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VwGH 26.06.2018, Ra 2018/04/0104

VwGH 26.06.2018, Ra 2018/04/0104

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Norm
RS 1
Der alleinige Umstand, dass das Verwaltungsgericht die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde für unrichtig erachtet, enthebt das Verwaltungsgericht nicht seiner primären Verpflichtung, in der Sache selbst zu entscheiden.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler, sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tiefenböck, über die Revision der H L GmbH in P, vertreten durch Anwälte Mandl & Mitterbauer GmbH, in 4950 Altheim, Wiesnerstraße 2, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W155 2015659-1/15E, betreffend Feststellungsverfahren nach dem UVP-G 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Oberösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1. Die Revisionswerberin betreibt einen Hühnerschlachtbetrieb und strebte mit ihrem Antrag vom die gewerbehördliche Genehmigung für die Änderung der Betriebsanlage in Form der Erhöhung der genehmigten Schlachtkapazität und Anpassung des Abwasserkonsenses an.

2 Mit gewerbebehördlichem Bescheid vom wurden zunächst Änderungen der Betriebsanlage unter Erteilung von Auflagen bewilligt, wobei die Festlegung des Schlachtkonsenses der "Enderledigung" vorbehalten wurde. Mit weiterem Bescheid der Gewerbebehörde vom wurde der Schlachtkonsens mit

54.750 t/a festgelegt. Beide Bescheide wurden mit befristet.

3 2. Verfahrensgegenständlich ist das in Zusammenhang mit dem von der Revisionswerberin angestrengten gewerbebehördlichen Änderungsgenehmigungsverfahren über Antrag der Umweltanwaltschaft Oberösterreich von der belangten Behörde eingeleitete Verfahren gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 zur Feststellung, ob für das Änderungsvorhaben der Revisionswerberin ein vereinfachtes Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren erforderlich sei. Die Umweltanwaltschaft habe ihren Antrag damit bergründet, dass die sich aus dem Projekt ergebende Erhöhung der Schlachtkapazität auf 235.000 Hühner/d bzw. auf 170.000 Hühner/d jeweils eine Schlachtmenge erreiche, die den Schwellenwert der Z 88 Anlage 1 UVP-G 2000 überschreiten würde.

4 3. Mit dem vor dem Verwaltungsgericht bekämpften Bescheid stellte die belangte Behörde gemäß § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 fest, dass für das Änderungsvorhaben von derzeit 39.933 t/a auf

59.895 t/a keine Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem UVP-G 2000 durchzuführen sei. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Schlachtbetrieb sei als Vorhaben im Sinne des Anhangs 1 Z 88 UVP-G 2000 zu qualifizieren. Für die Beurteilung der Änderung sei zunächst festzustellen, wieviel Tonnen in der Anlage jährlich geschlachtet werden dürften. Mangels bescheidmäßiger Festlegung der Schlachtkapazität müsse dies über eine Rückrechnung ausgehend von der wasserrechtlich bewilligten Trink- und Nutzwasserentnahme erfolgen. Da es bei der Beurteilung der UVP-Pflicht nicht auf die technisch mögliche sondern auf die beantragte Kapazitätsmenge ankomme, sei bei der Konsensermittlung nicht auf gemessene Abwassermengen zurückzugreifen. Es sei auf die Umstände abzustellen, die der seinerzeitigen Konsenserteilung zugrunde gelegt worden seien. Unter Berücksichtigung der der wasserrechtlichen Bewilligung zugrunde liegenden Annahmen ergebe die geplante Erweiterung eine Erhöhung der Schlachtkapazität um

19.962 t/a. Da diese Erhöhung weniger als 50 Prozent des Schwellenwerts gemäß Anhang 1 Z 88 UVP-G 2000 darstelle, sei keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen.

5 4. Gegen diesen Bescheid erhob die Umweltanwaltschaft Beschwerde. Unter Zugrundelegung des jährlichen Abwasserkonsenses sei von einer maximal möglichen Schlachtmenge von 34.000 t/a auszugehen, weshalb die geplante Erweiterung 25.895 t/a betrage.

6 5. Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Verwaltungsgericht ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens den bekämpften Bescheid auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurück. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

7 Nach einer ungekürzten Wiedergabe des angefochtenen Bescheids samt Stellungnahmen im behördlichen Verfahren, der Bescheidbeschwerde und einer Stellungnahme der Revisionswerberin stellt das Verwaltungsgericht fest, dass eine Ausgangskapazität von 39.933 t/a nicht feststellbar sei. Nach Darstellung der Rechtslage, begründete das Verwaltungsgericht den Beschluss zusammengefasst damit, dass gemäß §§ 2 Abs. 5, 3a Abs. 3 iVm Anhang 1 Z 88 UVP-G 2000 für die Beurteilung der UVP-Pflicht die genehmigte bestehende und die beantragte Schlachtkapazität ausschlaggebend seien. Die von der Projektwerberin angegebene Ausgangskapazität sei keinem Genehmigungsbescheid zu entnehmen. Die belangte Behörde habe zwar ein Fachgutachten eingeholt und sich mit den unterschiedlichen Berechnungsvarianten auseinandergesetzt, jedoch seien die begründenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid nicht nachvollziehbar. Für das Gericht sei der von der belangten Behörde festgestellte Bestandkonsens nicht schlüssig und folgerichtig dargelegt worden, zumal bei der Berechnung Fehler unterlaufen seien.

