Einreihung von Einwegvenenstauern in den Zolltarif
Revision eingebracht (Amtsrevision). Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2024/16/0013.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Senatsvorsitzenden ***SenV***, den Richter ***Ri*** sowie die fachkundigen Laienrichter ***SenLR1*** und ***SenLR2*** in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch ***Vt***., Rechtsanwalt, ***Vt-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Zollamtes Österreich vom betreffend verbindliche Zolltarifauskunft, ***1***, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit der Schriftführerin ***Sf*** zu Recht erkannt:
I. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert; die verfahrensgegenständliche Ware ist in die Warenummer 4014 9000 00 einzureihen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit der verbindlichen Zolltarifauskunft vom , ***1***, wurden Einwegvenenstauer in die Warennummer 4008 2190 00 eingereiht.
Dagegen richtete sich die Beschwerde vom . Die Beschwerdeführerin, vertreten durch ***Vt***., Rechtsanwalt, brachte vor, im Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft habe die Beschwerdeführerin die Ware als "Einwegvenenstauer aus Weichkautschuk, ausschließlich zur Verwendung zu medizinischen Zwecken bestimmt" beschrieben. Die mit der verbindlichen Zolltarifauskunft vorgenommene Einreihung sei nicht begründet worden, es seien lediglich Auslegungshilfen und Erläuterungen aufgezählt worden und auf den Untersuchungsbefund der Technischen Untersuchungsanstalt verwiesen worden. Betreffend den Untersuchungsbefund sei das Parteiengehör massiv verletzt worden und keine Einsicht in diesen gewährt worden. Dieser sei nach Auskunft des Zollamtes lediglich für den internen Gebrauch vorgesehen, daher könne eine Einsicht in diesen nicht erfolgen. Die Entscheidung des Zollamtes sei nicht nachvollziehbar.
Das Zollamt verkenne, dass in die Tarifposition 4008 lediglich "Platten, Blätter, Streifen, Stäbe, Stangen und Profile, aus Weichkautschuk" zu subsumieren seien, die nicht zugeschnitten seien oder die durch bloßes Zuschneiden eine quadratische oder rechteckige Form erhielten, auch wenn sie dadurch den Charakter von Fertigwaren erhalten hätten. Sie dürften jedoch nicht sonst weiter bearbeitet sein; eine Oberflächenbearbeitung (zum Beispiel durch Bedrucken) blieben hierbei außer Betracht. Stäbe und Profile der Nummer 4008 könnten auch auf bestimmte Längen zugeschnitten sein, dürften jedoch - abgesehen von einer einfachen Oberflächenbearbeitung - nicht weiter bearbeitet sein.
All dies sei verfahrensgegenständlich nicht der Fall.
Ungeachtet der Tatsache, dass die verfahrensgegenständlichen Waren nicht nur mit einem Logo bedruckt seien, sondern auch noch perforiert und mit Maisstärke gepudert seien, und sohin eine weitere nicht bloß einfache Bearbeitung erfolgt sei, dienten die Waren ausschließlich medizinischen Zwecken. Dies sei von der Beschwerdeführerin auch ausdrücklich bekannt gegeben worden. Im Hinblick darauf hätten die Waren in die Position 4014 subsumiert werden müssen.
Da das Zollamt all diese Erwägungen unbeachtet gelassen habe, habe es die Entscheidung über die verbindliche Zolltarifauskunft mit Rechtswidrigkeit des Inhalts behaftet. Abschließend beantragte die Beschwerdeführerin eine Entscheidung durch den Senat, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und eine antragsgemäße Einreihung der Ware, in eventu die verbindliche Zolltarifauskunft aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zu verweisen.
In Beantwortung eines Mängelbehebungsauftrages legte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom der belangten Behörde einen originalverpackten Karton von Einwegvenenstauern sowie zwei offene Venenstauer und Unterlagen vor. Die gegenständlichen Waren dienten hygienischen bzw. medizinischen Zwecken und bestünden aus Kautschuk.
Mit der Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde neben der Wiedergabe einschlägiger Bestimmungen ausgeführt, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union seien im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit grundsätzlich die objektiven Merkmale und Eigenschaften einer Ware, wie sie im Wortlaut der Positionen der Kombinierten Nomenklatur festgelegt seien, das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren.
