VwGH vom 21.02.2012, 2011/23/0653
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der M, vertreten durch Dr. Daniel Larcher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottenring 25, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/46.439/2008, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zum Zweck der Familienzusammenführung mit ihrer Tochter S.S.
Am brachte die Beschwerdeführerin neuerlich einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für denselben Aufenthaltszweck ein. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes für Wien vom rechtskräftig abgewiesen.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.
Begründend hielt die belangte Behörde eingangs fest, dass der Beschwerdeführerin auf Grund ihres Antrags vom eine Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" mit Gültigkeit bis erteilt worden sei; seit dem verfüge sie über keinen Aufenthaltstitel (mehr). Sie sei nach Ablauf der ihr zuletzt erteilten Niederlassungsbewilligung in Österreich geblieben und halte sich somit seither unrechtmäßig im Bundesgebiet auf, sodass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 FPG zur Erlassung der Ausweisung - vorbehaltlich des § 66 FPG - vorlägen.
Die Beschwerdeführerin lebe seit einem unbekannten Zeitraum, höchstwahrscheinlich aber seit mehr als sieben Jahren in Österreich und verfüge im Bundesgebiet über familiäre Bindungen zu vier Töchtern und einem Sohn. Davon ausgehend nahm die belangte Behörde zwar einen mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in ihr Privat- und Familienleben an. Dieser Eingriff erweise sich jedoch als dringend geboten, weil der Befolgung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zukomme. Diese Regelungen seien von der Beschwerdeführerin dadurch in gravierender Weise missachtet worden, dass sie sich bereits seit mehr als fünfeinhalb Jahren unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Die mit dem unrechtmäßigen Aufenthalt bewirkte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise der Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet. Im Hinblick auf das Fehlen besonderer zu Gunsten der Beschwerdeführerin sprechender Umstände sah die belangte Behörde auch keine Veranlassung, im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens von der Erlassung der Ausweisung Abstand zu nehmen.
Schließlich ging die belangte Behörde noch auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin ein, wonach diese an einer "mittelgradigen Depression" leide. Dem hielt die belangte Behörde entgegen, dass die Beschwerdeführerin nicht behauptet habe, "lebensbedrohend erkrankt zu sein oder in einem anderen Land (überhaupt) keine Behandlung erhalten zu können".
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 921/08-13, ablehnte.
Weiters erhob die Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im April 2008 geltende Fassung.
Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die Beschwerdeführerin bringt dazu vor, dass ihr die "Aufenthaltsbewilligung" mit Gültigkeit bis zum nie zugestellt worden und dieses Verfahren somit noch offen sei.
Der am gestellte Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung sei als Verlängerungsantrag zu werten. Hätte die belangte Behörde dies berücksichtigt, wäre sie zum Schluss gekommen, dass sich die Beschwerdeführerin nicht illegal im Bundesgebiet aufhalte und eine Ausweisung nach § 53 Abs. 1 FPG unzulässig sei.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das Verfahren hinsichtlich des Antrages der Beschwerdeführerin vom auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung durch Erlassung eines Bescheides ihr gegenüber abgeschlossen wurde. Der Beschwerdeführerin kam nämlich allein durch diesen Erstantrag noch kein Aufenthaltsrecht zu. Selbst wenn die Beschwerdeführerin nach dem im Jahr 2001 geltenden Fremdengesetz 1997 als begünstigte Drittstaatsangehörige anzusehen war, hätte es nämlich für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts einer (rechtsbegründenden) Niederlassungsbewilligung bedurft (vgl. dazu das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0032, mwN). Soweit die Beschwerdeführerin darauf verweist, dass ihre Inlandsantragstellung im Jänner 2004 rechtmäßig gewesen sei, ist auf das diesbezügliche rechtskräftig abgeschlossene Aufenthaltstitelverfahren zu verweisen und daher daraus nichts zu gewinnen.
Weder nach der Aktenlage noch nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin bestehen somit Anhaltspunkte dafür, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG bei der Beschwerdeführerin vorläge. Die behördliche Annahme, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei erfüllt, erweist sich somit als zutreffend.
Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die Ausweisung darf nach dem - auch bei Ausweisungen gemäß § 53 Abs. 1 FPG zu beachtenden (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0348, Punkt 2.3.2.) - § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.
Die Beschwerdeführerin bringt diesbezüglich vor, sie habe sich bereits zwischen 1971 und 1978 sowie 1991 und 1994 in Österreich aufgehalten und lebe nunmehr seit sieben Jahren beinahe durchgehend in Österreich. Sie verfüge über starke familiäre Bindungen zu ihren fünf in Österreich lebenden Kindern und lebe mit ihrem Sohn im gemeinsamen Haushalt. Auf Grund ihrer Krankheit sei sie auf die Pflege und den Unterhalt durch ihre Familie angewiesen. Sie sei vollkommen in Österreich integriert, demgegenüber bestünden zu Serbien keinerlei Bindungen mehr. Diese Aspekte seien von der belangten Behörde in ihre Beurteilung nur unzureichend einbezogen worden.
