vermindert, Denkziel wird nicht immer erreicht, Stimmung depressiv, Schlafstörung, nicht produktiv

Relevante vorgelegte Befunde: 2012-01-02 OWS

stat. Aufenthalt .- depress. Episode, dissoz. PEST, Spielsucht

2012-04-23 API

path. Spielen dissoz. PEST

2012-06-06 Dr. R. SW GA

Depressio, dissoz. PEST, Spielsucht

Diagnose(n): dissoziale Persönlichkeitsstörung

Richtsatzposition: 030402 Gdb: 050% ICD: F60.0

Rahmensatzbegründung:

URS, da deutliche Symptomausprägung mit durchgängiger Beeinträchtigung im Alltag

Gesamtgrad der Behinderung: 50 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand.

Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 2011-12-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.

Der(Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich  selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Auf Grund der vorliegenden Befunde kann der GdB und EU ab stat. Aufnahme im OWS 12/11 angenommen werden.

erstellt am 2012-11-13 von FAPuN

Facharzt für Psychiatrie und Neurologie

zugestimmt am 2012-11-14

Leitender Arzt: LA

Das Finanzamt legte die Untersuchungsergebnisse (50 % Behinderung und Erwerbsunfähigkeit ab Dezember 2011) seiner Entscheidung zu Grunde und wies den Antrag mit Bescheid vom unter Verweis auf die Bestimmungen des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 (richtig: § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967) ab.

Der Sachwalter erhob gegen den Abweisungsbescheid Berufung und führte aus, dass bei der Erstellung des fachärztlichen Sachverständigengutachtens durch Dr. FAPuN der fachärztliche Befundbericht zur Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension, ausgestellt von der PVA, keine Berücksichtigung gefunden hätte. Aus diesem Befundbericht ergebe sich jedoch, dass der Bf. auf Anraten der PVA einen fachärztlichen Befundbericht aus dem Jahre 1984 von der Kinderklinik des AKH angefordert habe. Aus diesem Bericht gehe hervor, dass schon zum damaligen Zeitpunkt eine juvenile Psychose vermutet worden sei. Der Ersteller des fachärztlichen Befundberichtes der PVA komme zu dem Schluss, dass aus fachärztlicher Sicht beim Bf. der Verdacht bestehe, dass er an einer frühkindlichen psychotischen Störung gelitten habe, die sich im Laufe der Jahre in eine Persönlichkeitsveränderung nach sexuellem Missbrauch entwickelt haben dürfte. Auch sei sein Verhalten bezüglich Glücksspiel unbestritten und sei der Bf. in vielen Phasen seines Berufslebens nicht in der Lage gewesen, den Anforderungen nur halbwegs zu entsprechen. Auch mache sein gestörtes Verhaltensmuster im Kontakt eine Kommunikation mit ihm beinahe unmöglich. Zusammenfassend seien die Ärzte der PVA zu dem Ergebnis gekommen, dass der Bf. ohne Unterstützung nicht in der Lage sei, ein autonomes selbstbestimmtes Leben zu führen. Schon aus diesem fachärztlichen Befundbericht der PVA ergebe sich, dass der Bf. schon vor Vollendung des 21. Lebensjahres an einer geistigen Behinderung gelitten habe, die ihn außerstande gesetzt habe, sich selbst Unterhalt zu verschaffen.

Weiters verwies der Sachwalter auf die psychiatrisch-neurologischen Gutachten des Pflegschaftsaktes beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien, aus denen sich auch ergebe, dass eine psychische Krankheit schon in der Kindheit gegeben gewesen sei. Insbesondere sei auf das Gutachten von Prim. iR Dr. F. O. hinzuweisen, der auf Seite 4 seines Gutachtens unter Punkt 4. "Krankheitsgeschichte" angebe, dass er die Krankheitsgeschichte des Otto Wagner Spitals angefordert habe. Daraus habe sich ergeben, dass sich der Bf. bereits im Jahr 1995 zum 61. Mal wegen einer kurzdauernden depressiven Reaktion zwei Tage in stationärer Behandlung befunden habe. Auch aus diesem Gutachten ergebe sich somit, dass eine tiefgreifende psychische Erkrankung des Antragstellers vorliege, die ihre Wurzeln schon in der Kindheit habe.

Auf Grund der eingebrachten Berufung wurde der Bf. ein weiteres Mal untersucht und folgendes Gutachten erstellt:

Fach/Ärztliches Sachverständigengutachten

Betr.: E. P.

