OGH 29.04.2004, 8ObS6/04x
Rechtssatz
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Norm | |
RS0118994 | § 7 Abs 1 zweiter Satz IESG ist dahin auszulegen, dass eine Bindungswirkung im Umfang der Kostenentscheidung dann zu bejahen ist, wennmit der Hauptsachenentscheidung nur gesicherte und von der beklagten Partei auch anerkannte Ansprüche zugesprochen wurden und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Kosten für Verfahrenshandlungen verzeichnet wurden, die bei einer ex ante-Betrachtung von der Verfahrenspartei selbst als unnotwendig einzustufen sind. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Dr. Vera Moczarski als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mihajlo Z*****, vertreten durch Mag. Martin Nemec, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei IAF-Service GmbH, ***** wegen 137,75 EUR netto Insolvenz-Ausfallgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 182/03s-15, womit über Berufung des Klägers das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 21 Cgs 71/03i-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 137,75 EUR netto binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 298,90 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin enthalten 49,14 EUR Umsatzsteuer und 4 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen."
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 215,04 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten 35,84 EUR Umsatzsteuer) und die mit 147,07 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 24,51 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Zu 34 Cga 90/02g des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien begehrte der Kläger von seiner Arbeitgeberin, der späteren Gemeinschuldnerin, 1.312,27 EUR netto als Weihnachtsremuneration, die seit fällig sei. Der Zahlungsverzug sei zumindest leicht fahrlässig herbeigeführt worden.
Antragsgemäß erließ das Arbeits- und Sozialgericht Wien am einen Zahlungsbefehl über 1.312,47 EUR samt 10,25 % Zinsen seit und bestimmte auch die Kosten des Klägers antragsgemäß mit 278,66 EUR nach TP 3 des RAT.
Der Zahlungsbefehl wurde der Arbeitgeberin des Klägers am zugestellt und erwuchs in Rechtskraft. Am wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin des Klägers der Konkurs eröffnet.
Die beklagte Partei erkannte dem Kläger den zugesprochenen Kapitalbetrag samt Zinsen und 142 EUR an Kosten als Insolvenzausfallgeld zu. Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Partei die Zahlung weiterer beantragter Kosten von 137,75 EUR (Differenz zwischen TP 2 und TP 3 des RAT) mit der Begründung ab, dass die Mahnklage auf Arbeitsentgelt gerichtet und daher nur nach TP 2 des RAT zu honorieren gewesen sei. Eine Bindung an den Zahlungsbefehl liege gemäß § 7 Abs 1 IESG nicht vor.
Der Kläger begehrt Zahlung von 137,75 EUR netto an Insolvenzausfallgeld. Die Kosten gebührten nach TP 3 des RAT. Überdies habe das ASGG Wien bei Erlassung des Zahlungsbefehls von Amts wegen überprüfen müssen, wie die Mahnklage zu honorieren sei. An diese Kostenentscheidung sei die beklagte Partei gebunden.
Die beklagte Partei wendet ein, dass keine Bindungswirkung vorliege, weil § 7 Abs 1 zweiter Satz IESG anzuwenden sei. Die einfache Mahnklage des Klägers auf Arbeitsentgelt sei lediglich nach TP 2 des RAT zu honorieren.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Nach ständiger Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Wien seien Klagen, mit denen Arbeitnehmerforderungen geltend gemacht würden, grundsätzlich nur dann nach TP 3 des RAT zu entlohnen, wenn es sich dabei um Ansprüche auf Kündigungsentschädigungen handle. Das gelte für die begehrte Weihnachtsremuneration im Vorverfahren nicht. Da die Rechtskraft des Zahlungsbefehles sechs Tage vor Konkurseröffnung eingetreten und dem Zahlungsbefehl kein streitiges Verfahren vorangegangen sei, sei die Kostenentscheidung im Zahlungsbefehl für die beklagte Partei nicht bindend (§ 7 Abs 1 erster und zweiter Satz IESG).
Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung nicht Folge. Es teilte die Auffassung des Erstgerichtes und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Aufgrund des klaren Wortlautes des § 7 Abs 1 IESG gelte die Ausnahme von der Bindungswirkung auch für die Kostenentscheidung.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen vom Kläger erhobene außerordentliche Revision ist zulässig, weil Rechtsprechung dazu fehlt, ob § 7 Abs 2 zweiter Satz IESG auch für die Kostenentscheidung gilt, wenn die Gerichtsentscheidung in der Hauptsache einen gesicherten Anspruch betrifft. Die Revision ist auch berechtigt.
Gemäß § 7 Abs 1 zweiter Satz IESG besteht die in § 7 Abs 1 erster Satz IESG angeordnete Bindung dann nicht, wenn der gerichtlichen Entscheidung kein streitiges Verfahren vorangegangen ist oder ein Anerkenntnisurteil gefällt wurde, sofern diese Gerichtsentscheidung weniger als sechs Monate vor Eröffnung des Konkurses oder vor Erlassung eines nach § 1 Abs 1 gleichzuhaltenden Gerichtsbeschlusses rechtskräftig geworden ist. Diese Bestimmung wurde durch das IRÄG 1994 eingeführt, um Missbräuche (Zusammenwirken des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers zu Lasten des Fonds knapp vor Eintreten der Insolvenz) zu vermeiden (ErlRV 1384 BlgNR 18. GP 12; Liebeg IESG² § 7 Rz 8).
Zur Bindungswirkung einer Kostenentscheidung sprach der Oberste Gerichtshof mehrfach (9 ObS 3/92; 9 ObS 18/93; 8 ObS 12/94; 8 ObS 412/97i = SZ 71/86; 8 ObS 107/98p) aus, dass dann, wenn der gerichtlich geltend gemachte Anspruch seiner Art nach zu den nach IESG gesicherten Ansprüchen zähle, die durch das Gericht gefällte Kostenentscheidung weder nach der Zweckmäßigkeit einzelner Verfahrenshandlungen noch nach ihrer Berechtigung der Höhe nach überprüft werden könne. Dabei wurde betont (insbesondere 9 ObS 3/92; 9 ObS 18/93), dass die Bestimmung des § 41 ZPO die grundsätzliche Kostenersatzpflicht der unterlegenen Partei regelt und bestimmt, dass das Gericht bei Festsetzung des Kostenbetrages ohne Zulassung eines Beweisverfahrens nach seinem von sorgfältiger Würdigung aller Umstände geleiteten Ermessen zu bestimmen hat, welche Kosten als notwendig anzusehen sind. Im Abs 2 ist die Anordnung enthalten, dass das Maß der Entlohnung des Rechtsanwaltes auf der Grundlage der dafür geltenden Tarife zu erfolgen hat. Das Gericht ist daher im Rahmen der Entscheidung über den Kostenersatzanspruch zur Prüfung dieses Anspruches der Prozesspartei sowohl dem Grunde (Notwendigkeit des Kostenaufwandes) wie auch der Höhe nach verpflichtet. Das hat von Amts wegen zu erfolgen, ohne dass eine Beschränkung auf von den Parteien vorgebrachte oder eingewendete Umstände besteht. Mit der Entscheidung des Prozessgerichtes über die Prozesskosten wird daher auch über die Notwendigkeit und die Berechtigung dieser Ersatzansprüche der Höhe nach unter Berücksichtigung der Grundsätze des § 41 ZPO bindend abgesprochen. Ferner wurde betont, dass die Zulässigkeit der Überprüfung einer aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder eines Auszugs aus dem Anmeldungsverzeichnis festgestellten Forderung im Verfahren nach dem IESG von der Judikatur auf Fälle beschränkt wurde, in denen ein für die Qualifikation eines Anspruchs als gesicherter Anspruch im Sinne des IESG maßgeblicher Umstand im gerichtlichen Verfahren ungeprüft blieb. Diese Voraussetzung ist für Kostenersatzansprüche im Zivilverfahren nicht gegeben, da die Gerichte diese Ansprüche auf ihren Umfang und ihre Höhe von Amts wegen zu prüfen haben und daher alle damit zusammenhängenden Fragen vom Prozessgericht bei der Kostenentscheidung berücksichtigt werden müssen. Daraus wurde gefolgert, dass bei Durchdringen des Klägers in einem Prozess gegen seinen Arbeitgeber mit Ansprüchen, die nach dem IESG gesichert sind, im Verfahren nach dem IESG eine Bindung auch an die gerichtliche Kostenentscheidung besteht. Die Frage, ob einzelne Verfahrenshandlungen, die bei der Kostenentscheidung des Prozessgerichtes berücksichtigt wurden, notwendig oder zweckmäßig waren und ob die Höhe der hiefür zuerkannten Kosten den Grundsätzen der ZPO bzw des RATG entspricht, sei der Überprüfung im Verfahren nach dem IESG grundsätzlich entzogen.