Diesem Beschwerdevorbringen ist zu entgegnen, dass die belangte Behörde diese Umstände bei ihrer Interessenabwägung ohnehin ausreichend berücksichtigt hat. Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin hätte die belangte Behörde aus den genannten Umständen - auch bei einer Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet von etwa sieben Jahren, wobei der Aufenthalt jedenfalls mehr als fünf Jahre unrechtmäßig war - aber nicht ableiten müssen, dass ihre Ausweisung aus Österreich unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig sei. Auch wenn das persönliche Interesse eines Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes zunimmt, ist die bloße Aufenthaltsdauer nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, wieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Die Beschwerdeführerin ist zuletzt im Alter von (etwa) 47 Jahren in das Bundesgebiet eingereist, davor hat sie sich ca. sieben Jahre hindurch außerhalb Österreichs aufgehalten. Eine berufliche Integration der Beschwerdeführerin lässt sich der Aktenlage nicht entnehmen und wurde auch nicht vorgebracht. Besondere integrationsbegründende Umstände abseits der familiären Bindungen wurden nicht geltend gemacht. Dass es den Kindern der Beschwerdeführerin nicht möglich wäre, ihre Mutter in deren Heimatland finanziell zu unterstützen, wurde nicht behauptet.
Die Beschwerdeführerin bringt vor, ihr Familienleben (in Österreich) sei keinesfalls zu einem Zeitpunkt entstanden, zu dem sie sich ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst sein hätte müssen. Diesbezüglich verweist sie auf ihre bis gültige Niederlassungsbewilligung. Abgesehen davon, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid mit der Begründung des Familienlebens während unsicheren Aufenthalts gar nicht argumentierte, lässt die Beschwerdeführerin bei ihrem Vorbringen außer Acht, dass sie das Familienleben mit ihren Angehörigen danach - ohne rechtzeitig einen Verlängerungsantrag zu stellen und somit - ungeachtet ihres unrechtmäßigen Aufenthalts fortsetzte. Dasselbe gilt für den Zeitraum ab nach Stellung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, der - mag die Inlandsantragstellung damals zulässig gewesen sein - noch kein Aufenthaltsrecht begründen konnte. Die Unsicherheit des Aufenthalts wurde aber jedenfalls zur Gewissheit, nachdem die Beschwerdeführerin die Abweisung dieses Antrags mit Bescheid vom unbekämpft in Rechtskraft hat erwachsen lassen. Für den Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich und für ein Zusammenleben mit ihren Angehörigen fehlte es daher (bis zur Bescheiderlassung) seit mehr als fünf Jahren an einer Rechtsgrundlage. Vor diesem Hintergrund bewirkt die Ausweisung der Beschwerdeführerin keinen unverhältnismäßigen Eingriff in ihre durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte. Vielmehr ist es ihr trotz der familiären Bindungen zuzumuten, aus Österreich auszureisen und - wie gesetzlich vorgesehen (vgl. § 21 Abs. 1 NAG) - ein Verfahren auf "Familiennachzug" vom Ausland aus zu führen.
Die Beschwerdeführerin wirft der belangten Behörde außerdem vor, diese habe ihr Vorbringen im Zusammenhang mit ihrer mittelgradigen Depression "als nicht entscheidungsrelevant abgewiesen" und diesbezüglich keine Ermittlungen vorgenommen. "Ungeachtet der Therapiemöglichkeiten in Serbien" habe es die belangte Behörde verabsäumt, die "Depressionen im Zusammenhang mit § 66 Fremdenpolizeigesetz zu prüfen".
Dem ist entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Depression bei ihrer Entscheidung ohnehin berücksichtigt hat. Sie hat aber - zutreffend - festgehalten, dass die Beschwerdeführerin nicht behauptet habe, in einem anderen Land (überhaupt) keine Behandlung erhalten zu können. Vielmehr stellt sie auch in der Beschwerde nicht in Abrede, dass es in Serbien Therapiemöglichkeiten (zur Behandlung von Depressionen) gebe. Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, bei der Bewertung der persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet komme auch dem Umstand Bedeutung zu, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen werde. Im Allgemeinen hat aber kein Fremder ein Recht, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland gibt (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0015, mwN). Welche weiteren Ermittlungen über den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin die belangte Behörde hätte vornehmen müssen, um zu einem anderen Ergebnis zu gelangen, lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Soweit die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde erstmals vorbringt, dass sie "unbedingt auf die Pflege" durch ihre Familie "angewiesen" sei, handelt es sich dabei um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung (§ 41 Abs. 1 erster Satz VwGG). Vor diesem Hintergrund führt auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit ihrem Gesundheitszustand nicht zu einer maßgeblichen Verstärkung ihrer persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich.
Die Auffassung der belangten Behörde, die Ausweisung der Beschwerdeführerin sei unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK als zulässig anzusehen und auch die Ermessensübung sei nicht zu ihren Gunsten vorzunehmen, ist somit nicht als rechtswidrig zu erkennen.
Die Beschwerde erweist sich daher als unberechtigt und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
AAAAE-67508