Vers.Nr.: 1234

Untersuchung am: 2013-06-12 10:15 Ordination

Identität nachgewiesen durch: Führerschein

Anamnese: 1984 erste stationäre Aufnahme im AKH mit der Vermutungsdiagnose "juvenile Psychose" (Clozapinverordnung), anschließend 11 Jahre unauffälliger Verlauf, bis zu einem Suizidversuch mit Tabletten im Jahr 1995. Start der Behandlung beim PSD im Jahr 2001. Das PSD führt an, dass der AW wohl in vielen Phasen seines Berufslebens nicht in der Lage war, den Anforderungen zu entsprechen. Sozialanamnestisch ist zu erfahren, dass der AW die Lehre zum EHKFM abgeschlossen hat, diverse Arbeitstätigkeiten, zuletzt 2008 ausgeübt habe. Seit 2010 wird eine Invaliditätspension bezogen. Seit 02/2012 besachwaltet. 2010 wäre er in U-Haft nach Streitigkeiten mit der Lebensgefährtin gewesen.

Er wäre ein Jahr vorübergehend untauglich geschrieben gewesen (lt. eigenen Angaben "starker" Jahrgang"). Keine Medikation, unregelmäßige Betreuung durch den PSD.

Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz): keine medikamentöse Therapie

Untersuchungsbefund: 198cm/70 kg (konstant); kein fokales Defizit

Status psychicus / Entwicklungsstand: Stimmung indifferent, wenig affizierbar. Im Ductus deutlich verlangsamt, das Denkziel wird nicht immer erreicht. Biorythmusstörungen explorierbar. Keine produktive Symptomatik explorierbar.

Relevante vorgelegte Befunde:

2013-03-14 PSD,1034 WIEN

Schizotype Persönlichkeit; Züge einer dissozialen Persönlichkeit, pathologisches Spielen. Die Einleitung einer ernsthaften, konsequenten Therapie war bisher nicht möglich. Ein stationärer Aufenthalt wäre

2010-07-06 PSD/Prim. C.

schizotype Störung, posttraumatische Belastungsstörung; pathologisches Glücksspiel. Seit 2001 in unregelmäßiger Betreuung.

2012-06-06 PSYCHIATRISCHES GUTACHTEN (SW D.) angeführt wird eine teilstationäre Behandlung 1995; erneut wieder im 07/2010. Rezidivierend depressive Störung, Anpassungsstörung und Störung der Impulskontrolle, Persönlichkeitsstörung mit schizoiden und dissozialen 2012-03-06 PSYCHIATRISCHES GUTACHTEN (SCHULDFÄHIGKEIT IM 11/2011) Seit 2010 nicht mehr in der Lage regelmäßig und konstant einer Beschäftigung nachzugehen. es liegen keine Hinweise für besondere Beeinträchtigungen der psychischen Funktionen vor.

Diagnose(n): Persönlichkeitsstörung; dissozial, schizoide Anteile

Richtsatzposition: 030402 Gdb: 050% ICD: F60.0

Rahmensatzbegründung: Unterer Rahmensatz, da im Alltag auf Unterstützung angewiesen.

Gesamtgrad der Behinderung: 50 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend.

Keine grundlegende Änderung im Vergleich zum Vorgutachten, da keine Befunde vorliegen, welche eine Erwerbsunfähigkeit vor Beendigung des 21. Lj/bis zur Beendigung der Schul-/Lehrausbildung belegen.

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand. Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 2010-01-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.

Der (Die) Untersuchte ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Erwerbsunfähigkeit ab Bezug der Invaliditätspension

erstellt am 2013-07-04 von FAN

Facharzt für Neurologie

zugestimmt am 2013-07-08

Leitender Arzt: LA

Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom  ab und verwies weiters auf das Gutachten vom Bundessozialamt vom , in dem keine grundlegende Änderung gegenüber dem Vorgutachten festgestellt worden sei.

Der Vertreter des Bf. stellte einen Vorlageantrag. Die Begründung ist ident mit den Berufungsausführungen.

Hingewiesen wird darauf, dass die am beim Unabhängigen Finanzsenat anhängigen Berufungen gemäß § 323 Abs. 38 BAO vom Bundesfinanzgericht als Beschwerden im Sinn des Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigen sind.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Rechtsgrundlagen

Anspruch auf Familienbeihilfe besteht nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 für Vollwaisen oder diesen nach § 6 Abs. 5 FLAG 1967 gleichgestellte volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. (ab : 25.) Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind. Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht.

