VwGH vom 10.04.2014, 2013/22/0329
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
2013/22/0301 E
2013/22/0323 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Franz Karl Juraczka, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Alser Straße 32/15, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Wien - Büro II. Instanz vom , Zl. E1/155.814/2013, betreffend Versagung eines Reisepasses, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Wien vom wurde dem Beschwerdeführer die Ausstellung eines österreichischen Reisepasses gemäß § 14 Abs. 1 Z 3 lit. e und f Passgesetz 1992 (PassG) versagt.
Dies wurde zusammengefasst damit begründet, dass für die nach § 14 Abs. 1 Z 3 lit. e und f PassG geforderte Zukunftsprognose das gesamte bisherige - insbesondere etwa durch ein (Straf )Urteil festgestellte - Fehlverhalten des Passwerbers heranzuziehen sei. Gemäß Art. 27 der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) dürften Mitgliedsstaaten die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit unter bestimmten Voraussetzungen beschränken. Bei die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht beschränkenden Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit habe die Passbehörde unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob vom Passwerber (allenfalls: immer noch) eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr ausgehe, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, und ob diese Annahme auch für die Zukunft gerechtfertigt sei.
Die Erstbehörde stützte sich im Weiteren vorwiegend auf die rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers vom durch das Gericht in Udine (Italien) wegen gemeinschaftlich und fortlaufend begangener Begünstigung der Prostitution zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr und einer Geldstrafe sowie vom durch das Landesgericht K bzw. in letzter Instanz durch das Oberlandesgericht Graz vom wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Nach näherer Darstellung der diesen Urteilen zugrunde liegenden Taten und einer Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren kam die Erstbehörde zum Ergebnis, dass auf Grund der Tathandlungen und der dadurch offen gelegten Persönlichkeit des Beschwerdeführers von diesem weiterhin eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr der neuerlichen Begehung von Straftaten der gleichen Art ausgehe und die Reisepassversagung auch nach einer Abwägung der privaten gegen die öffentlichen Interessen verhältnismäßig sei.
Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gab die Landespolizeidirektion Wien Büro II. Instanz (in der Folge kurz: Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge.
Sie verwies dazu zunächst auf die Gründe des erstinstanzlichen Bescheides und führte zum Berufungsvorbringen weiter aus, dass der Beschwerdeführer insgesamt 25 Vorstrafen aufweise und erst seit wieder auf freiem Fuß sei. Auch wenn die Anlasstat der letzten Verurteilung bereits im Jahr 1997 erfolgt sei, seien die dem italienischen Urteil zugrunde liegenden Straftaten erst im August 2002 gesetzt worden. Die Erstbehörde sei zu Recht weiterhin von einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen, für die Zukunft andauernden und vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr der neuerlichen Begehung einschlägiger Straftaten ausgegangen. Aufgrund der ganz erheblichen, von ihm ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit im gegenständlichen Zusammenhang komme auch den geltend gemachten familiären und freundschaftlichen Bindungen im Ausland kein derartiges Gewicht zu, dass dies eine zu seinen Gunsten ausfallende Entscheidung begründen könnte.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand nahm und die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragte, erwogen:
Voranzustellen ist, dass soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden sind. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.
Angesichts der Erlassung des angefochtenen Bescheides im August 2013 ist das PassG in der Fassung des BGBl. I Nr. 60/2012 maßgeblich.
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des PassG
lauten (auszugsweise):
"Passversagung
§ 14. (1) Die Ausstellung, die Erweiterung des Geltungsbereiches und die Änderung eines Reisepasses sind zu versagen, wenn
...
3. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Passwerber den Reisepass benützen will, um
...
e) Personen der gewerbsmäßigen Unzucht in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, zuzuführen oder sie hiefür anzuwerben, oder
f) entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen, oder
... ."
