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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 04.04.2025, RV/7103380/2018

Nach Rechtskraft eines Gerichtsbeschlusses gemäß § 213 IO ist die Festsetzung einer Abgabe, die von der Restschuldbefreiung umfasst ist, unzulässig

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
Besteht zu keinem Zeitpunkt eine gleichzeitige Zuständigkeit von Abgabenbehörde und Verwaltungsgericht für die Erlassung eines neuen Sachbescheides, steht § 300 BAO einer unverzüglichen Umsetzung der Auswirkung des geänderten Grundlagenbescheides gemäß § 295 Abs 1 BAO im Zeitpunkt des Einlangens der Mitteilung über die Feststellung von Einkünften bei der belangten Behörde nicht entgegen.
Die gerichtlich erklärte Restschuldbefreiung gemäß § 213 IO bewirkt, dass natürliche Personen auf Antrag und nach einer Phase des Wohlverhaltens von ihrer Schuld befreit werden. Neben den Tilgungstatbeständen der BAO (Entrichtung, Nachsicht, Entlassung aus der Gesamtschuld und bescheidmäßige Löschung) ist die Restschuldbefreiung nach § 213 IO ein weiterer gesetzlicher Tilgungstatbestand, der das Erlöschen des Abgabenanspruches bewirkt. Nach Erlöschen des Abgabenanspruchs durch einen Tilgungstatbestand, ist die Abgabenfestsetzung nicht bzw nur unter den Voraussetzungen des § 294 BAO bzw im konkreten Fall unter den Voraussetzungen nach § 215 IO zulässig.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Silvia Gebhart in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Anelia Paskaleva, Naglergasse 21 Tür 2, 1010 Wien, Rechtsanwältin, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme § 303 BAO / ESt 2015 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Der angefochtene Bescheid wird dahin abgeändert, dass an die Stelle des Wortes "abgewiesen" die Wortfolge "als unzulässig geworden zurückgewiesen" tritt.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf) betrieb ein Einzelunternehmen und war zusätzlich als Komplementärin an der ***6*** (FA04, StNr ***2***) beteiligt. Die Bf und die Kommanditgesellschaft erzielten gewerbliche Einkünfte. In ihrer unvollständig ausgefüllten Einkommensteuererklärung für das Jahr 2015 erklärte sie Einkünfte aus selbstständiger Arbeit von EUR 18.145,79 und keine anteiligen Einkünfte aus der Mitunternehmerschaft. Nach Durchführung eines Vorhaltverfahrens wurden die erklärten Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb angesehen und mit EUR 17.526,84 im Einkommensteuerbescheid 2015 vom veranlagt.

Wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen wurden im Feststellungsverfahren der KG die Einkünfte aus Gewerbebetrieb geschätzt. Aufgrund einer Mitteilung über die Feststellung von Einkünften für das Jahr 2015 vom erging der geänderte Einkommensteuerbescheid nach § 295 Abs. 1 BAO vom , mit dem die gewerblichen Einkünfte auf EUR 109.465,58 erhöht und die Einkommensteuer mit EUR 43.964,00 festgesetzt wurden (Tangente EUR 91.938,78).

Dieser Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

Im Grundlagenverfahren wurde ebenso kein Rechtsmittel gegen den Feststellungsbescheid 2015 vom erhoben.

Mit Eingaben vom wurden Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer und Einkommensteuer 2015 eingebracht; beigelegt waren wiederum nur unvollständig ausgefüllte Steuererklärungen (es fehlten die Beilagenerklärungen und die anteiligen Einkünfte an der Mitunternehmerschaft wurden nicht erklärt). Auch die ursprüngliche Abgabenerklärung wurde nochmals vorgelegt. Als Wiederaufnahmsgrund wurde ins Treffen geführt, dass über das Vermögen der Bf ein Schuldenregulierungsverfahren eröffnet worden sei, die Firma inzwischen gelöscht sei und die im Wege der Schätzung ermittelten Einkünfte und Umsätze wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen im Feststellungsverfahren viel zu hoch gegriffen seien. Als Wiederaufnahmsgründe wurden weiters die neu erstellten und dem Antrag beigelegten Abgabenerklärungen 2015 angeführt. Gestellt wurde der Antrag, das Verfahren wiederaufzunehmen und die Einkommensteuer 2015 konform der neu vorgelegten Einkommensteuererklärung, der nicht einmal die Höhe der Einkünfte zu entnehmen ist, festzusetzen.