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstel-lungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen. Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Das Bundesfinanzgericht hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO iVm § 2a BAO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.

2. Feststehender Sachverhalt:

2.1. Allgemeine Feststellungen:

Der Bf. besuchte Volksschule und Hauptschule, schloss eine Lehre als Einzelhandelskaufmann ab und absolvierte vom bis den Präsenzdienst.

Der Bf. ist ledig und wohnt in einer eigenen Wohnung. Er ist besachwaltet und bezieht seit Mai 2010 eine Invaliditätspension.

Der Bf. arbeitete nach seinen Angaben (Psychiatrisch-neurologisches Gutachten von Univ.Prof. Dr. B. R. im Zuge der Sachwalterschaftsbestellung) als Lagerarbeiter, Hilfsarbeiter und als Gärtner. Er hat von Dezember 1984 bis Juli 2007 rund 70 Monate (= ca. 6 Jahre) gearbeitet. Aus dem Sozialversicherungsauszug ergibt sich, dass er häufig den Dienstgeber gewechselt hat, dass die Arbeitsverhältnisse oft nur von kurzer Dauer waren und immer wieder durch Arbeitslosenzeiten unterbrochen wurden.

Im untenstehenden Sozialversicherungsauszug vom wurden nur die Arbeitsverhältnisse erfasst, die Arbeitszeit wurde gerundet angegeben:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
 
 
Ca-Angaben
Arbeiterlehrling
1 Monat
Angestelltenlehrling
8 Monate
Angestelltenlehrling
1 Jahr
-
Arbeiter
7 ½ Monate
Angestellter
½ Monat
Präsenzdienst
 
Arbeiter
2 Tage
Arbeiter
1 Monat
Angestellter
3 Tage
Arbeiter
5 Tage
Arbeiter
5 Tage
Arbeiter
1 Monat
Arbeiter
1 Monat
Arbeiter
1 Monat
Angestellter
½ Monat
Arbeiter
½ Monat
Arbeiter
4 Monate
Arbeiter
4 Monate
Arbeiter
7 Tage
Angestellter
10 Tage
Arbeiter
2 Tage
Arbeiter
3 Tage
Arbeiter
1 ½ Monate
Arbeiter
2 Monate
Arbeiter
1 Monat
Arbeiter
1 ½ Monate
Arbeiter
2 Monate
Arbeiter
8 ½ Monate
Arbeiter
5 ½ Monate
Angestellter
1 ½ Monate
Arbeiter
3 Monate
Angestellter
½ Monat
Arbeiter
2 Monate
laufend
Pensionsbezug gemind. Arbeitsfähigkeit
 
geringfügig beschäftigter Arbeiter
 
geringfügig beschäftigter Arbeiter
 
geringfügig beschäftigter Arbeiter
 
geringfügig beschäftigter Arbeiter
 
geringfügig beschäftigter Arbeiter
 
insgesamt ca.
 
70 Monate

2.2. In den Sachverständigengutachten getroffene Feststellungen:

Der Bf. wurde im Zuge des Antrags- bzw. Berufungsverfahrens zweimal untersucht (Gutachten vom und ). Die mit den Gutachten befassten Ärzte stellten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit schizoiden Anteilen fest und reihten die Erkrankung unter die Richtsatzposition 030402 der Einschätzungsverordnung vom , BGBl. II Nr. 261/2010, ein.

Der Behinderungsgrad von 50 % und der Zeitpunkt des Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit wurde im Gutachten vom rückwirkend ab Dezember 2011 bescheinigt; dies mit der Anmerkung, dass auf Grund der vorliegenden Befunde der Gesamtgrad der Behinderung und die Erwerbsunfähigkeit ab der stationären Aufnahme im Otto-Wagner-Spital im Dezember 2011 angenommen werden könne.

Im zweiten Gutachten (vom ) wich die Sachverständige, eine Fachärztin für Neurologie, insofern vom Erstgutachten ab, als sie die rückwirkende Anerkennung der Erwerbsunfähigkeit ab Bezug der Invaliditätspension bescheinigte. Angemerkt wurde, dass es keine grundlegende Änderung im Vergleich zum Vorgutachten gebe, da keine Befunde vorliegen würden, die eine Erwerbsunfähigkeit vor Beendigung des 21. Lebensjahr bis zur Beendigung der Schul-/Lehrausbildung belegen.