8 Die belangte Behörde habe in dem zentralen Punkt der Ermittlung nicht nachvollziehbar dargelegt, welche Schlachtkapazität der Anlage als genehmigt zugrunde zu legen sei. Im Übrigen werde im fortgesetzten Verfahren die bereits abgelaufene Befristung der gegenständlichen Bewilligung zu berücksichtigen sein.

9 6. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision der Projektwerberin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und/oder Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

10 Die belangte Behörde trat in ihrer Revisionsbeantwortung dem Standpunkt der Revisionswerberin bei.

11 7. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG

gebildeten Senat erwogen:

12 7.1. Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, der angefochtene Beschluss weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil das Verwaltungsgericht entgegen seiner Rechtsmeinung in der Sache selbst entscheiden hätte müssen. Ein die Abweichung von der meritorischen Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes rechtfertigender Sachverhalt liege nicht vor.

13 7.2. Die Revision ist zulässig und auch berechtigt. 14 7.3. § 28 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes

(VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

"Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.

der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.

die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das

Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4) bis (8) (...)"

15 7.4. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Voraussetzungen das Verwaltungsgericht den Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufheben und die Sache zurückverweisen kann (vgl. grundlegend , sowie , , Ra 2014/01/0205, und , Ra 2014/04/0031).

16 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis Ro 2014/03/0063 ausgesprochen, dass sich die Anwendbarkeit der Zurückverweisungsbestimmung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht auf die von § 28 Abs. 2 VwGVG erfassten Fälle erstreckt. Eine Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Verwaltungsbehörde kommt erst dann in Betracht, wenn die in § 28 Abs. 2 VwGVG normierten Voraussetzungen, die eine Pflicht des Verwaltungsgerichtes zur "Entscheidung in der Sache selbst" nach sich ziehen, nicht vorliegen. Die Voraussetzungen der Z 1 und 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG sind angesichts der Zielsetzung (meritorische Entscheidung durch die Verwaltungsgerichte) weit zu verstehen. Damit wird dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung bzw. dem Gebot der angemessenen Verfahrensdauer (durch Vermeidung der Eröffnung eines neuerlichen Rechtszuges gegen die dann abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung) entsprochen. Demnach ist Zielsetzung des § 28 VwGVG, dass angesichts des in dieser Bestimmung insgesamt verankerten Systems die Zurückverweisungsmöglichkeit nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt § 28 VwGVG, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. zu allem ).

17 7.5. Zurecht verweist die Revision vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung darauf, dass das Verwaltungsgericht die Rechtslage verkannt hat:

18 Die Zurückverweisungsmöglichkeit nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG setzt voraus, dass die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Angesichts des in dem angefochtenen Erkenntnis selbst wiedergegebenen Verfahrensverlaufs vor der belangten Behörde und den dargestellten Ermittlungsergebnissen ist die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Aufhebung schon aus diesem Grund nicht nachvollziehbar.

19 Das Verwaltungsgericht stützt die Zurückverweisung im Wesentlichen darauf, dass die belangte Behörde die Annahme der genehmigten Schlachtkapazität nicht nachvollziehbar begründet habe. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten ständigen Rechtsprechung zu § 28 Abs. 3 VwGVG kann diese Begründung den angefochtenen Aufhebungsbeschluss nicht rechtfertigen, zumal das Verwaltungsgericht selbst offenbar nicht davon ausgeht, dass weitere Ermittlungen notwendig seien. Vielmehr hält das Verwaltungsgericht die von der belangten Behörde auf Basis der erhobenen Daten angestellten Berechnungen betreffend die Schlachtkapazität für unrichtig. Die Schlussfolgerungen aufgrund der den früheren Genehmigungsbescheiden einerseits und dem eingeholten Gutachten der Amtssachverständigen andererseits entnommenen Daten zur Errechnung der Ausgangskapazität stellen jedoch einen Teil der vorzunehmenden rechtlichen Beurteilung dar. Der alleinige Umstand, dass das Verwaltungsgericht die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde für unrichtig erachtet, enthebt das Verwaltungsgericht nicht seiner primären Verpflichtung, in der Sache selbst zu entscheiden.

20 7.7. Indem das Verwaltungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor dem Hintergrund der vorhandenen Rechtsprechung verkannte, den Bescheid aufhob und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuerlichen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwies, belastete es seinen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

21 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Norm
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018040104.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
HAAAE-76848