VwGH vom 22.03.2011, 2010/18/0461
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2010/18/0462
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde 1. des A S und 2. der D S, beide in W, beide vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/2, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , 1. Zl. E1/391.568/2010 (hg. Zl. 2010/18/0461) und 2. Zl. E1/391.579/2010 (hg. Zl. 2010/18/0462), jeweils betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführenden Parteien haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von je EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit den im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheiden wurden die beschwerdeführenden Parteien, ein Ehepaar armenischer Staatsangehörigkeit, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ausgewiesen.
Die belangte Behörde legte ihren Entscheidungen die im Wesentlichen gleichlautenden Feststellungen zu Grunde, dass der Erstbeschwerdeführer am illegal in das Bundesgebiet eingereist sei und einen Asylantrag gestellt habe, der am zweitinstanzlich rechtskräftig abgewiesen worden sei. Die Länge der Verfahrensdauer habe der Erstbeschwerdeführer teilweise auch selbst zu verantworten, weil das Berufungsverfahren am habe eingestellt werden müssen und erst am habe fortgesetzt werden können.
Die Zweitbeschwerdeführerin sei am illegal in das Bundesgebiet eingereist; ihr Asyl(erstreckungs)antrag sei am zweitinstanzlich rechtskräftig abgewiesen worden.
Da beide beschwerdeführenden Parteien nicht im Besitz eines Einreise- oder Aufenthaltstitels seien, lägen die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung - vorbehaltlich der Bestimmungen des § 66 FPG - im Grunde des § 53 Abs. 1 leg. cit. vor.
Die beschwerdeführenden Parteien seien miteinander verheiratet, der Erstbeschwerdeführer sei aber nicht an der gleichen Adresse gemeldet wie die Zweitbeschwerdeführerin, die mit zwei längst volljährigen Kindern, deren Asyl(erstreckungs)anträge gleichzeitig abgewiesen worden seien, im gemeinsamen Haushalt lebe. Eine weitere volljährige Tochter habe nach rechtskräftiger Ausweisung durch die Asylbehörde mit ihrem Ehemann und ihrem Kind offenbar bereits das Bundesgebiet verlassen. Die Ausweisung greife zwar in das Privat- und Familienleben der beschwerdeführenden Parteien ein, dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, dringend geboten sei. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses hohe öffentliche Interesse hätten die beschwerdeführenden Parteien verstoßen, indem sie illegal in das Bundesgebiet eingereist seien, Anträge nach dem Asylgesetz 1997, die sich als nicht berechtigt erwiesen hätten, gestellt und anschließend Österreich nicht mehr verlassen hätten.
Erst Jahre nachdem der Erstbeschwerdeführer nach Österreich gelangt sei (sein Asylantrag war in erster Instanz mit Bescheid vom bereits abgewiesen worden), seien seine Ehefrau (im Februar 2006), ein Sohn (im August 2005) und letztlich ein weiterer Sohn und eine Tochter (im Oktober 2007) illegal in das Bundesgebiet eingereist. Auch deren Asyl(erstreckungs)anträge seien allesamt rechtskräftig abgewiesen worden. Der letztgenannte Sohn und die Tochter sowie deren Ehemann und ein gemeinsames Kind seien bereits rechtskräftig ausgewiesen worden und nicht mehr im Bundesgebiet gemeldet; sie dürften Österreich bereits verlassen haben. Auch die beiden anderen Kinder im Alter von 23 und 24 Jahren seien mit Bescheiden vom ausgewiesen worden.
Weder die beschwerdeführenden Parteien noch andere im Bundesgebiet aufhältige Familienangehörige könnten auf eine Integration verweisen. Daran könnten auch die vorgelegten "Unterstützungsschreiben" (etwa von einem Pastor einer christlichreligiösen Hilfsgemeinschaft für Flüchtlinge und einem Beratungszentrum für Migranten und Asylanten) nichts ändern, weil daraus ein besonderes Maß an Integration nicht ableitbar sei. Die beschwerdeführenden Parteien hätten sich bislang auch am heimischen Arbeitsmarkt nicht integrieren können, sie seien nicht selbsterhaltungsfähig und auf Zahlungen der öffentlichen Hand bzw. karitativer Organisationen angewiesen. Der Erstbeschwerdeführer habe sich auch erst im März 2010 zu einem "Basisdeutschkurs" angemeldet. Darüber hinaus sei er mit Urteil des Bezirksgerichtes Baden vom rechtskräftig gemäß § 15 und § 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 20 Tagen verurteilt worden. Auch wenn dieses Urteil zwischenzeitlich getilgt sei, sei es bei der Beurteilung des Gesamt(fehl)verhaltens dennoch zu berücksichtigen.