Mit Bescheiden vom wurden die Anträge auf Wiederaufnahme als unbegründet abgewiesen, wogegen mit Eingaben vom jeweils Bescheidbeschwerde erhoben wurde, die mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen wurden.

Mit Schriftsatz vom , eingebracht mit Fax am , wurde Vorlageantrag nur im Wiederaufnahmeverfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2015 gestellt.

Vorlagebericht vom (ON16)

Mit diesem legte die belangte Behörde die Beschwerde in elektronischer Form mitsamt Bezug habender Aktenteilen dem BFG zur Entscheidung vor und führte darin aus:

"Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin betrieb im Jahre 2015 ein Einzelunternehmen und war als Komplementärin an der
***6***, St.Nr. (FA04) ***2***, beteiligt.

Für 2015 reichte sie lediglich eine unvollständig ausgefüllte Einkommensteuererklärung ein, in der die Einkünfte (aus selbständiger Arbeit) mit € 18.145,79 angegeben wurden.

Aufgrund einer Mitteilung des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom zur St.Nr. ***2*** wurden mit Änderungsbescheid gemäß § 295 Abs. 1 BAO die Einkünfte um € 91.938,78 auf € 109.465,58 erhöht und die Einkommensteuer mit € 43.964,00 festgesetzt.

Mit Eingaben vom wurden Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer und Einkommensteuer 2015 eingebracht; beigelegt waren wieder nur unvollständig ausgefüllte Steuererklärungen. Mit Bescheiden vom wurden die Anträge auf Wiederaufnahme abgewiesen.

Dagegen wurde mit Eingaben vom jeweils Beschwerde erhoben; in der Beilage wurden die Einkünfte auf Gewerbebetrieb nach Berücksichtigung eines Grundfreibetrags i.H.v. € 1.069,28 mit € 7.155,96 erklärt.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen. Der Vorlageantrag vom betrifft nur das Wiederaufnahmeverfahren hinsichtlich ESt 2015.

Das Finanzamt [FA04] hat mit Bescheiden vom das Verfahren hinsichtlich Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für das Jahr 2015 wiederaufgenommen und einen neuen Feststellungsbescheid an die ***6*** erlassen.

Beweismittel:
Siehe das Inhaltsverzeichnis der hochgeladenen Dokumente.

Stellungnahme:
Der Wiederaufnahmeantrag vom richtete sich eindeutig gegen die Gewinnzuteilung im Feststellungsverfahren der
***6***.

Diesem Begehren wurde nunmehr vom Finanzamt Wien 4/5/10 mit Bescheid vom inhaltlich Rechnung getragen. Trotzdem liegt nach Ansicht des Finanzamtes kein Wiederaufnahmegrund hinsichtlich des Einkommenstuerverfahrens vor, weshalb um Abweisung ersucht wird (siehe die Beschwerdevorentscheidung vom ."

Die belangte Behörde legte vor (soweit relevant):

ON2 angefochtener Bescheid vom , Abweisung des Antrags betr Wiederaufnahme § 303 BAO/E 2015

ON1 Beschwerde vom (Poststempel)

ON3 und ON 4 Beschwerdevorentscheidung vom und Rückschein-BVE

ON5 Vorlageantrag vom (Einlangen Fax)

SONSTIGES

ON6 Einkommensteuererklärung vom

ON7 Vorhalt vom

ON8 Einkommensteuerbescheid 2015 vom

ON9 F-Bescheid vom

ON10 Änderungsbescheid gem. § 295 (1) BAO vom

ON11 Antrag auf WA hins USt und ESt 2015 vom

ON14: Bescheid vom betr Verfügung der Wiederaufnahme im F-Verfahren 2015

ON15 neuer F-Bescheid vom (Anm des BFG: dieser weist anteilige Einkünfte für die Bf iHv EUR 32.734,10 aus)

Verfahren vor dem BFG

Das BFG stellte durch Einsichtnahme in den elektronischen Steuerakt der Bf fest, dass die Tangente über EUR 32.734,10 noch nicht in einem neu angepassten Einkommensteuerbescheid verarbeitet wurde. Der Amtsvertreter teilte dazu am telefonisch mit, er habe seinerzeit in einem Aktenvermerk festgehalten, dass erst nach Abschluss des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens vom Finanzamt ein neuer Bescheid nach § 295 Abs 1 BAO mit der neuen Tangente erlassen werden wird.