"Behörden
§ 16. (1) Amtshandlungen obliegen im Zusammenhang mit
1. gewöhnlichen Reisepässen im Inland den Bezirksverwaltungsbehörden, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, dem Bürgermeister, im Ausland den Vertretungsbehörden;
... ."
"Verfahrensbestimmungen für die Vertretungsbehörden;
Instanzenzug
§ 22.
...
(2) Über Berufungen gegen Bescheide der Bezirksverwaltungsbehörde und des Bürgermeisters entscheidet die Landespolizeidirektion in zweiter und letzter Instanz."
Gemäß Art. 4 Abs. 3 der Freizügigkeitsrichtlinie stellen die Mitgliedstaaten ihren Staatsangehörigen gemäß ihren Rechtsvorschriften einen Personalausweis oder einen Reisepass aus, der ihre Staatsangehörigkeit angibt, und verlängern diese Dokumente. Art. 4 Abs. 4 dieser Richtlinie sieht vor, dass der Reisepass zumindest für alle Mitgliedstaaten und die unmittelbar zwischen den Mitgliedstaaten liegenden Durchreiseländer gelten muss. Sehen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates keinen Personalausweis vor, so ist der Reisepass mit einer Gültigkeit von mindestens fünf Jahren auszustellen oder zu verlängern.
Gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit müssen die davon Betroffenen gemäß Art. 31 Abs. 1 der Freizügigkeitsrichtlinie einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Abs. 3 des Art. 31 der Freizügigkeitsrichtlinie legt fest, dass im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen sind.
Der Beschwerdeführer macht unter anderem die Unzuständigkeit der Landespolizeidirektion Wien geltend und begründet dies zusammengefasst damit, dass die über seine Berufung entscheidende Behörde nicht unabhängig und weisungsfrei sei und ihr "(n)ach neuerer Rechtsprechung der europäischen Gerichtshöfe" die Tribunaleigenschaft fehle, womit er im Ergebnis im Recht ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit der Entziehung und der Versagung von Reisepässen in seiner Judikatur (vgl. nur das Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0168) bereits mehrfach auf das insoweit maßgebliche Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom , C-430/10, Rs Gaydarov , verwiesen. Der EuGH hat darin bekräftigt, dass die Entscheidung eines Mitgliedstaates, seinem eigenen Staatsbürger die Ausreise zu verbieten, eine Angelegenheit darstellt, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts, konkret der Richtlinie 2004/38/EG sowie Art. 20 und Art. 21 AEUV, fällt (Rn 24 bis 27 dieses Urteils). Hinsichtlich der Ausstellung eines Reisepasses für eigene Staatsbürger ergibt sich dies bereits aus Art. 4 Abs. 3 der Freizügigkeitsrichtlinie.
Im Anwendungsbereich der Freizügigkeitsrichtlinie ist es geboten (siehe Art. 31 der Freizügigkeitsrichtlinie), bei das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers und eines Familienangehörigen beschränkenden Entscheidungen gerichtlichen Rechtsschutz dergestalt einzuräumen, dass es dem Gericht auch möglich sein muss, eine entsprechende Überprüfung der Tatsachen und Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, vorzunehmen (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0330).
Nach der im Gefolge des C- 136/03, Rs Dörr und Ünal , ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2005/21/0113) ist ein Bescheid jedoch dann mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, wenn den nach dem Unionsrecht notwendigen Verfahrensgarantien nicht Rechnung getragen wurde.
Da im vorliegenden Fall über die Berufung die Landespolizeidirektion und kein Gericht mit entsprechender Kognitionsbefugnis entschieden hat, war der angefochtene Bescheid somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Im fortzusetzenden Verfahren wird - im Hinblick auf die durch BGBl. I Nr. 161/2013 mit erfolgte Novellierung der Bestimmung des § 22 Abs. 2 PassG - über das Rechtsmittel des Beschwerdeführers das Landesverwaltungsgericht zu entscheiden haben.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am
Fundstelle(n):
LAAAE-88969