Es sei nicht nachvollziehbar, warum den beschwerdeführenden Parteien - allenfalls gemeinsam mit ihren Familienangehörigen - eine Rückkehr in ihre Heimat zu ihrer offenbar bereits dorthin zurückgekehrten Tochter nicht möglich sein sollte, zumal die übrigen Familienangehörigen bis vor wenigen Jahren dort gelebt hätten. Die beschwerdeführenden Parteien verfügten den Feststellungen in den Asylverfahren zufolge in ihrer Heimat auch über eine leerstehende Eigentumswohnung und über "soziale Anknüpfungspunkte" bzw. "ausreichende familiäre Bindungen". Als erwachsene, offenbar gesunde Menschen im arbeitsfähigen Alter sollte ihnen eine Reintegration in ihrer Heimat durchaus zumutbar sein. Auch wenn die privaten Interessen der beschwerdeführenden Parteien nicht unterzubewerten seien, erreichten sie jedoch keinesfalls ein derartiges Gewicht, dass das genannte öffentliche Interesse demgegenüber in den Hintergrund zu treten hätte.
2. Gegen diese Bescheide richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, sie "zu beheben".
3. Die belangte Behörde legte die Akten der Verwaltungsverfahren vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerde bestreitet nicht, dass sich die beschwerdeführenden Parteien seit rechtskräftiger Abweisung ihrer Asyl(erstreckungs)anträge jeweils mit Bescheid vom unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Im Hinblick darauf begegnet die - unbekämpfte - Auffassung der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.
2. Die Beschwerde wendet sich ausschließlich gegen die behördliche Beurteilung nach § 66 FPG und bringt dazu im Wesentlichen vor, die beschwerdeführenden Parteien hielten sich seit neun bzw. knapp fünf Jahren in Österreich auf, verfügten über eine ortsübliche Unterkunft, seien ordnungsgemäß versichert, verfügten über gute Deutschkenntnisse und seien sozial integriert. Nach Abschluss ihrer Asylverfahren - während derer sie über ein Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz verfügt hätten - hätten sie Anträge auf Erteilung humanitärer Aufenthaltstitel gestellt, die diesbezüglichen Verfahren seien noch anhängig. Zum Beweis ihrer sozialen Integration hätten sie mehrere Schreiben ihres Freundes- und Bekanntenkreises vorgelegt. Der Erstbeschwerdeführer habe auch bereits im Frühjahr sowie im Herbst 2007 jeweils einen "Basisdeutschkurs" besucht. Die Zweitbeschwerdeführerin habe im Frühjahr 2010 eine Deutschprüfung "A2" abgelegt. Weiters seien die von den beschwerdeführenden Parteien im Verfahren vorgelegten "Einstellungszusagen" eines näher genannten Unternehmens nicht berücksichtigt worden. Das Asylverfahren des Erstbeschwerdeführers sei erst im Jahr 2010 rechtskräftig negativ beendet worden, wobei die von ihm zu verantwortende Verfahrensverzögerung lediglich ein Jahr gedauert habe.
Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide aufzuzeigen.