Der Amtsvertreter wurde über die hg Rechtsansicht informiert, dass eine Einkommensteuerfestsetzung 2015 nur bis maximal jener Höhe zulässig sei, die sich aus dem Schuldenregulierungsverfahren ergibt.

Durch Einsicht in das Firmenbuch wurde festgestellt, dass das Handelsgericht Wien mit Beschluss vom TT.05.2016, GZ ***8***, die Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens der ***6*** ausgesprochen hat und gemäß dem dem Wiederaufnahmsantrag (ON11) beigelegten Beschluss des BG ***3*** vom TT.05.2017, GZ ***7***-4, Insolvenzforderungen bis spätestens TT.07.2017 beim Gericht schriftlich anzumelden waren.

Das zuständige Organ der Abgabensicherung (ADir. ***5***) teilte mit E-Mail vom auf Anfrage des BFG mit, dass die Einkommensteuer 2015 ordnungsgemäß und fristgerecht mit Rückstandsausweis angemeldet wurde und aufgrund der im Anhang übermittelten Restschuldbestätigung des BG ***3*** vom , GZ ***7***-4, der Abgabenbetrag von EUR 57.867,53, in dem die Einkommensteuer 2015 zur Gänze enthalten sei, abgeschrieben wurde. Geringe Zahlungseingänge seien ohne Verrechnungsweisung eingegangen und somit auf die älteste Abgabenschuld, und nicht auf die Einkommensteuerschuld 2015 verbucht worden, weshalb diese bis zuletzt unberichtigt ausgehaftet habe. Auf Ersuchen des BFG wurde weiters der Beschluss des BG ***3*** vom TT. Jänner 2025, GZ ***7***-74, überermittelt, mit dem das Abschöpfungsverfahren für beendet erklärt und der Bf als Schuldnerin die Restschuldbefreiuung nach § 213 Abs 1 IO erteilt wurde. Mit E-Mail vom wurde durch ADir ***5*** bestätigt, dass der gemäß § 213 IO ergangene Gerichtsbeschluss das Erlöschen des Abgabenanspruches bewirkt hat, sodass die Erlassung eines Bescheides gemäß § 235 BAO nicht mehr zulässig war.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Bescheidbeschwerde und Vorlageantrag sind frist- und formgerecht. Die zulässige Bescheidbeschwerde ist unbegründet.

Im Abschöpfungsverfahren mit Eigenverwaltung wird kein Masseverwalter eingesetzt, weshalb die Rechtsperson des Gemeinschuldners für die Dauer des Regulierungsverfahrens nicht untergeht. Die ergangenen Bescheide sind rechtswirksam. Die rechtsfreundliche Vertretung hat sich in sämtlichen Eingaben auf die gemäß § 8 Abs 1 RAO erteilte Vollmacht berufen, sodass die von ihr eingebrachten Rechtsmittel rechtswirksam erhoben wurden.

1. Sachverhalt

Die rechtsfreundlich vertretene Bf als Einzelunternehmen und die ***6*** als Mitunternehmer, an der die Bf als Komplementärin beteiligt war, erzielten im Jahr 2015 Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Für die Bf erging zunächst, aufgrund ihrer eingereichten Abgabenerklärung und nach Durchführung eines Vorhalteverfahrens, der Einkommensteuerbescheid 2015 vom , mit dem gewerbliche Einkünfte ausschließlich aus der einzelunternehmerischen Tätigkeit iHv EUR 17.526,84 veranlagt wurden. Dieser Bescheid wurde aufgrund eines Bescheides über die Feststellung von Einkünften 2015 mit Bescheid vom gemäß § 295 BAO dahin abgeändert, dass die gewerblichen Einkünfte unter Berücksichtigung der anteiligen KG-Einkünfte nunmehr mit EUR 109.465,58 veranlagt und die Einkommensteuer 2015 mit EUR 43.964,00 festgesetzt wurden. Dieser Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

Das Handelsgericht Wien hat mit Beschluss vom TT.05.2016, GZ ***8***, entschieden, ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der ***6*** mangels Kostendeckung nicht zu eröffnen.