Die Einreihung der gegenständlichen Ware sei aufgrund der Allgemeinen Vorschriften 1, 5 b und 6, Anmerkung 1 zu Kapitel 40, Erläuterungen zum Harmonisierten System zu Kapitel 40, Erläuterungen zum Harmonisierten System zu Position 4008 (Ziffer 1) und aufgrund des Untersuchungsbefundes der Technischen Untersuchungsanstalt erfolgt. Diese Angaben seien auch im Feld 9 der verbindlichen Zolltarifauskunft zu finden. Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin sei also eine Begründung für die tarifarische Würdigung seitens der Behörde angeführt worden.
Die Ware liege in Streifenform vor. Anlässlich jeder venösen Blutentnahme werde der Streifen an der Perforierung abgetrennt und das Teilstück am Arm fixiert. Eine Perforierung stehe einer Einreihung als Meterware nicht entgegen. Die Oberfläche des Streifens sei mit Maisstärke bepudert. Das Bepudern selber sei keine Oberflächenbehandlung, denn die Oberfläche des Streifens aus Weichkautschuk verändere sich durch diesen Vorgang nicht. Vielmehr stelle das Bepudern eine physikalische Maßnahme dar um zu verhindern, dass der Streifen in zusammengerolltem Zustand verklebe. Auch könne durch das Bepudern der Oberfläche mit Maisstärke kein Zusammenhang mit Waren für "hygienische" Zwecke gesehen werden. Und keineswegs erschließe sich der Behörde ein Zusammenhang zwischen einem Streifen aus Weichkautschuk und einer Ware für prophylaktische Zwecke. Durch das Fixieren des Streifens aus Weichkautschuk am Arm werde keine Erkrankung vorbeugend verhindert.
Dagegen richtete sich der Vorlageantrag vom . Darin verwies die Beschwerdeführerin auf die bisherigen Vorbringen und brachte ergänzend vor, nach dem Wortlaut der zu beurteilenden Tarifposition reiche es nicht aus, bloß auf hygienische und prophylaktische Zwecke abzustellen. Selbstverständlich erfüllten die gegenständlich in Rede stehenden Waren medizinische Zwecke; sie dienten der venösen Blutabnahme. Werde der einschränkenden Auslegung der belangten Behörde gefolgt, dann erfüllten die verfahrensgegenständlichen Waren auch hygienische Zwecke. Wie auch die von dieser Position umfassten Präservative dienten auch Einmalprodukte wie das Gegenständliche dazu, Kreuzkontamination zwischen Patienten zu verhindern. Ganz abgesehen davon sei festzuhalten, dass beispielsweise auch Fingerlinge aus synthetischen Kautschuk als Waren zu hygienischen oder medizinischen Zwecken qualifiziert worden seien. Dasselbe gelte für ein Produkt in Form eines Kondoms, das als Schutz für eine Sonde diene. Aus all diesen Gründen und im Hinblick darauf, dass die verfahrensgegenständliche Ware nicht nur mit einem Logo bedruckt, sondern auch noch perforiert und gepudert sei, sei die Ware (nicht nur, aber auch begrifflich) in die beantragte Position 4014 einzureihen.
Mit dem am beim Bundesfinanzgericht eingelangten Schreiben legte die Beschwerdeführerin einen Tarifierungsvorschlag des Zollamtes Österreich, Competence Center Zentrale Auskunftsstelle und Taric-Verwaltung/Zoll, für Einwegvenenstauer vor. Mit diesem Vorschlag wurde eine mit der verfahrensgegenständlichen Ware vergleichbare Ware in die Position 4014 9000 eingereiht.
Mit Schreiben des Bundesfinanzgerichtes vom wurde die belangte Behörde ersucht, die ihr von der Beschwerdeführerin vorgelegten Muster dem Bundesfinanzgericht zu übermitteln. Die belangte Behörde übermittelte mit Schreiben vom die Muster.
In der mündlichen Verhandlung gab die belangte Behörde an, beim Tarifierungsvorschlag handle es sich um eine unverbindliche Auskunft und dieser sei im Gegensatz zur verbindlichen Auskunft wenig aussagekräftig; die Ware sei nicht beschrieben und das Foto habe eine schlechte Bildqualität. Die verbindliche Zolltarifauskunft stütze sich auf einen Untersuchungsbefund. Die belangte Behörde führte weiter aus, die Aufmachung einer Ware sei für die Tarifierung nicht entscheidend, sondern die objektiven Eigenschaften der Ware. Die Ware stelle sich als Kautschukband dar, das mit Maisstärke bepudert und perforiert sei. Die Verwendung der Ware sei nicht zwingend vorgegeben, diese könne auch für andere Zwecke verwendet werden. Die Ware sei daher nach stofflicher Beschaffenheit (ein bepudertes, perforiertes Kautschukband) einzureihen gewesen; ein prophylaktischer Zweck lasse sich nicht erkennen.