Die belangte Behörde hat im Rahmen der von ihr vorgenommenen Interessenabwägung nach § 66 FPG den Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien im Bundesgebiet seit Juli 2001 bzw. Februar 2006 und deren familiäre Bindungen zueinander sowie zu den ebenfalls in Österreich lebenden Kindern berücksichtigt und zutreffend einen mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben der beschwerdeführenden Parteien angenommen. Die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes resultierenden Interessen sind jedoch an Gewicht insoweit zu relativieren, als dieser Aufenthalt nur auf Grund von Anträgen nach dem Asylgesetz 1997, die sich in der Folge als unberechtigt herausgestellt haben, erlaubt war und seit der rechtskräftigen Abweisung dieser Anträge am unrechtmäßig ist. Die belangte Behörde durfte auch berücksichtigen, dass die familiären Bindungen der beschwerdeführenden Parteien zu ihren volljährigen Kindern im Bundesgebiet dadurch relativiert sind, dass deren Asylverfahren - was unbestritten blieb - ebenfalls rechtskräftig negativ beendet wurden. Sowohl die Zweitbeschwerdeführerin als auch ihre Kinder sind zu einem Zeitpunkt in das Bundesgebiet eingereist, zu dem der Asylantrag des Erstbeschwerdeführers erstinstanzlich bereits abgewiesen war. Die beschwerdeführenden Parteien durften daher zu keinem Zeitpunkt darauf vertrauen, auf Dauer ein Familienleben in Österreich führen zu können. Der Erstbeschwerdeführer lebt mit der Zweitbeschwerdeführerin und den gemeinsamen volljährigen Kindern auch nicht im gemeinsamen Haushalt und wurde zudem bereits rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen wurden im Verwaltungsverfahren keine "Einstellungszusagen" für die beschwerdeführenden Parteien vorgelegt, sondern jeweils eine "Beschäftigungsvoranmeldung", wonach "es bei starker Auftragslage" zu einem Dienstverhältnis zwischen einem näher genannten Unternehmen und den beschwerdeführenden Parteien kommen würde. Diese - bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen - für die Zukunft in Aussicht gestellten Dienstverhältnisse sind nicht geeignet, die bisher erreichte Integration der beschwerdeführenden Parteien maßgeblich zu verstärken, zumal unbestritten blieb, dass sie derzeit nicht selbsterhaltungsfähig und auf öffentliche Unterstützung angewiesen sind. Die Feststellungen in den erstinstanzlichen Bescheiden, auf die in den angefochtenen Bescheiden verwiesen wurde, wonach den beschwerdeführenden Parteien in ihrem Herkunftsland ein "entsprechendes soziales Netz" zur Verfügung stehe, weil die Mutter und die Schwester sowie der Schwager der Zweitbeschwerdeführerin dort lebten, blieben unbestritten.
Den aus diesen Gründen relativierten, persönlichen Interessen der beschwerdeführenden Parteien an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht gegenüber, dass sich diese trotz rechtskräftiger Abweisung ihrer Asylanträge weiterhin unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, was eine erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften darstellt, dem aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0403, mwN). Die Ansicht der belangten Behörde, dass § 66 FPG der Erlassung der Ausweisungen nicht entgegenstehe, begegnet auch dann keinem Einwand, wenn man von guten Deutschkenntnissen beider beschwerdeführenden Parteien ausgeht.
3. Auch aus den Anträgen der beschwerdeführenden Parteien auf Erteilung humanitärer Aufenthaltstitel "nach den Bestimmungen der §§ 43/3 ff NAG" (gemeint wohl: § 43 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG) ist für deren Standpunkt nichts gewonnen, weil gemäß § 44b Abs. 3 NAG Anträge nach § 43 Abs. 2 NAG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht begründen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/18/0346, mwN).
4. Wenn die Beschwerde - ohne nähere Konkretisierung - bestreitet, dass die beschwerdeführenden Parteien in ihrem Heimatland über eine Eigentumswohnung verfügten, und diesbezüglich die Unterlassung von Parteiengehör rügt, unterlässt sie es, die Relevanz des Verfahrensmangels darzutun. Auch hinsichtlich der Unterstützungsschreiben legt die Beschwerde nicht konkret dar, zu welchen Feststellungen die belangte Behörde auf Grund des Inhalts der genannten Schreiben hätte kommen können.
Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich auch in mehrfacher Hinsicht von jenem, der dem - in der Beschwerde zitierten - Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 950 bis 954/10, zu Grunde lag. Insbesondere wurde hier die jeweils in erster Instanz ergangene negative Entscheidung in den asylrechtlichen Verfahren der beschwerdeführenden Parteien nicht behoben, sodass keine Erwartung auf eine positive Entscheidung ihrer Asylverfahren geweckt wurde.
Ferner kann auch keine Rede davon sein, dass der angefochtene Bescheid nicht ausreichend begründet sei.
5. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
SAAAE-80734