Der Bf. vollendete bereits im August 1989 das 21. Lebensjahr. Die Erwerbsunfähigkeit wurde somit erst ab dem 42. bzw. 43. Lebensjahr bescheinigt.

3. Rechtliche Würdigung:

Entscheidend ist im Berufungsfall, ob der Bf. infolge seiner Erkrankung bereits vor Vollendung seines 21. Lebensjahres bzw. zum Zeitpunkt des Abschlusses seiner Berufsausbildung in einem Ausmaß behindert war, sodass er schon damals voraussichtlich dauernd außerstande gewesen ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Der Grad der Behinderung ist dagegen ohne Bedeutung (Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 21).

3.1. Dauernde Erwerbsunfähigkeit

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , 2007/15/0019, ausdrücklich auf den klaren Wortlaut des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 in der Fassung BGBl. I Nr. 105/2002 verwiesen. Die bisherige Judikatur, wonach eine mehrjährige berufliche Tätigkeit des Kindes die für den Anspruch auf Familienbeihilfe notwendige Annahme, das Kind sei infolge seiner Behinderung nicht in der Lage gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, widerlege, habe im Rahmen der durch das BGBl. I Nr. 105/2002 geschaffenen neuen Rechtslage (ab ) keinen Anwendungsbereich.

Der Gerichtshof (sh. auch ) bezieht sich dabei offensichtlich auf das Erkenntnis des , in dem der VfGH ausführt, dass sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 6 FLAG ergebe, dass der Gesetzgeber nicht nur die Frage des Grades der Behinderung, sondern (bereits seit 1994) auch die (damit ja in der Regel unmittelbar zusammenhängende) Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt habe, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet werde und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spiele. Dem dürfte die Überlegung zugrunde liegen, dass die Frage, ob eine behinderte Person voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht schematisch an Hand eines in einem bestimmten Zeitraum erzielten Einkommens, sondern nur unter Berücksichtigung von Art und Grad der Behinderung bzw. der medizinischen Gesamtsituation der betroffenen Person beurteilt werden könne. Damit könne auch berücksichtigt werden, dass gerade von behinderten Personen immer wieder - oft mehrmals - Versuche unternommen werden, sich in das Erwerbsleben einzugliedern, bei denen jedoch die hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie aus medizinischen Gründen auf längere Sicht zum Scheitern verurteilt sein würden. Der Gesetzgeber habe daher mit gutem Grund die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit jener Institution übertragen, die auch zur Beurteilung des Behinderungsgrades berufen sei. Die Beihilfenbehörden hätten bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und könnten von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich somit der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes angeschlossen; daraus folgt, dass auch das Bundefinanzgericht für seine Entscheidungsfindung die ärztlichen Sachverständigengutachten heranzuziehen hat, sofern diese als schlüssig anzusehen sind. Es ist also im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens zu überprüfen, ob die erstellten Sachverständigengutachten diesem Kriterium entsprechen.

3.2. Schlüssigkeit der Sachverständigengutachten

Der Begriff „Persönlichkeitsstörung“ umfasst ein weites Spektrum recht verschiedener Störungsbilder, die durch die besonders extreme Ausprägung gewisser Charakterzüge bzw. „Eigenheiten“ gekennzeichnet sind.

Persönlichkeitsstörungen treten meist in der Kindheit oder in der Adoleszenz in Erscheinung und bestehen während des Erwachsenenalters weiter.

Die Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen stellt komplexe Anforderungen an den Untersucher. Gründe dafür sind beispielsweise unterschiedliche Ausprägungen, unterschiedliche Krankheitsverläufe, verschiedene psychische Krankheitsbilder.

Die Festsetzung des Zeitpunktes, wann ein psychisch kranker Mensch erwerbsunfähig geworden ist, gestaltet sich daher schwierig.

Viele Personen sind nämlich trotz ihrer psychischen Erkrankung(en) mehr oder weniger lang berufstätig, auch wenn ihnen dadurch die Ausübung des Berufes schwer fällt. Typischerweise häufen sich bei psychisch kranken Menschen Krankenstände. Es wird erfahrungsgemäß auch der Dienstgeber meist häufiger gewechselt als dies bei nicht psychisch kranken Arbeitnehmern der Fall ist.