Mit Beschluss des BG ***3*** vom TT.05.2017, GZ ***7***-4 4, wurde über das Vermögen der Bf das private Schuldenregulierungsverfahren (Abschöpfungsverfahren mit Eigenverwaltung) eröffnet. Insolvenzforderungen waren bis spätestens TT.07.2017 beim Gericht schriftlich anzumelden. Die Einkommensteuerschuld 2015 wurde von der belangten Behörde iHv EUR 43.964,00 mit Rückstandsausweis fristgerecht und ordnungsgemäß beim Insolvenzgericht angemeldet. Während des Insolvenzverfahrens hat die belangte Behörde zwei Überweisungen über insgesamt knapp mehr als EUR 3.000,00 ohne Verrechnungsweisung erhalten, weshalb diese auf die dem Fälligkeitstag nach älteste verbuche Abgabenschuld gebucht wurden. Die "älteste Abgabenschuld" war die Umsatzsteuer 2015.

Mit Wiederaufnahmeantrag vom nannte die Bf als Wiederaufnahmsgrund ihre Überschuldung und die Uneinbringlichkeit der Abgaben und legte den zuvor erwähnten Beschluss des BG ***3*** vor. Weiters begehrte sie die Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2015 und die Abgabenbemessung für 2015 unter Berücksichtigung der neu erstellten und beigelegten Abgabenerklärungen für sich und die KG.

Die belangte Behörde wies den Wiederaufnahmeantrag ab, weil keine Wiederaufnahmsgründe vorlägen.

Mit Beschluss des BG ***3*** vom TT. Jänner 2025, GZ ***7***-74, wurde das Abschöpfungsverfahren für beendet erklärt und der Bf als Schuldnerin die Restschuldbefreiung über die Restschuld erteilt. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung das Gericht das Abschöpfungsverfahren, das nicht eingestellt wurde, für beendet zu erklären und gleichzeitig auszusprechen habe, dass der Schuldner von den im Verfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit ist (§ 213 Abs. 1 IO). Hingewiesen wurde auch darauf, dass von der Erteilung der Restschuldbefreiung Verbindlichkeiten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung oder einer vorsätzlich strafgesetzwidrigen Unterlassung sowie Verbindlichkeiten, die nur aus Verschulden des Schuldners/der Schuldnerin unberücksichtigt geblieben sind, nicht berührt würden (§ 215 IO).

Aufgrund der Restschuldbestätigung des BG ***3*** vom über EUR 57.867,53 wurde die Einkommensteuer 2015 zur Gänze wegen Uneinbringlichkeit abgeschrieben.

2. Beweiswürdigung

Der oben festgestellte Sachverhalt ergab sich schlüssig aus dem Beschwerdevorbringen und den von der belangten Behörde erlassenen Bescheiden, der Auskunft der Abgabensicherung sowie aus dem Firmenbuch. Er ist zwischen den Parteien unstrittig.

3. Rechtsgrundlagen

§ 4 BAO lautet auszugsweise:

"(1)Der Abgabenanspruch entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft.

(2)Der Abgabenanspruch entsteht insbesondere

a)bei der Einkommensteuer […]

2.für die zu veranlagende Abgabe mit Ablauf des Kalenderjahres, für das die Veranlagung vorgenommen wird, soweit nicht der Abgabenanspruch nach Z 1 schon früher entstanden ist, oder wenn die Abgabepflicht im Lauf eines Veranlagungszeitraumes erlischt, mit dem Zeitpunkt des Erlöschens der Abgabepflicht;

[...]"

§ 235 BAO lautet:

"(1) Fällige Abgabenschuldigkeiten können von Amts wegen durch Abschreibung gelöscht werden, wenn alle Möglichkeiten der Einbringung erfolglos versucht worden oder Einbringungsmaßnahmen offenkundig aussichtslos sind und auf Grund der Sachlage nicht angenommen werden kann, daß sie zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Erfolg führen werden.