Lediglich dann (siehe 8 ObS 412/97i; 8 ObS 107/98p) wenn es um Umstände gehe, die das Gericht bei seiner Kostenentscheidung nicht habe berücksichtigen können (ex ante-Betrachtung unter Anlegung eines objektiven Maßstabs - s. 8 ObS 107/98p) sei die Bindungswirkung zu verneinen.
Sämtliche dieser Entscheidungen betrafen allerdings Sachverhalte, auf die § 7 Abs 1 zweiter Satz IESG nicht anwendbar war.
Den Vorinstanzen ist zuzugestehen, dass eine rein am Wortlaut orientierte Auslegung des § 7 Abs 1 zweiter Satz IESG die Beurteilung zulässt, dass der dort geregelte Ausschluss der Bindungswirkung auch die Kostenenfestsetzung in jenen Gerichtsentscheidungen erfasst, denen kein streitiges Verfahren voranging.
Eine am Zweck der Regelung orientierte Auslegung führt jedoch zum gegenteiligen Ergebnis: Die bereits erwähnte Missbrauchsgefahr, die zur Einführung des § 7 Abs 1 zweiter Satz IESG geführt hat, besteht im Hinblick auf die Kostenentscheidung nicht: Die Missbrauchsgefahr ist dadurch verwirklicht, dass das Gericht im Zivilverfahren bei Erlassung eines Zahlungsbefehls, eines Versäumungsurteiles oder eines Anerkenntnisurteiles die Angaben in der Klage für wahr zu halten hat, der Hauptsachenentscheidung daher weder die Prüfung eines Einwandes des Beklagten noch die Durchführung eines Beweisverfahrens vorangeht. Gerade das trifft aber für die Kostenentscheidung in Zahlungsbefehlen, Versäumungs- oder Anerkenntnisurteilen nicht zu. Hier hat das Gericht vielmehr unter Beachtung des § 41 ZPO und der einschlägigen Regelungen des RAT die beantragten Kosten von Amts wegen zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Insofern sind die Grundsätze der referierten höchstgerichtlichen Entscheidungen auf den vorliegenden Fall übertragbar.
Diese Auslegung ist auch mit dem Wortlaut des § 7 Abs 1 zweiter Satz IESG vereinbar: Für die Kostenentscheidung passt die Einschränkung des zweiten Satzes ".....wenn kein streitiges Verfahren vorangegangen ist" grundsätzlich nicht, weil das Gericht bei der Kostenfestsetzung nicht unterschiedlich danach agiert, ob die Hauptsachenentscheidung "streitig" oder "nicht streitig" ergeht. In beiden Fällen ist vielmehr die Richtigkeit des Kostenverzeichnisses von Amts wegen zu überprüfen.
Aus diesen Überlegungen folgt, dass § 7 Abs 1 zweiter Satz IESG dahin auszulegen ist, dass eine Bindungswirkung im Umfang der Kostenentscheidung dann zu bejahen ist, wenn - wie hier - mit der Hauptsachenentscheidung nur gesicherte und von der beklagten Partei auch anerkannte Ansprüche zugesprochen wurden und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Kosten für Verfahrenshandlungen verzeichnet wurden, die bei einer ex ante-Betrachtung von der Verfahrenspartei selbst als unnotwendig einzustufen sind.
Der außerordentlichen Revision des Klägers ist Folge zu geben. Die ihm im Vorverfahren rechtskräftig zuerkannten Normalkosten nach TP 3 des RAT stehen ihm zur Gänze zu.
Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Berufungsverfahrens gründet sich ebenso wie die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2004:008OBS00006.04X.0429.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
DAAAF-78462