Damit aber eine Person die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der erhöhten Familienbeihilfe erfüllt, muss die Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sein und dies durch das Bundessozialamt aufgrund der erstellten Sachverständigengutachten bescheinigt werden.

Die Sachverständigen im Bundessozialamt ziehen bei ihrer Diagnoseerstellung bzw. um den Zeitpunkt des Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit feststellen zu können, neben den Untersuchungsergebnissen und ihrem Fachwissen regelmäßig die von den Antragstellern vorgelegten Befunde heran. Hilfreich sind dabei vor allem "alte" Befunde, Arztbriefe etc., die darauf schließen lassen, dass die Erkrankung bereits vor dem 21. Lebensjahr bzw. während einer schulischen Ausbildung aufgetreten ist; aber derartige Befunde stehen den Sachverständigen erfahrungsgemäß kaum zur Verfügung, vermutlich auch deswegen, weil sich viele Erkrankungen mit zunehmendem Alter verschlechtern und demgemäß ärztliche Hilfe erst später in Anspruch genommen wird. Vorgelegt werden daher häufig Befunde, die kaum älter als drei oder vier Jahre alt sind.

Die Ärzte haben somit medizinische Feststellungen über Zeiträume zu treffen, die oft dreißig Jahre und mehr zurückliegen.

Damit kann aber die vom Gesetzgeber geforderte Feststellung des tatsächlichen Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit eines Antragstellers immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen.

Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes sind im vorliegenden Beschwerdefall beide Gutachten ausführlich und schlüssig. Sie gehen bezüglich der Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung von 50 % konform und weichen nur in der Feststellung des Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit insofern ab, als der mit dem ersten Gutachten befasste Sachverständige die stationäre Aufnahme des Bf. im Otto-Wagner-Spital im Dezember 2011 für die Festsetzung des Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit heranzog, wohingegen die mit dem zweiten Gutachten befasste Sachverständige den Zeitpunkt des Bezuges der Invaliditätspension unterstützend heranzog und die Erwerbsunfähigkeit mit 2010 bescheinigte, dies mit der Begründung, dass keine Befunde vorliegen würden, die eine Erwerbsunfähigkeit vor Beendigung des 21. Lebensjahres bis zur Beendigung der Schul/Lehrausbildung belegen.

Dem Bf. wurde somit eine Erwerbsunfähigkeit erst im Alter von 42 bzw. 43 Jahren attestiert.

Wenn der Bf. rügt, der vom Sachwalter vorgelegte Befundbericht zur Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension sei nicht berücksichtigt worden, so ist dieses Vorbringen unzutreffend. Im Gutachten vom findet sich nämlich ausdrücklich der Hinweis auf den Befund vom sowie die Vermutungsdiagnose "juvenile Psychose".

Die Tatsache, dass der Bf. von Dezember 1984 bis Juli 2007, wenn auch mit vielen Unterbrechungen und wechselnden Dienstnehmern, rund 70 Monate (= ca. 6 Jahre) berufstätig war und somit für sich selbst gesorgt hat, spricht dafür, dass die von den Sachverständigen getroffene Festsetzung des Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit mit 2010 bzw. 2011 mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entspricht.

Der Umstand, ob eine jahrelange Berufstätigkeit vorgelegen ist, ist nach der obigen Judikatur zwar für sich nicht entscheidungsrelevant, stellt aber ein Indiz dar, das ebenfalls gegen eine vor dem 21. Lebensjahr eingetretene dauernde Unterhaltsunfähigkeit spricht.

Die medizinische Beurteilung in Verbindung mit den von der höchstgerichtlichen Judikatur aufgestellten und im Berufungsfall beachteten Erfordernissen, wonach Gutachten eingehend die Art und das Ausmaß der Leiden und die konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbstätigkeit in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise zu behandeln haben (vgl. zB ; , 2003/14/0105), lassen somit die in den vorliegenden Gutachten getroffene zeitliche Festlegung der dauernden Erwerbsunfähigkeit jedenfalls erst ab 2010 mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit als richtig erscheinen.

Die Beschwerde musste daher abgewiesen werden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor, da keine Rechtsfrage strittig ist, sondern der vorliegende Sachverhalt vom Bundesfinanzgericht in freier Beweiswürdigung festgestellt wurde. Gegen dieses Erkenntnis ist daher keine (ordentliche) Revision zulässig.

Zusatzinformationen


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