(2)Durch die verfügte Abschreibung erlischt der Abgabenanspruch.

(3)Wird die Abschreibung einer Abgabe widerrufen (§ 294), so lebt der Abgabenanspruch wieder auf. Für die Zahlung, die auf Grund des Widerrufes zu leisten ist, ist eine Frist von einem Monat zu setzen."

§ 206 BAO sieht auszugsweise vor:

"(1) Die Abgabenbehörde kann von der Festsetzung von Abgaben ganz oder teilweise Abstand nehmen,

[...]

b) soweit im Einzelfall auf Grund der der Abgabenbehörde zur Verfügung stehenden Unterlagen und der durchgeführten Erhebungen mit Bestimmtheit anzunehmen ist, dass der Abgabenanspruch gegenüber dem Abgabenschuldner nicht durchsetzbar sein wird;

[…]

(2) Durch die Abstandnahme (Abs. 1) erlischt der Abgabenanspruch (§ 4) nicht. […]."

§ 213 Insolvenzordnung (IO) lautet:

"(1) Nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung oder wenn die Insolvenzforderungen aller Gläubiger, die ihre Forderungen angemeldet haben, befriedigt wurden, hat das Gericht das Abschöpfungsverfahren, das nicht eingestellt wurde, für beendet zu erklären und gleichzeitig auszusprechen, dass der Schuldner von den im Verfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit ist (Restschuldbefreiung). Wenn ein Antrag eines Insolvenzgläubigers auf vorzeitige Einstellung vorliegt, hat das Gericht die Entscheidung bis zum Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses auszusetzen und erst dann zu treffen, wenn der Antrag eines Insolvenzgläubigers auf vorzeitige Einstellung rechtskräftig abgewiesen wurde.

(2) Der Beschluss über die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens und über die Restschuldbefreiung ist öffentlich bekannt zu machen."

4. Rechtliche Beurteilung

4.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Das Abgabenverfahren unterfällt in ein Ermittlungsverfahren, ein Festsetzungsverfahren, das mit Erlassung des Abgabenbescheides endet, ein Einhebungsverfahren und ein Einbringungsverfahren, die mit Eintritt von Tilgungstatbeständen enden.

Handlungen der Behörde und der Partei sind den einzelnen Verfahrensabschnitten zuzuordnen.

Der Abgabenanspruch an der Einkommensteuer 2015, um die es im Beschwerdefall geht, entstand mit Ablauf des Kalenderjahres gemäß § 4 Abs 2 lit a Z 2 BAO am . Der Abgabenanspruch an der Einkommensteuer 2015 ist vor Ende der im Insolvenzverfahren gesetzten Frist zur Anmeldung von Forderungen entstanden.

Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens erging zunächst der Einkommensteuerbescheid vom , der kraft gesetzlicher Bindung an Änderungen im vorgelagerten Grundlagenverfahren mit Bescheid vom gemäß § 295 Abs 1 BAO abzuändern war.

Der abgeänderte Einkommensteuerbescheid vom erwuchs unangefochten in formale Rechtskraft, weshalb mit diesem das Abgabenfestsetzungsverfahren grundsätzlich abgeschlossen war. Die Rechtskraft eines Bescheides kann nur bei Vorliegen besonderer Gründe durchbrochen werden. Ein solch besonderer Grund ist zB ein tauglicher Wiederaufnahmegrund, wozu ein nach Entstehen des Abgabenanspruchs eingeleitetes Insolvenzverfahren (novum productum) oder eine geänderte Abgabenerklärung ohne Darlegung der neu hervorgekommenen Umstände (nova reperta) nicht zählen.

Mit Eintritt der formalen Rechtskraft ist auch die Fälligkeit der Einkommensteuer 2015 eingetreten. Mit Eintritt der Fälligkeit wird der nächstfolgende Verfahrensabschnitt, die Abgabeneinhebung, eingeleitet. Wird ein festgesetzter Abgabenbetrag nicht bis längstens zum Fälligkeitstag entrichtet, wird der festgesetzte Abgabenbetrag vollstreckbar und damit zur Abgabenschuld. Wird auch eine fällige Abgabenschuld nicht entrichtet, geht das Einhebungsverfahren in das mit Befugnis zur Verwendung von Zwangsmitteln ausgestattete Einbringungsverfahren über.