Die Beschwerdeführerin führte in der mündlichen Verhandlung aus, der Tarifierungsvorschlag decke ihre Argumentation. Die Perforierung der Bänder sei auf eine Stanzung zurückzuführen; diese sei nach Rücksprache mit dem Produktmanager nach dem Vulkanisierungsprozess im Zuge der Aufrollung der Bänder erfolgt. Die Ware diene medizinischen Zwecken und diese sei nach den objektiven Gegebenheiten auf diese Zwecke ausgerichtet. Die Perforierung diene dazu, die Ware in der für medizinische Zwecke erforderlichen Länge zu trennen. Eine Verwendung für nichtmedizinische Zwecke sei nicht nachvollziehbar und unmöglich. Der Aspekt der Hygiene stelle keine wesensimmanente Eigenschaft medizinischer Produkte und Waren dar. Dies zeige sich darin, dass zum Beispiel auch Wärmeflaschen medizinische Zwecke darstellten. Die Einreihung von Tropfenzähler oder Zerstäuber in die von der Beschwerdeführerin begehrte Position mache deutlich, dass auch die verfahrensgegenständliche Ware medizinischen Zwecken diene. Die Ware diene der ordnungsgemäßen Durchführung eines medizinischen Eingriffes (Blutabnahme). Die von der belangten Behörde genannte bloße Möglichkeit, eine Ware auch für andere Zwecke zu verwenden, führe nicht zu einer anderen Einreihung; sowohl Tropfenzähler als auch Zerstäuber könnten objektiv betrachtet auch für andere als medizinische Zwecke verwendet werden.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Bei der verfahrensgegenständlichen Ware handelt es sich um Einwegvenenstauer; das dehnbare Band aus synthetischem Kautschuk mit einer Gesamtlänge von 12 Meter und einer Breite von zirka 25 mm ist mit dem Markennamen "***2***" bedruckt und weist im Abstand von jeweils 48 cm eine Perforierung auf. Das Band ist aufgerollt und in einem quaderförmigen Karton verpackt. Der Karton hat auf einer Schmalseite eine Öffnung (Schlitz); hier lässt sich das Band herausziehen und an den perforierten Stellen lassen sich die einzelnen Einwegvenenstauer abreißen. Auf der Außenseite des Kartons mit den Maßen 9x9x3 cm ist neben dem genannten Markennamen und dem Namen der Beschwerdeführerin aufgedruckt: "your power for health, Disposable Tourniquet, Roll of 25 Tourniquets, length: 48 cm (19"), width: 2.5 cm (1"), Not made with natural rubber latex, Synthetic Rubber"; auf der gegenüberliegenden Außenseite des Kartons ist bildlich dargestellt, wie die Ware zu verwenden ist.
Einwegvenenstauer werden zum Unterbrechen des Blutflusses in den Venen bei der venösen Blutabnahme verwendet. Der Markenname "***2***" steht für Produkte für die venöse Blutabnahme, die Ware dient medizinischen Zwecken. Nach dem Vulkanisierungsprozess wurden die Bänder gestanzt.
Gemäß dem im Abgabenverfahren vorherrschenden Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 167 BAO) genügt es nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt (zB ).
Der Sachverhalt stand aufgrund der dem Bundesfinanzgericht mit dem Vorlagebericht vorgelegten Verwaltungsunterlagen, der nachträglich vorgelegten Muster und der vom Bundesfinanzgericht durchgeführten Ermittlungen fest. Die Beschaffenheit und die Aufmachung der verfahrensgegenständlichen Ware stand aufgrund der Muster fest und deckt sich mit den Feststellungen der belangten Behörde und den diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerdeführerin. In der mündlichen Verhandlung hatten beide Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens keine weiteren Vorbringen zu der vom Bundesfinanzgericht als erwiesen erachteten Beschaffenheit und Aufmachung der Ware. Recherchen des Bundesfinanzgerichtes im Internet haben eindeutig ergeben, dass unter dem Markennamen "***2***" Produkte für die venöse Blutabnahme vertrieben werden; die verfahrensgegenständliche Ware wird für medizinische Zwecke verwendet. Diese Recherchen bestätigten somit das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die Waren dienten ausschließlich medizinischen Zwecken. Auch die belangte Behörde ging in der Beschwerdevorentscheidung von einer Verwendung der Ware bei venösen Blutabnahmen und somit von einer Verwendung für medizinische Zwecke aus. Aufgrund der vom Bundesfinanzgericht im Internet durchgeführten Recherchen stand auch fest, dass die Beschwerdeführerin Anbieterin von Medizintechnikprodukten ist. Die genannten Angaben auf dem Karton bestätigen ebenfalls die Ansicht des Bundesfinanzgerichtes. Die Angabe der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung, die Perforierung der Bänder sei nach dem Vulkanisierungsprozess erfolgt, war glaubwürdig und deckt sich mit dem Aussehen der Ware.