Sämtliche Insolvenzverfahren zählen zum Verfahrensabschnitt der Abgabeneinbringung.

Mit Beschluss des BG ***3*** vom TT. Jänner 2025, GZ ***7*** 74, wurde das Abschöpfungsverfahren für beendet erklärt und der Bf als Schuldnerin die Befreiung über die Restschuld erteilt. Im Anschluss daran wurde vom Gericht die Restschuldbestätigung ausgestellt.

Die gerichtlich erklärte Restschuldbefreiung gemäß § 213 IO bewirkt, dass natürliche Personen auf Antrag und nach einer Phase des Wohlverhaltens von ihrer Schuld befreit werden. Neben den Tilgungstatbeständen der BAO (Entrichtung, Nachsicht, Entlassung aus der Gesamtschuld und bescheidmäßig Löschung) ist die Restschuldbefreiung nach § 213 IO ein weiterer gesetzlicher Tilgungstatbestand, der das Erlöschen des Abgabenanspruches bewirkt. Nach Erlöschen des Abgabenanspruchs durch einen Tilgungstatbestand ist die Abgabenfestsetzung nicht bzw nur unter den Voraussetzungen des § 294 BAO bzw im konkreten Fall unter den Voraussetzungen nach § 215 IO zulässig. Ein solcher Sachverhalt ist nach Ansicht des BFG nicht festzustellen.

Die "Abschreibung" der Einkommensteuerschuld 2015 auf dem Abgabenkonto war nur die Bezeichnung des buchungstechnischen Vorganges (vgl ). Die Löschung gemäß § 235 BAO dient der Kontenbereinigung und besteht im innerbehördlichen Auftrag, auf ohnedies aussichtslos erscheinende Einbringungsmaßnahmen zu verzichten. Der davon betroffene Abgabenanspruch erlischt nur dann, wenn die Löschung auf Grund eines Bescheides erfolgt und dieser Bescheid nach außen wirksam in Erscheinung tritt, also dem Abgabenschuldner gemäß § 97 BAO bekannt gegeben wird ( mwN). Ein Löschungsbescheid nach § 235 BAO ist in casu nicht ergangen. Den Tilgungstatbestand bewirkte der vorangegangene rechtskräftige Gerichtsbeschluss vom TT. Jänner 2025 nach § 213 IO. Aus diesem Grund brauchte es keinen Löschungsbescheid nach § 235 BAO als Titel, um die Tilgung (nochmals) auszusprechen.

Da bereits Tilgung der Einkommensteuerschuld 2015 eingetreten ist, scheidet eine Abstandnahme der Abgabenfestsetzung nach § 206 Abs 1 lit b BAO aus, weil § 206 Abs 2 BAO ausdrücklich anordnet, dass durch die Abstandnahme (Abs. 1) der Abgabenanspruch (§ 4) nicht erlischt. Nach bereits eingetretenem Tilgungstatbestand kann folglich nicht mehr gemäß § 206 BAO vorgegangen werden.

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens der Einkommensteuer 2015 vom zielte darauf ab, die Abgabenfestsetzung in verminderter Höhe (nämlich in der Höhe, wie sich die Einkommensteuer 2015 aus den neuen Abgabenerklärungen ergäbe) zu erwirken. Dieses Ziel kann nach Erlöschen des Abgabenanspruchs nicht mehr durchgesetzt bzw nicht mehr legitim verfolgt werden. Somit war die Partei verpflichtet, in diesem Beschwerdeverfahren dem BFG den Beschluss BG ***3*** vom TT. Jänner 2025, GZ ***7*** 74, vorzulegen.

Im Zeitpunkt der Stellung des Wiederaufnahmeantrag am war das Schuldenregulierungsverfahren bereits im Gange und folglich die Einbringlichkeit der Einkommensteuer 2015 zweifelhaft. Auch eine Teileinbringlichkeit wäre damals denkbar gewesen. Im Zeitpunkt seiner Stellung war der Wiederaufnahmeantrag daher zulässig.