Mit einer Verbindlichen Zolltarifauskunft wird die Einreihung einer Ware in den Gemeinsamen Zolltarif verbindlich festgelegt. Gemäß Art. 56 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK) umfasst der Gemeinsame Zolltarif unter anderem die Kombinierte Nomenklatur nach der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 sowie jede sonstige Nomenklatur, die ganz oder teilweise auf der Kombinierten Nomenklatur beruht oder weitere Unterteilungen für diese vorsieht, und die durch Unionsvorschriften zu bestimmten Bereichen im Hinblick auf die Anwendung zolltariflicher Maßnahmen im Warenverkehr erstellt wurde.
Mit der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif wurde die Kombinierte Nomenklatur eingeführt und ist im Anhang I dieser Verordnung enthalten. Zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung war Anhang I in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) 2021/1832 anzuwenden. Gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 umfasst die Kombinierte Nomenklatur die Nomenklatur des Harmonisierten Systems (als Harmonisiertes System wird das "Internationale Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren" bezeichnet).
In Teil I (Einführende Vorschriften) Titel I des Anhanges I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 sind die Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur normiert.
Die Allgemeine Vorschrift 1 bestimmt, dass "die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel nur Hinweise sind. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und - soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nicht anderes bestimmt ist - die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften."
Die Allgemeine Vorschrift 3 lautet (auszugsweise):
"Kommen für die Einreihung von Waren bei Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 2 b) oder in irgendeinem anderen Fall zwei oder mehr Positionen in Betracht, so wird wie folgt verfahren:
a) Die Position mit der genaueren Warenbezeichnung geht den Positionen mit allgemeiner Warenbezeichnung vor. (…).
(…)"
Gemäß Art. 6 des Harmonisierten Systems ist im Rahmen dieses Übereinkommens ein Ausschuss einzusetzen; dieser Ausschuss hat unter anderem Erläuterungen, Einreihungsavise und sonstige Stellungnahmen zur Sicherstellung einer einheitlichen Auslegung und Anwendung des Harmonisierten Systems auszuarbeiten (Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Position der Kombinierten Nomenklatur und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind. Die Anmerkungen zu den Kapiteln der Kombinierten Nomenklatur sind deshalb wichtige Hilfsmittel, um eine einheitliche Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs zu gewährleisten, und können als wertvolle Erkenntnismittel für die Auslegung des Tarifs angesehen werden. Der Inhalt dieser Anmerkungen muss daher mit den Bestimmungen der Kombinierten Nomenklatur in Einklang stehen und darf deren Bedeutung nicht verändern. Außerdem sind die von der Weltzollorganisation zum Harmonisierten System ausgearbeiteten Erläuterungen ein wichtiges, wenn auch nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen ().
Nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System zu der Allgemeinen Vorschrift 1 soll der Satzteil "soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist" jeden Doppelsinn ausschließen und eindeutig festlegen, dass der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln bei der Einreihung Vorrang vor jeder anderen Erwägung hat.
Zu der Allgemeinen Vorschrift 3 a) ist in den Erläuterungen zum Harmonisierten System ausgeführt, dass eine namentliche Bezeichnung genauer ist als eine Gattungsbezeichnung und die Warenbezeichnung genauer ist, die die Waren deutlicher und vollständiger beschreibt.
In die Position 4008 der Kombinierten Nomenklatur sind "Platten, Blätter, Streifen, Stäbe, Stangen und Profile, aus Weichkautschuk" einzureihen.
Von der Position 4014 der Kombinierten Nomenklatur sind "Waren zu hygienischen oder medizinischen Zwecken (einschließlich Sauger), aus Weichkautschuk, auch in Verbindung mit Hartkautschukteilen" erfasst.
Nach der Anmerkung 9 zu Kapitel 40 der Kombinierten Nomenklatur gelten als Platten, Blätter und Streifen im Sinne der Positionen 4001, 4002, 4003, 4005 und 4008 nur Platten, Blätter und Streifen sowie Blöcke von regelmäßiger Form, die nicht geschnitten sind oder die durch einfaches Schneiden eine quadratische oder rechteckige Form erhalten haben (auch wenn sie dadurch zu Fertigwaren geworden sind), die jedoch, abgesehen von einer einfachen Oberflächenbearbeitung (zum Beispiel Bedrucken), nicht weiterbearbeitet sind.
Nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System zu Kapitel 40 sind die Begriffe Platten, Blätter und Streifen (Positionen 4001, 4002, 4003, 4005 und 4008) in der Anmerkung 9 definiert und schließen Blöcke von regelmäßiger geometrischer Form ein. Platten, Blätter und Streifen können oberflächenbearbeitet (zum Beispiel bedruckt, geprägt, gestreift, geriffelt, gerippt, usw.) oder lediglich quadratisch oder rechteckig zugeschnitten sein; auch wenn sie dadurch den Charakter von Fertigwaren erhalten haben; sie dürfen jedoch nicht anders zugeschnitten oder weiter bearbeitet sein.
Die Erzeugnisse der Position 4008 der Kombinierten Nomenklatur können nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System zu der Position 4008 bedruckt, geprägt, gestreift, geriffelt, gerippt usw. sein; sie können auch ein- oder mehrfarbig sein (in der Masse oder nur an der Oberfläche). Nach den zuletzt genannten Erläuterungen gehören Platten, Blätter und Streifen, auch ohne Oberflächenbearbeitung, mit abgeschrägten oder geformten Kanten, mit abgerundeten Ecken, mit durchbrochenen Rändern oder in anderer Weise bearbeitet oder anders als quadratisch oder rechteckig zugeschnitten nicht in die Position 4008, sondern in die Positionen 4014, 4015 oder 4016.
Zu der Position 4014 gehören nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System zu der Position 4014 Waren aus vulkanisiertem Weichkautschuk (auch in Verbindung mit Teilen aus Hartkautschuk oder anderen Stoffen) für hygienische oder prophylaktische Zwecke, wie zum Beispiel Präservative, Kanülen, Spritzen und Bälle für Spritzen und andere Zwecke (Tropfenzähler, Zerstäuber usw.), Sauger, Brusthütchen, Eisbeutel, Wärmeflaschen, Sauerstoffbeutel, Fingerlinge, aufblasbare Krankenkissen.
Darüber hinaus kann der Verwendungszweck einer Ware ein objektives Tarifierungskriterium sein, sofern er dieser Ware innewohnt. Das Innewohnen muss sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware beurteilen lassen (vgl. , Rn. 24; ).
Bei der Prüfung der Frage, ob eine Ware für medizinische Zwecke bestimmt ist, sind alle relevanten Aspekte des konkreten Falles zu berücksichtigen, soweit es sich dabei um dieser Ware innewohnende objektive Merkmale und Eigenschaften handelt. Als solche relevanten Aspekte sind die Verwendung, die der Hersteller für die betreffende Ware vorgesehen hat, sowie die Art und Weise und der Ort der Verwendung der Ware zu prüfen ().
Bei der verfahrensgegenständlichen Ware handelt es sich erkennbar um Einwegvenenstauer, die aufgrund ihrer Aufmachung und aufgrund der Angaben auf der Außenseite des Kartons unstrittig dem Stauen oder der vollständigen Unterbrechung des Blutflusses in den Venen bei der venösen Blutabnahme dient. Das Bundesfinanzgericht hat auch festgestellt, dass die Ware bei Anspannung an der Perforierung abreißt; dies ist ein eindeutiger Hinweis für eine Verwendung der Ware in der vom Hersteller vorgegebenen Länge. Das alles sind ganz klare Indizien für den Nachweis, dass die verfahrensgegenständliche Ware für medizinische Zwecke bestimmt ist; die Beschaffenheit und die Aufmachung der Ware deuten eindeutig darauf hin, dass auch der Hersteller eine Verwendung für medizinische Zwecke vorgesehen hat. Darüber hinaus ist die Beschwerdeführerin im Bereich der Medizintechnik tätig, was auch einen Hinweis für die Verwendung der Ware für medizinische Zwecke darstellt. Die Verwendung der Ware für medizinische Zwecke hat - wie bereits ausgeführt - die belangte Behörde nicht bestritten, im Gegenteil, mit ihren Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung, wonach die Ware bei der venösen Blutabnahme verwendet werde, bestätigt diese die Verwendung für medizinische Zwecke.