Aufgrund des Ergebnisses des Schuldenregulierungsverfahrens wurde die gänzliche Uneinbringlichkeit der Einkommensteuerschuld 2015 Gewissheit und mit Gerichtsbeschluss die Befreiung von der Schuld gemäß § 213 IO ausgesprochen. Dieser in der Abgabeneinbringung eingetretene gesetzliche Tilgungstatbestand steht der mit dem Wiederaufnahmeantrag begehrten geringeren Abgabenfestsetzung entgegen, weshalb der Wiederaufnahmeantrag aus heutiger Sicht als unzulässig geworden anzusehen ist.

Schließlich erübrigen sich in Hinblick auf den inzwischen eingetretenen Tilgungstatbestand Überlegungen, ob der Wiederaufnahmsantrag mängelfrei war (vgl Ritz/Koran, BAO7 § 303 BAO Rz 52ff), was das BFG zu sanieren hätte.

Zur unterbliebenen Umsetzung der Auswirkung des geänderten Grundlagenbescheides im abgeleiteten Verfahren wird darüber hinaus bemerkt:

Auch die Auswirkungen von (geänderten) Grundlagenbescheiden (§ 295 Abs 1 BAO) sind vom Bundesfinanzgericht in seinem Erkenntnis zu berücksichtigen (vgl Lenneis, in Holoubek/Lang, Das Verfahren vor dem BVwG und dem BFG, 1 ff (11). Die Entscheidungsbefugnis des Bundesfinanzgerichtes ist aber durch die Sache des Beschwerdeverfahrens begrenzt (vgl hiezu Ritz, BAO5, § 279 Tz 11 ff). Die Sache eines Beschwerdeverfahrens wird durch den Spruch des angefochtenen Bescheides bestimmt. Mit dem gegenständlich einzig angefochtenen Bescheid wurde die Abweisung des Wiederaufnahmeantrages ausgesprochen.

Es war völlig ungewiss, ob das BFG in Stattgebung der Beschwerde die Wiederaufnahme bewilligen würde und ein neuer Einkommensteuerbescheid zu ergehen hätte, in dem die Auswirkung des geänderten Grundlagenbescheides (§ 295 Abs 1 BAO) hätten miterfasst werden können.

Gemäß § 307 Abs 1 BAO ist mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden Bescheid unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides die das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zwar grundsätzlich zu verbinden, doch gilt dies nach Satz 2 leg.cit. nur, wenn dieselbe Abgabenbehörde zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist, was hier nicht der Fall ist (vgl Ritz/Koran, BAO7 § 307 BAO Rz 6). Für die Erlassung des neuen Sachbescheides wäre in jedem Fall die Abgabenbehörde zuständig, denn der neue Sachbescheid ist ein eigenständiger Bescheid, der auch selbstständig anfechtbar ist, und dieser Rechtsschutzweg darf dem Normunterworfenen nicht genommen werden. Da in einer Situation wie der vorliegenden zu keinem Zeitpunkt eine gleichzeitige Zuständigkeit von Abgabenbehörde und Verwaltungsgericht für die Erlassung eines neuen Sachbescheides besteht bzw bestehen kann, steht § 300 BAO einer unverzüglichen Umsetzung der Auswirkung des geänderten Grundlagenbescheides gemäß § 295 Abs 1 BAO im Zeitpunkt des Einlangens der Mitteilung über die Feststellung von Einkünften bei der belangten Behörde nicht entgegen.

Auch das anhängige Schuldenregulierungsverfahren stellte kein Hindernis für eine verringerte Bemessung der Einkommensteuer 2015 dar.

4.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Rechtsfolge des § 213 IO ergab sich zwar unmittelbar aus dem Gesetz, doch fehlt dazu - soweit das BFG feststellen konnte - eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs. Somit war die ordentliche Revision zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 295 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 213 Abs. 1 IO, Insolvenzordnung, RGBl. Nr. 337/1914
§ 307 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 235 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 206 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2025:RV.7103380.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
SAAAF-80932