An der Verwendung der verfahrensgegenständlichen Ware für medizinische Zwecke vermochten die Angaben der belangten Behörde in der mündlichen Verhandlung, die Verwendung sei nicht zwingend vorgesehen, aufgrund der Beschaffenheit und Aufmachung der Ware, die eine Verwendung für medizinische Zwecke nicht nur vorsehen, sondern eine solche auch der Ware innewohnt, nichts zu ändern. Eine etwaige zweckfremde Verwendung hat nicht eine andere Einreihung zur Folge.
Die Position 4014 der Kombinierten Nomenklatur enthält nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut Waren für medizinische Zwecke. Dem stehen die genannten Erläuterungen zum Harmonisierten System zu der Position 4014, die eine Einreihung von Waren für hygienische oder prophylaktische Zwecke in diese Position vorsehen nicht entgegen. Denn der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln hat Vorrang vor jeder anderen Erwägung. Waren für medizinische Zwecke sind daher in die Position 4014 der Kombinierten Nomenklatur einzureihen. Dem Vorbringen der belangten Behörde in der mündlichen Verhandlung, medizinische Produkte lägen grundsätzlich im sterilen Zustand vor, ist zu entgegnen, dass nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System von der Position 4014 auch Wärmeflaschen, Fingerlinge oder aufblasbare Krankenkissen erfasst sind, die im Regelfall ebenfalls nicht im sterilen Zustand vorliegen.
Die Position 4014, die schon nach ihrem Wortlaut Waren für medizinische Zwecke umfasst ist im Vergleich zu der Position 4008 der Kombinierten Nomenklatur die Position mit der genaueren Warenbezeichnung. Selbst wenn auch eine Einreihung der verfahrensgegenständlichen Ware in die Position 4008 der Kombinierten Nomenklatur in Betracht käme, würde nach der Allgemeinen Vorschrift 3 a) die Ware in die Position 4014 der Kombinierten Nomenklatur einzureihen sein, zumal die zuletzt genannte Position die genauere Warenbezeichnung enthält.
Darüber hinaus erlaubt sich das Bundesfinanzgericht festzuhalten, dass die verfahrensgegenständlichen Ware Perforierungen zum Abreißen der Venenstaubänder aufweisen. Eine Perforierung, also die Durchlöcherung oder das Durchbrechen der Bänder, stellt eine über Oberflächenbearbeitung hinausgehende Behandlung dar, nicht nur die Oberfläche ist bearbeitet, sondern das Band als Ganzes wurde (nach dem Vulkanisierungsprozess) durchlöchert. Solcherart bearbeitete Waren sind von einer Einreihung in die Position 4008 der Kombinierten Nomenklatur ausgeschlossen.
Die verfahrensgegenständliche Ware ist gemäß den Allgemeinen Vorschriften 1 und 3 a) in die Position 4014 9000 00 des TARIC einzureihen.
Stütze findet die Ansicht des Bundesfinanzgerichtes in einem rechtsunverbindlichen Tarifierungsvorschlag. Mit diesem hat das Competence Center der belangten Behörde der Beschwerdeführerin am mitgeteilt, dass eine Ware wie die verfahrensgegenständliche in die Position 4014 9000 der Kombinierten Nomenklatur einzureihen ist.
Gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das Bundesfinanzgericht stützt seine Entscheidung zwar auf den klaren und eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Vorschriften und auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und auf die des Verwaltungsgerichtshofes. Jedoch liegt eine höchstgerichtliche Rechtsprechung über die Einreihung von Einwegvenenstauern nicht vor. Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren sind daher nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes Rechtsfragen aufgeworfen worden, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, eine Revision ist zulässig.
Aus den dargestellten Erwägungen war spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Zoll |
betroffene Normen | Art. 56 Abs. 2 UZK, VO 952/2013, ABl. Nr. L 269 vom S. 1 Teil I Titel I Anhang I KN-VO, VO 2658/87, ABl. Nr. L 256 vom S. 1 |
Verweise | EuGH, C-547/13 EuGH, C-700/15 EuGH, C-772/19 VwGH, Ra 2015/16/0009 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.7200047.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at